Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Man beachte: das Werk ist im Jahre 191V erschienen, geschrieben wurde es Die Schuld an dem späten Erscheinen liegt indessen nicht beim Autor, sondern Betrachten wir uns das Goebelsche Werk heute, so müssen wir leider fest¬ Der wirtschaftliche Fortschritt. Da alles Wirtschaften die Bedürfnis¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches Man beachte: das Werk ist im Jahre 191V erschienen, geschrieben wurde es Die Schuld an dem späten Erscheinen liegt indessen nicht beim Autor, sondern Betrachten wir uns das Goebelsche Werk heute, so müssen wir leider fest¬ Der wirtschaftliche Fortschritt. Da alles Wirtschaften die Bedürfnis¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0206" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316495"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_773"> Man beachte: das Werk ist im Jahre 191V erschienen, geschrieben wurde es<lb/> vor drei Jahren und die Studienreisen Goebels, die das Material zu der Arbeit<lb/> schaffen sollten, liegen fast vier Jahre zurück!</p><lb/> <p xml:id="ID_774"> Die Schuld an dem späten Erscheinen liegt indessen nicht beim Autor, sondern<lb/> entweder bei der handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amts oder beim<lb/> Reichsamt des Innern. Ein sachlich verständlicher Grund für die Zurückhaltung<lb/> des Werkes ist mir nicht bekannt. Das Institut der Handelssachverständigen ist<lb/> begründet worden, um unseren Exporthandel, unsere Industrie und unsere Land¬<lb/> wirtschaft über die Vorgänge im Wirtschaftsleben der sie interessierenden Länder<lb/> eingehend und schnell zu unterrichten. Der vorliegende Reisebericht war nach<lb/> seiner Fertigstellung um so interessanter, als Goebel die frischen Veränderungen<lb/> konstatieren konnte, die der Russisch-Japanische Krieg für Sibirien mit sich gebracht<lb/> hat. Daß die Veränderungen außerordentlich einschneidend waren, geht allein aus<lb/> der Tatsache hervor, daß durch die Transporte für die russische Armee in den<lb/> sibirischen Orten etwa 60 Millionen Rubel haften geblieben sind. Diese Befruchtung<lb/> mit Kapital konnte für unseren Exporthandel nicht belanglos sein. Goebel zeigt<lb/> u. a. in seinem Werk in durchaus zuverlässiger Weise, wo das Geld im Speziellen<lb/> hingekommen war, wo also der deutsche Handel angreifen mußte, um davon zu<lb/> profitieren. Es lag also nicht nur kein Grund vor, das Werk im Archiv liegen zu<lb/> lassen, sondern im Gegenteil, es gab wichtige Gründe, seine Veröffentlichung nach<lb/> Möglichkeit zu beschleunigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_775"> Betrachten wir uns das Goebelsche Werk heute, so müssen wir leider fest¬<lb/> stellen, daß die zahlreichen Fingerzeige, die es gibt, nunmehr größtenteils veraltet<lb/> find, und daß infolgedessen der Zweck der Arbeit in keiner Weise erfüllt wurde.<lb/> Ich unterstreiche: die Schuld trifft nicht Goebel. Es ist darum vielleicht eine<lb/> dankbare Aufgabe für Mitglieder der Budgetkommisston des Reichtags, bei nächster<lb/> Gelegenheit den Herren Referenten auf den Zahn zu fühlen. Der Bericht<lb/> Goebels kostet nämlich dem Steuerzahler rund 30000 Mark an Gehalt und<lb/> Reisespesen für den Sachverständigen sowie Druckkosten. Diese 30000 Mark<lb/><note type="byline"> G, Li,</note> sind auf die Straße geworfen. </p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Der wirtschaftliche Fortschritt.</head> <p xml:id="ID_776" next="#ID_777"> Da alles Wirtschaften die Bedürfnis¬<lb/> befriedigung zum Zwecke hat, ist als wirtschaftlicher Fortschritt jede Änderung<lb/> anzuerkennen, welche bewirkt, daß unsre Bedürfnisse reichlicher, leichter, rascher und<lb/> sicherer befriedigt werden. Die Untersuchung dieser Veränderungen hat sich Waldemar<lb/> Mitscherlich, Professor der Staatswissenschaften an der Königlichen Akademie zu<lb/> Posen, zur Aufgabe gemacht, und die Ergebnisse veröffentlicht er in dein ebenso<lb/> anziehenden wie nützlichen Buche: „Der wirtschaftliche Fortschritt, sein Verlauf und<lb/> Wesen" (Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1910). Nach einer methodologischen Einleitung,<lb/> die beweisen soll,, daß das Problem nicht wirtschaftsgeschichtlich, sondern nur in<lb/> systematischer Darstellung gelöst werden könne, wird dennoch die Wirtschaftsgeschichte<lb/> von der Höhe des Mittelalters bis zur neuesten Zeit erzählt, und es wird besonders<lb/> sehr schön gezeigt, wie der Handel die isolierten Stadtwirtschaften aufgelöst, der<lb/> Staat sich diese vordem selbständigen Wirtschaftsgemeinschaften eingegliedert und<lb/> so die Volks- oder Nationalwirtschaft geschaffen hat. Ohne diese geschichtliche<lb/> Grundlage könnte man den dritten, systematischen Teil, der ja allerdings eine sehr<lb/> wünschenswerte Ergänzung, vielleicht darf man sagen, nach einer Seite hin eine<lb/> Vollendung der nationalökonomischen Wissenschaft bedeutet, gar nicht verstehen.<lb/> Es wird darin zunächst die Meinung zurückgewiesen, daß die Hungerpeitsche der<lb/> Hauptantrieb zum wirtschaftlichen Fortschritt sei; die Wirkung des Hungers beschränkt</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0206]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Man beachte: das Werk ist im Jahre 191V erschienen, geschrieben wurde es
vor drei Jahren und die Studienreisen Goebels, die das Material zu der Arbeit
schaffen sollten, liegen fast vier Jahre zurück!
