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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Entwicklung und die Ziele der deutschen sozial¬
studentischen Bewegung
Dr. Paul Dienstag- vonBerlin

NMNM> as deutsche Studententum hat sich auf die Dauer der Beschäftigung
mit der "sozialen Frage", die unstreitig zu den hervorragendsten
Problemen unserer Zeit gehört, nicht entziehen können.

Nachdem das deutsche Studeutentum sich lange, besonders seit
der Gründung des Reiches, in einem Zustande der Stagnation
befunden hatte, der jede innere Anteilnahme an den großen Fragen der Zeit
vermissen ließ, hat die Entwicklung der modernen Technik, die, so fruchtbringend
sie auch für die gesamte Volkswirtschaft war, für die Persönlichkeit des einzelnen
oft die erheblichsten Nachteile mit sich brachte, eine Änderung dieses Zustandes
angebahnt.

Doch nicht allein der Wunsch, soziale Mißstände kennen zu lernen, um
auf Grund dieser Kenntnis Maßnahmen zur Abhilfe vorzuschlagen, hat diese
Tatsache bewirkt; weit mehr wirkte die Erkenntnis, daß es galt, soziale Gegen¬
sätze, die sich unter dem Drucke der wirtschaftlichen Verhältnisse immer schärfer
herausbildeten und schließlich -- nach einem Worte Disraelis -- "zwei
Nationen" in: Staate entstehen ließen, zu überbrücken. Dies Beginnen mußte
um so mehr Aussicht auf Erfolg bieten, je früher mit ihm angefangen wurde.

Als Motto der deutscheu sozialstudeutischen Bewegung können die Worte
des Programms dienen, das der dänische Studentenbund bei seiner Gründung
im Jahre 1882 veröffentlichte. Dort lesen wir: "Was zur Gründung des
Studentenbundes führte, war die Erkenntnis, daß sich die studierende Jugend
nur einseitig entwickelte, wenn sie sich von den großen Geisteskämpfen, die das
dänische Volk erfüllten, fern hielt. Man wünschte dem Volke näher zu kommen,


Grenzvoten III 1910 1


Die Entwicklung und die Ziele der deutschen sozial¬
studentischen Bewegung
Dr. Paul Dienstag- vonBerlin

NMNM> as deutsche Studententum hat sich auf die Dauer der Beschäftigung
mit der „sozialen Frage", die unstreitig zu den hervorragendsten
Problemen unserer Zeit gehört, nicht entziehen können.

Nachdem das deutsche Studeutentum sich lange, besonders seit
der Gründung des Reiches, in einem Zustande der Stagnation
befunden hatte, der jede innere Anteilnahme an den großen Fragen der Zeit
vermissen ließ, hat die Entwicklung der modernen Technik, die, so fruchtbringend
sie auch für die gesamte Volkswirtschaft war, für die Persönlichkeit des einzelnen
oft die erheblichsten Nachteile mit sich brachte, eine Änderung dieses Zustandes
angebahnt.

Doch nicht allein der Wunsch, soziale Mißstände kennen zu lernen, um
auf Grund dieser Kenntnis Maßnahmen zur Abhilfe vorzuschlagen, hat diese
Tatsache bewirkt; weit mehr wirkte die Erkenntnis, daß es galt, soziale Gegen¬
sätze, die sich unter dem Drucke der wirtschaftlichen Verhältnisse immer schärfer
herausbildeten und schließlich — nach einem Worte Disraelis — „zwei
Nationen" in: Staate entstehen ließen, zu überbrücken. Dies Beginnen mußte
um so mehr Aussicht auf Erfolg bieten, je früher mit ihm angefangen wurde.

Als Motto der deutscheu sozialstudeutischen Bewegung können die Worte
des Programms dienen, das der dänische Studentenbund bei seiner Gründung
im Jahre 1882 veröffentlichte. Dort lesen wir: „Was zur Gründung des
Studentenbundes führte, war die Erkenntnis, daß sich die studierende Jugend
nur einseitig entwickelte, wenn sie sich von den großen Geisteskämpfen, die das
dänische Volk erfüllten, fern hielt. Man wünschte dem Volke näher zu kommen,


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[0013] [Abbildung] Die Entwicklung und die Ziele der deutschen sozial¬ studentischen Bewegung Dr. Paul Dienstag- vonBerlin NMNM> as deutsche Studententum hat sich auf die Dauer der Beschäftigung mit der „sozialen Frage", die unstreitig zu den hervorragendsten Problemen unserer Zeit gehört, nicht entziehen können. Nachdem das deutsche Studeutentum sich lange, besonders seit der Gründung des Reiches, in einem Zustande der Stagnation befunden hatte, der jede innere Anteilnahme an den großen Fragen der Zeit vermissen ließ, hat die Entwicklung der modernen Technik, die, so fruchtbringend sie auch für die gesamte Volkswirtschaft war, für die Persönlichkeit des einzelnen oft die erheblichsten Nachteile mit sich brachte, eine Änderung dieses Zustandes angebahnt. Doch nicht allein der Wunsch, soziale Mißstände kennen zu lernen, um auf Grund dieser Kenntnis Maßnahmen zur Abhilfe vorzuschlagen, hat diese Tatsache bewirkt; weit mehr wirkte die Erkenntnis, daß es galt, soziale Gegen¬ sätze, die sich unter dem Drucke der wirtschaftlichen Verhältnisse immer schärfer herausbildeten und schließlich — nach einem Worte Disraelis — „zwei Nationen" in: Staate entstehen ließen, zu überbrücken. Dies Beginnen mußte um so mehr Aussicht auf Erfolg bieten, je früher mit ihm angefangen wurde. Als Motto der deutscheu sozialstudeutischen Bewegung können die Worte des Programms dienen, das der dänische Studentenbund bei seiner Gründung im Jahre 1882 veröffentlichte. Dort lesen wir: „Was zur Gründung des Studentenbundes führte, war die Erkenntnis, daß sich die studierende Jugend nur einseitig entwickelte, wenn sie sich von den großen Geisteskämpfen, die das dänische Volk erfüllten, fern hielt. Man wünschte dem Volke näher zu kommen, Grenzvoten III 1910 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/13>, abgerufen am 29.06.2024.