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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Aus dem großen Schmerz, den sie erfahren, keimte das stolze Bewußtsein
einer stillen Erhabenheit empor, und ein Gefühl wehmütigen, entsagungsvollen
Glückes meldete sich, das groß und rein aufstieg wie der keusche Mond, der alles
mit seinem märchenhaften Glanz versöhnend übergießt.

Die Mutter hatte bei ihrem Erscheinen in der Küche schon den Kaffee gekocht
und freute sich über ihr gutes Aussehen.

"Denk nur", fügte sie wichtig hinzu, "Heinrich Messerschmidt wird schon in
vier Tagen hier sein, und zwar als Assessor! Der Herr Kalkulator hat es uns
vorhin, ehe er nach dem Bureau ging, mitgeteilt."

"Das ist schön", sagte Minchen mit fester Stimme.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reich sspiegel

Weltfrieden -- Freies Christentum -- Internationale Lage.

Das politische Leben steht gegenwärtig im Zeichen solcher Kongresse, deren
Ziele in direktem Widerspruch stehen zu den greifbaren Zeichen der Zeit, die am
politischen Horizont hier und da auflodern. "Weltfriedenskongreß" heißt der eine,
"Weltkongreß für freies Christentum und religiösen Fortschritt" der andere. Wie
viel Unfrieden haben schon die Friedensbestrebungen und wie viel Unfreiheit und
Rückschritt die Fortschrittsaktionen bewirkt! Beide beruhen auf der falschen Vor¬
stellung, als könne der Wärme erzeugende Kampf um ideelle und materielle Güter
auf ein solches Maß zurückgeführt werden, daß er, ohne Leidenschaftlichkeit geführt
keine Hitze mehr hervorbringt. "Freiheit und Gleichheit! hört man's schallen, --
der rud'ge Bürger greift zur Wehr!" Bei den Friedensbestrebungen ist indessen
dafür gesorgt, daß sie kein Unheil anrichten können. Weise Monarchen und kluge
Staatsmänner haben dem Utopischen der Bewegung die Spitze abgebrochen, indem
sie schon heilte alle die die Beziehungen der Völker und Staaten regelnden Gesetze
entsprechend den Forderungen einer hochentwickelten Kultur aufbauten. Nur
in einem Punkte sind die Großmächte unnachgiebig geblieben: keine von ihnen
denkt daran, sich von einer andern Vorschriften über den Umfang ihrer Rüstungen
machen zu lassen und jede von ihnen ist bestrebt, diese Rüstung im richtigen Ver¬
hältnis zur Größe ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zu halten. Was Wunder,
wenn die Völker, die seit Jahrzehnten an der Spitze der wirtschaftlichen Ent¬
wicklung marschieren, auch die größten Aufwendungen für ihre Heere und Flotten
machen, -- was Wunder, wenn Deutschland, das sich innerhalb vierzig Jahren
durch die Tüchtigkeit seines gewerblichen Bürgertums von untergeordneter Stelle
zu hohem Platz in der Welt emporgeschwungen hat, was Wunder, wenn es
auch einer entsprechend großen Land- und Seemacht benötigt, um sich diesen Stand
zu erhalten! Aber unter diesen Umständen dürfen wir uns auch nicht wundern,
wenn der Chor jener, die auch gern empor möchten, gerade Deutschland veranlassen
wollen, seine Rüstungen herabzusetzen und dadurch den deutschen Handel wehrlos
der feindlichen Schwäche auszuliefern.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Aus dem großen Schmerz, den sie erfahren, keimte das stolze Bewußtsein
einer stillen Erhabenheit empor, und ein Gefühl wehmütigen, entsagungsvollen
Glückes meldete sich, das groß und rein aufstieg wie der keusche Mond, der alles
mit seinem märchenhaften Glanz versöhnend übergießt.

Die Mutter hatte bei ihrem Erscheinen in der Küche schon den Kaffee gekocht
und freute sich über ihr gutes Aussehen.

„Denk nur", fügte sie wichtig hinzu, „Heinrich Messerschmidt wird schon in
vier Tagen hier sein, und zwar als Assessor! Der Herr Kalkulator hat es uns
vorhin, ehe er nach dem Bureau ging, mitgeteilt."

„Das ist schön", sagte Minchen mit fester Stimme.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reich sspiegel

Weltfrieden — Freies Christentum — Internationale Lage.

