Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Von neuen Büchern Von neuen Büchern Walther Heymann: Nehrungsbilder (Königsberg, Deutschherren-Verlag). -- Was ich hier von der allgemeinen Beurteilung des deutschen Romans der Von neuen Büchern Von neuen Büchern Walther Heymann: Nehrungsbilder (Königsberg, Deutschherren-Verlag). — Was ich hier von der allgemeinen Beurteilung des deutschen Romans der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0633" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315630"/> <fw type="header" place="top"> Von neuen Büchern</fw><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Von neuen Büchern</head><lb/> <p xml:id="ID_2896"> Walther Heymann: Nehrungsbilder (Königsberg, Deutschherren-Verlag). —<lb/> Hertha König: Sonnenuhr (München, C. H. Beck). — Ulrich Steindorf:<lb/> Gedichte (Berlin, Harmonie). — Anna Klie: Gedichte (Braunschweig, Benno<lb/> Goeritz). — Rudolf Lindau: Nachlese (Berlin, E. Fleischel u. Co.). — Adolf<lb/> Küster, Die zehn Schornsteine (München, Alb. Langen). — Lily Braun:<lb/> Memoiren einer Sozialistin (München, Alb. Langen). — Sophie Hochstetter:<lb/> Frieda Freiin v. Bülow (Dresden, C. Reißner). — Fürstin Marie zu Hohen-<lb/> lohe und Ferdinand v. Saar. Briefwechsel, herausg. von Anton Bettelheim<lb/> (Wien, Christoph Riessers Söhne). — Isolde Kurz: Hermann Kurz. Und:<lb/> Florentinische Erinnerungen (Beide: München, Georg Müller).,— Karl Scheffler:<lb/> Berlin. Ein Stadtschicksal (Berlin, Erich Reiß).</p><lb/> <p xml:id="ID_2897" next="#ID_2898"> Was ich hier von der allgemeinen Beurteilung des deutschen Romans der<lb/> Gegenwart sagte, gilt auch von der Lyrik: Auch ihr wird alle Tage das Horoskop<lb/> gestellt mit dem rasch ge.fundnen Ergebnis, daß sie nichts Neues mehr bringe,<lb/> unheilbar, mit Fontane zu sprechen, „an der Dublettenkrankheit leide". Und auch<lb/> das ist ungerecht und kurzsichtig geurteilt. Sie hat genau denselben Entwicklungs¬<lb/> gang genommen wie der Roman, nur noch größere Höhen erflogen, uns an<lb/> größere Maßstäbe gewöhnt, und deshalb sind viele von uns ungerecht geworden.<lb/> Man vergleiche doch einmal unbefangen, was on neuer Lyrik in den sechziger<lb/> und siebziger Jahren und was dann in den drei Jahrzehnten seit 1880 geboren<lb/> wurde. In diesen letzten Jahrzehnten erst kamen die großen lyrischen Meister der<lb/> vierziger und fünfziger Jahre, Storm, Fontane, Keller, Hebbel, kamen Mörike.<lb/> Annette von Droste und Strachwitz zu später, voller Wirkung, und nun traten,<lb/> Liliencron an der Spitze, die Jüngeren auf, von Falke und Dehmel bis zu Rilke<lb/> und Agnes Miegel, eine große Zahl selbständiger, starker Begabungen, vor allem<lb/> eigner Individualitäten. Und selbst, wo der Strom im Laufe der Zeit einmal mehr .<lb/> flach und breit als tief und voll ward, blieb die Verszucht erfreulich, und neben<lb/> vielem Gesuchten und Gezierten, neben der Artistenlyrik einer überfeinerten Nerven¬<lb/> kultur grüßten uns immer wieder frische und vollgültige Töne. So habe ich hier<lb/> die beiden Versbände des Ostpreußen A. K. T. Tielo rühmen dürfen, und so hebe<lb/> ich heute die Lyrik eines andern, jüngern Ostpreußen, Walther Heymann, aus<lb/> der Menge. In seinem ersten Buch „Der Springbrunnen" (vor zwei Jahren bei<lb/> R. Piper u. Co. in München erschienen) gab er eine Reihe knapp zusammen¬<lb/> gefaßter und gut betonter Balladen, wie „Die goldene Kugel", sehr eigenartige<lb/> Bilder, sicher gesehene Vorgänge der Natur, die sich oft zu einer nicht immer so<lb/> sichern, aber leidenschaftlich suchenden Symbolik steigerten. In seinein neuen Buch<lb/> „Nehrungsbilder" (Königsberg, Deutschherren-Verlag) ist nun freilich des<lb/> Gesuchten, gelegentlich auch des Gezierten noch mehr. Gefährlicherweise glaubt<lb/> Heymann mit einer gewissen Ängstlichkeit, den landläufigen Ausdruck auch da ver¬<lb/> meiden zu müssen, wo er nichts als der natürliche und gegebene des Dichters<lb/> wäre. Dafür entschädigt er nun aber durch eine reifende Darstellung der Natur<lb/> in ihren größten Eindrücken. Die Aufschrift des Bandes weist auf die Nehrung<lb/> hin, die unvergleichlich eigenartige Landschaft des schmalen Streifens zwischen<lb/> Kurischem Haff und Ostsee — die letzte Dichtung des Bandes, „Hochdüne", gilt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0633]
