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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der Volksschullehrer und die deutsche Sprache
Von Lrich Schlaikjer

le Überschrift dieses Aufsatzes hat ein Buch von Rudolf Pannwitz
(im Verlag der "Hilfe", Schöneberg-Berlin) zum Titel. Er wirkt
etwas befremdend und so mag der Verfasser gleich selber sagen,
was er damit meint. Ich habe den Glauben, sagt er im ersten
Kapitel, daß der heutige deutsche Volksschullehrer berufen ist, für
Deutschland etwas zu tun, was bis jetzt noch keiner vermocht hat. Er soll unsere
Bildung wieder deutsch machen. Da wird er freilich nicht bloß mit unserer
Sprache zu tun haben. Aber jede Tätigkeit wird ihm auch mit unserer Sprache
zu tun geben. Und wie weit er im ganzen ist, das wird man darin sehen
können, wie weit er mit unserer Sprache ist. Ein ganzes Volk kann die Arbeit
nicht leisten und einzelne können es auch nicht leisten. Das Volk hat nie genug
Zutrauen zu sich, und die einzelnen haben nie genug Macht. Nur eine Berufs¬
gemeinschaft, als wirkliche Arbeitsgemeinschaft, kann es leisten. Und eine solche
könnten die deutschen Volksschullehrer werden, wenn sie genug Zutrauen zu ihren
eigenen Mitteln und Kräften hätten.

Pannmitz glaubt vor allem darum an die nationale Sendung der Volks¬
schullehrer, weil er in ihnen die Kraft vermutet, sich gegen die abstrakte und
dogmatische Wissenschaft der Universitäten aufzulehnen -- gegen die Wissenschaft,
von der man aus zweiter Hand so und so viel erfährt, um dann ein Examen
zu bestehen, die man aber nicht selbständig aus den Quellen der Erkenntnis
schöpft. Er verkennt nicht, daß das Sehnen des Volksschullehrers gerade nach
dieser Bildung geht, er tritt sogar dafür ein, daß er sie bekommt, weil er keinen
anderen Weg der Heilung sieht, als daß der Lehrer das Elend dieser Bildung
am eigenen Leibe oder vielmehr an der eigenen Seele erfahre. Er glaubt aber,
daß der Volksschullehrer, weil er aus dem Volk hervorgegangen ist und mitten


Grenzboten II 1910 68


Der Volksschullehrer und die deutsche Sprache
Von Lrich Schlaikjer

le Überschrift dieses Aufsatzes hat ein Buch von Rudolf Pannwitz
(im Verlag der „Hilfe", Schöneberg-Berlin) zum Titel. Er wirkt
etwas befremdend und so mag der Verfasser gleich selber sagen,
was er damit meint. Ich habe den Glauben, sagt er im ersten
Kapitel, daß der heutige deutsche Volksschullehrer berufen ist, für
Deutschland etwas zu tun, was bis jetzt noch keiner vermocht hat. Er soll unsere
Bildung wieder deutsch machen. Da wird er freilich nicht bloß mit unserer
Sprache zu tun haben. Aber jede Tätigkeit wird ihm auch mit unserer Sprache
zu tun geben. Und wie weit er im ganzen ist, das wird man darin sehen
können, wie weit er mit unserer Sprache ist. Ein ganzes Volk kann die Arbeit
nicht leisten und einzelne können es auch nicht leisten. Das Volk hat nie genug
Zutrauen zu sich, und die einzelnen haben nie genug Macht. Nur eine Berufs¬
gemeinschaft, als wirkliche Arbeitsgemeinschaft, kann es leisten. Und eine solche
könnten die deutschen Volksschullehrer werden, wenn sie genug Zutrauen zu ihren
eigenen Mitteln und Kräften hätten.

Pannmitz glaubt vor allem darum an die nationale Sendung der Volks¬
schullehrer, weil er in ihnen die Kraft vermutet, sich gegen die abstrakte und
dogmatische Wissenschaft der Universitäten aufzulehnen — gegen die Wissenschaft,
von der man aus zweiter Hand so und so viel erfährt, um dann ein Examen
zu bestehen, die man aber nicht selbständig aus den Quellen der Erkenntnis
schöpft. Er verkennt nicht, daß das Sehnen des Volksschullehrers gerade nach
dieser Bildung geht, er tritt sogar dafür ein, daß er sie bekommt, weil er keinen
anderen Weg der Heilung sieht, als daß der Lehrer das Elend dieser Bildung
am eigenen Leibe oder vielmehr an der eigenen Seele erfahre. Er glaubt aber,
daß der Volksschullehrer, weil er aus dem Volk hervorgegangen ist und mitten


Grenzboten II 1910 68
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[0549] [Abbildung] Der Volksschullehrer und die deutsche Sprache Von Lrich Schlaikjer le Überschrift dieses Aufsatzes hat ein Buch von Rudolf Pannwitz (im Verlag der „Hilfe", Schöneberg-Berlin) zum Titel. Er wirkt etwas befremdend und so mag der Verfasser gleich selber sagen, was er damit meint. Ich habe den Glauben, sagt er im ersten Kapitel, daß der heutige deutsche Volksschullehrer berufen ist, für Deutschland etwas zu tun, was bis jetzt noch keiner vermocht hat. Er soll unsere Bildung wieder deutsch machen. Da wird er freilich nicht bloß mit unserer Sprache zu tun haben. Aber jede Tätigkeit wird ihm auch mit unserer Sprache zu tun geben. Und wie weit er im ganzen ist, das wird man darin sehen können, wie weit er mit unserer Sprache ist. Ein ganzes Volk kann die Arbeit nicht leisten und einzelne können es auch nicht leisten. Das Volk hat nie genug Zutrauen zu sich, und die einzelnen haben nie genug Macht. Nur eine Berufs¬ gemeinschaft, als wirkliche Arbeitsgemeinschaft, kann es leisten. Und eine solche könnten die deutschen Volksschullehrer werden, wenn sie genug Zutrauen zu ihren eigenen Mitteln und Kräften hätten. Pannmitz glaubt vor allem darum an die nationale Sendung der Volks¬ schullehrer, weil er in ihnen die Kraft vermutet, sich gegen die abstrakte und dogmatische Wissenschaft der Universitäten aufzulehnen — gegen die Wissenschaft, von der man aus zweiter Hand so und so viel erfährt, um dann ein Examen zu bestehen, die man aber nicht selbständig aus den Quellen der Erkenntnis schöpft. Er verkennt nicht, daß das Sehnen des Volksschullehrers gerade nach dieser Bildung geht, er tritt sogar dafür ein, daß er sie bekommt, weil er keinen anderen Weg der Heilung sieht, als daß der Lehrer das Elend dieser Bildung am eigenen Leibe oder vielmehr an der eigenen Seele erfahre. Er glaubt aber, daß der Volksschullehrer, weil er aus dem Volk hervorgegangen ist und mitten Grenzboten II 1910 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/549>, abgerufen am 29.06.2024.