Das politische Leben steht gegenwärtig im Zeichen solcher Kongresse, deren
Ziele in direktem Widerspruch stehen zu den greifbaren Zeichen der Zeit, die am
politischen Horizont hier und da auflodern. „Weltfriedenskongreß" heißt der eine,
„Weltkongreß für freies Christentum und religiösen Fortschritt" der andere. Wie
viel Unfrieden haben schon die Friedensbestrebungen und wie viel Unfreiheit und
Rückschritt die Fortschrittsaktionen bewirkt! Beide beruhen auf der falschen Vor¬
stellung, als könne der Wärme erzeugende Kampf um ideelle und materielle Güter
auf ein solches Maß zurückgeführt werden, daß er, ohne Leidenschaftlichkeit geführt
keine Hitze mehr hervorbringt. „Freiheit und Gleichheit! hört man's schallen, —
der rud'ge Bürger greift zur Wehr!" Bei den Friedensbestrebungen ist indessen
dafür gesorgt, daß sie kein Unheil anrichten können. Weise Monarchen und kluge
Staatsmänner haben dem Utopischen der Bewegung die Spitze abgebrochen, indem
sie schon heilte alle die die Beziehungen der Völker und Staaten regelnden Gesetze
entsprechend den Forderungen einer hochentwickelten Kultur aufbauten. Nur
in einem Punkte sind die Großmächte unnachgiebig geblieben: keine von ihnen
denkt daran, sich von einer andern Vorschriften über den Umfang ihrer Rüstungen
machen zu lassen und jede von ihnen ist bestrebt, diese Rüstung im richtigen Ver¬
hältnis zur Größe ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zu halten. Was Wunder,
wenn die Völker, die seit Jahrzehnten an der Spitze der wirtschaftlichen Ent¬
wicklung marschieren, auch die größten Aufwendungen für ihre Heere und Flotten
machen, — was Wunder, wenn Deutschland, das sich innerhalb vierzig Jahren
durch die Tüchtigkeit seines gewerblichen Bürgertums von untergeordneter Stelle
zu hohem Platz in der Welt emporgeschwungen hat, was Wunder, wenn es
auch einer entsprechend großen Land- und Seemacht benötigt, um sich diesen Stand
zu erhalten! Aber unter diesen Umständen dürfen wir uns auch nicht wundern,
wenn der Chor jener, die auch gern empor möchten, gerade Deutschland veranlassen
wollen, seine Rüstungen herabzusetzen und dadurch den deutschen Handel wehrlos
der feindlichen Schwäche auszuliefern.


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[0308] Maßgebliches und Unmaßgebliches Aus dem großen Schmerz, den sie erfahren, keimte das stolze Bewußtsein einer stillen Erhabenheit empor, und ein Gefühl wehmütigen, entsagungsvollen Glückes meldete sich, das groß und rein aufstieg wie der keusche Mond, der alles mit seinem märchenhaften Glanz versöhnend übergießt. Die Mutter hatte bei ihrem Erscheinen in der Küche schon den Kaffee gekocht und freute sich über ihr gutes Aussehen. „Denk nur", fügte sie wichtig hinzu, „Heinrich Messerschmidt wird schon in vier Tagen hier sein, und zwar als Assessor! Der Herr Kalkulator hat es uns vorhin, ehe er nach dem Bureau ging, mitgeteilt." „Das ist schön", sagte Minchen mit fester Stimme. Maßgebliches und Unmaßgebliches Reich sspiegel Weltfrieden — Freies Christentum — Internationale Lage. Das politische Leben steht gegenwärtig im Zeichen solcher Kongresse, deren Ziele in direktem Widerspruch stehen zu den greifbaren Zeichen der Zeit, die am politischen Horizont hier und da auflodern. „Weltfriedenskongreß" heißt der eine, „Weltkongreß für freies Christentum und religiösen Fortschritt" der andere. Wie viel Unfrieden haben schon die Friedensbestrebungen und wie viel Unfreiheit und Rückschritt die Fortschrittsaktionen bewirkt! Beide beruhen auf der falschen Vor¬ stellung, als könne der Wärme erzeugende Kampf um ideelle und materielle Güter auf ein solches Maß zurückgeführt werden, daß er, ohne Leidenschaftlichkeit geführt keine Hitze mehr hervorbringt. „Freiheit und Gleichheit! hört man's schallen, — der rud'ge Bürger greift zur Wehr!" Bei den Friedensbestrebungen ist indessen dafür gesorgt, daß sie kein Unheil anrichten können. Weise Monarchen und kluge Staatsmänner haben dem Utopischen der Bewegung die Spitze abgebrochen, indem sie schon heilte alle die die Beziehungen der Völker und Staaten regelnden Gesetze entsprechend den Forderungen einer hochentwickelten Kultur aufbauten. Nur in einem Punkte sind die Großmächte unnachgiebig geblieben: keine von ihnen denkt daran, sich von einer andern Vorschriften über den Umfang ihrer Rüstungen machen zu lassen und jede von ihnen ist bestrebt, diese Rüstung im richtigen Ver¬ hältnis zur Größe ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zu halten. Was Wunder, wenn die Völker, die seit Jahrzehnten an der Spitze der wirtschaftlichen Ent¬ wicklung marschieren, auch die größten Aufwendungen für ihre Heere und Flotten machen, — was Wunder, wenn Deutschland, das sich innerhalb vierzig Jahren durch die Tüchtigkeit seines gewerblichen Bürgertums von untergeordneter Stelle zu hohem Platz in der Welt emporgeschwungen hat, was Wunder, wenn es auch einer entsprechend großen Land- und Seemacht benötigt, um sich diesen Stand zu erhalten! Aber unter diesen Umständen dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn der Chor jener, die auch gern empor möchten, gerade Deutschland veranlassen wollen, seine Rüstungen herabzusetzen und dadurch den deutschen Handel wehrlos der feindlichen Schwäche auszuliefern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/308>, abgerufen am 22.07.2024.