Von neuen Büchern
Von neuen Büchern
Walther Heymann: Nehrungsbilder (Königsberg, Deutschherren-Verlag). —
Hertha König: Sonnenuhr (München, C. H. Beck). — Ulrich Steindorf:
Gedichte (Berlin, Harmonie). — Anna Klie: Gedichte (Braunschweig, Benno
Goeritz). — Rudolf Lindau: Nachlese (Berlin, E. Fleischel u. Co.). — Adolf
Küster, Die zehn Schornsteine (München, Alb. Langen). — Lily Braun:
Memoiren einer Sozialistin (München, Alb. Langen). — Sophie Hochstetter:
Frieda Freiin v. Bülow (Dresden, C. Reißner). — Fürstin Marie zu Hohen-
lohe und Ferdinand v. Saar. Briefwechsel, herausg. von Anton Bettelheim
(Wien, Christoph Riessers Söhne). — Isolde Kurz: Hermann Kurz. Und:
Florentinische Erinnerungen (Beide: München, Georg Müller).,— Karl Scheffler:
Berlin. Ein Stadtschicksal (Berlin, Erich Reiß).
Was ich hier von der allgemeinen Beurteilung des deutschen Romans der
Gegenwart sagte, gilt auch von der Lyrik: Auch ihr wird alle Tage das Horoskop
gestellt mit dem rasch ge.fundnen Ergebnis, daß sie nichts Neues mehr bringe,
unheilbar, mit Fontane zu sprechen, „an der Dublettenkrankheit leide". Und auch
das ist ungerecht und kurzsichtig geurteilt. Sie hat genau denselben Entwicklungs¬
gang genommen wie der Roman, nur noch größere Höhen erflogen, uns an
größere Maßstäbe gewöhnt, und deshalb sind viele von uns ungerecht geworden.
Man vergleiche doch einmal unbefangen, was on neuer Lyrik in den sechziger
und siebziger Jahren und was dann in den drei Jahrzehnten seit 1880 geboren
wurde. In diesen letzten Jahrzehnten erst kamen die großen lyrischen Meister der
vierziger und fünfziger Jahre, Storm, Fontane, Keller, Hebbel, kamen Mörike.
Annette von Droste und Strachwitz zu später, voller Wirkung, und nun traten,
Liliencron an der Spitze, die Jüngeren auf, von Falke und Dehmel bis zu Rilke
und Agnes Miegel, eine große Zahl selbständiger, starker Begabungen, vor allem
eigner Individualitäten. Und selbst, wo der Strom im Laufe der Zeit einmal mehr .
flach und breit als tief und voll ward, blieb die Verszucht erfreulich, und neben
vielem Gesuchten und Gezierten, neben der Artistenlyrik einer überfeinerten Nerven¬
kultur grüßten uns immer wieder frische und vollgültige Töne. So habe ich hier
die beiden Versbände des Ostpreußen A. K. T. Tielo rühmen dürfen, und so hebe
ich heute die Lyrik eines andern, jüngern Ostpreußen, Walther Heymann, aus
der Menge. In seinem ersten Buch „Der Springbrunnen" (vor zwei Jahren bei
R. Piper u. Co. in München erschienen) gab er eine Reihe knapp zusammen¬
gefaßter und gut betonter Balladen, wie „Die goldene Kugel", sehr eigenartige
Bilder, sicher gesehene Vorgänge der Natur, die sich oft zu einer nicht immer so
sichern, aber leidenschaftlich suchenden Symbolik steigerten. In seinein neuen Buch
„Nehrungsbilder" (Königsberg, Deutschherren-Verlag) ist nun freilich des
Gesuchten, gelegentlich auch des Gezierten noch mehr. Gefährlicherweise glaubt
Heymann mit einer gewissen Ängstlichkeit, den landläufigen Ausdruck auch da ver¬
meiden zu müssen, wo er nichts als der natürliche und gegebene des Dichters
wäre. Dafür entschädigt er nun aber durch eine reifende Darstellung der Natur
in ihren größten Eindrücken. Die Aufschrift des Bandes weist auf die Nehrung
hin, die unvergleichlich eigenartige Landschaft des schmalen Streifens zwischen
Kurischem Haff und Ostsee — die letzte Dichtung des Bandes, „Hochdüne", gilt
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