Die Schuld an dem späten Erscheinen liegt indessen nicht beim Autor, sondern
entweder bei der handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amts oder beim
Reichsamt des Innern. Ein sachlich verständlicher Grund für die Zurückhaltung
des Werkes ist mir nicht bekannt. Das Institut der Handelssachverständigen ist
begründet worden, um unseren Exporthandel, unsere Industrie und unsere Land¬
wirtschaft über die Vorgänge im Wirtschaftsleben der sie interessierenden Länder
eingehend und schnell zu unterrichten. Der vorliegende Reisebericht war nach
seiner Fertigstellung um so interessanter, als Goebel die frischen Veränderungen
konstatieren konnte, die der Russisch-Japanische Krieg für Sibirien mit sich gebracht
hat. Daß die Veränderungen außerordentlich einschneidend waren, geht allein aus
der Tatsache hervor, daß durch die Transporte für die russische Armee in den
sibirischen Orten etwa 60 Millionen Rubel haften geblieben sind. Diese Befruchtung
mit Kapital konnte für unseren Exporthandel nicht belanglos sein. Goebel zeigt
u. a. in seinem Werk in durchaus zuverlässiger Weise, wo das Geld im Speziellen
hingekommen war, wo also der deutsche Handel angreifen mußte, um davon zu
profitieren. Es lag also nicht nur kein Grund vor, das Werk im Archiv liegen zu
lassen, sondern im Gegenteil, es gab wichtige Gründe, seine Veröffentlichung nach
Möglichkeit zu beschleunigen.
Betrachten wir uns das Goebelsche Werk heute, so müssen wir leider fest¬
stellen, daß die zahlreichen Fingerzeige, die es gibt, nunmehr größtenteils veraltet
find, und daß infolgedessen der Zweck der Arbeit in keiner Weise erfüllt wurde.
Ich unterstreiche: die Schuld trifft nicht Goebel. Es ist darum vielleicht eine
dankbare Aufgabe für Mitglieder der Budgetkommisston des Reichtags, bei nächster
Gelegenheit den Herren Referenten auf den Zahn zu fühlen. Der Bericht
Goebels kostet nämlich dem Steuerzahler rund 30000 Mark an Gehalt und
Reisespesen für den Sachverständigen sowie Druckkosten. Diese 30000 Mark
G, Li, sind auf die Straße geworfen.
Der wirtschaftliche Fortschritt. Da alles Wirtschaften die Bedürfnis¬
befriedigung zum Zwecke hat, ist als wirtschaftlicher Fortschritt jede Änderung
anzuerkennen, welche bewirkt, daß unsre Bedürfnisse reichlicher, leichter, rascher und
sicherer befriedigt werden. Die Untersuchung dieser Veränderungen hat sich Waldemar
Mitscherlich, Professor der Staatswissenschaften an der Königlichen Akademie zu
Posen, zur Aufgabe gemacht, und die Ergebnisse veröffentlicht er in dein ebenso
anziehenden wie nützlichen Buche: „Der wirtschaftliche Fortschritt, sein Verlauf und
Wesen" (Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1910). Nach einer methodologischen Einleitung,
die beweisen soll,, daß das Problem nicht wirtschaftsgeschichtlich, sondern nur in
systematischer Darstellung gelöst werden könne, wird dennoch die Wirtschaftsgeschichte
von der Höhe des Mittelalters bis zur neuesten Zeit erzählt, und es wird besonders
sehr schön gezeigt, wie der Handel die isolierten Stadtwirtschaften aufgelöst, der
Staat sich diese vordem selbständigen Wirtschaftsgemeinschaften eingegliedert und
so die Volks- oder Nationalwirtschaft geschaffen hat. Ohne diese geschichtliche
Grundlage könnte man den dritten, systematischen Teil, der ja allerdings eine sehr
wünschenswerte Ergänzung, vielleicht darf man sagen, nach einer Seite hin eine
Vollendung der nationalökonomischen Wissenschaft bedeutet, gar nicht verstehen.
Es wird darin zunächst die Meinung zurückgewiesen, daß die Hungerpeitsche der
Hauptantrieb zum wirtschaftlichen Fortschritt sei; die Wirkung des Hungers beschränkt
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