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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Menschen der Urzeit

Trotz alledem ist es keine Frage, daß die Sozialdemokratie mächtig unser
Volkstum aufwühlt. Jede Werkstatt und jedes Dorf ist der Schauplatz leiden¬
schaftlicher politischer Kämpfe geworden, die sich durchaus uicht mehr auf die
reinen Arbeiterfragen beschränken, sondern auch darauf gerichtet sind, den
"proletarischen Geist" in alle Staatsgeschäfte, auch in die nationale Verteidigung
und in die auswärtige Politik zu bringen. Es ist richtig, daß die sozialistische
Bewegung nicht völlig einheitlich zu wirken vermag, das mag ihre Stoßkraft
beeinträchtigen, aber jedenfalls nicht ihre Werbekraft, denn zu jedem Menschen
führen verschiedene Wege. Mögen also die einen, die die Revolutionstheorie
vertreten, mit der unbedingten und restlosen Eroberung des Staates durch ein
willensstarkes Proletariat die Massen begeistern, mögen die andern auf den,
Wege der Evolution, der sozialen Fortschritte, der Hebung der Lebenshaltung
des Arbeiters, der allmählichen Anpassung des Staats an die sozialistische Ideen¬
welt zugleich die politische Schulung der Arbeiter erstreben und erreichen, so
viel ist doch ersichtlich, daß die industrielle Arbeiterbewegung den Staat und
unsere Wirtschaftspolitik vor höchst bedeutende, aber auch vor höchst gefährliche
Aufgaben gestellt hat. Zu irgendwelchem Abschluß sind diese Probleme noch
nicht gekommen.

Zunächst strömen die Kräfte in Organisationen und Gegenorganisationen aus.

Überschaut man die politische Lage und die sozialen und wirtschaftlichen
Organisationen, so ist man offenbar noch weit entfernt vom sozialen Frieden
oder von Abrüstung. Vorläufig herrscht in dein Verhältnis von Unternehmer
und Arbeiter noch der Zustand vor, daß sich die Teile stark bewaffnen, um
sich gegenseitig nach Bedarf den Frieden diktieren zu können.




Zwei Menschen der Urzeit
von Ferd. Frhrn, v. Reitzenstein

ZWM
MGoch ist es nicht lange her, da stritt man sich nur die Existenz
des Menschen der Diluvialzeit. Mit schwerer Mühe gelang
es, die Spuren vou Taubach und Schussenried zu retten, und
! noch schwieriger wurde es, dem Schädel aus dem Neandertal bei
Düsseldorf seine Rehabilitation zu sichern. Als dann gar von
Piette die Schnitzereien von Brassempouu und ähnliche gefunden wurden,
glaubte man vielfach an Täuschungsversuche. Heute sind wir weiter. Wir
haben nicht nur die zweifelsfreien Spuren jenes Menschen, wir haben ihn
selbst, wenn es erlaubt ist, das Skelett eines Menschen mit ihm zu identifizieren.
Und schou stellen wir heute das Postulat nach dem Menschen des Tertiär, den


Zwei Menschen der Urzeit

Trotz alledem ist es keine Frage, daß die Sozialdemokratie mächtig unser
Volkstum aufwühlt. Jede Werkstatt und jedes Dorf ist der Schauplatz leiden¬
schaftlicher politischer Kämpfe geworden, die sich durchaus uicht mehr auf die
reinen Arbeiterfragen beschränken, sondern auch darauf gerichtet sind, den
„proletarischen Geist" in alle Staatsgeschäfte, auch in die nationale Verteidigung
und in die auswärtige Politik zu bringen. Es ist richtig, daß die sozialistische
Bewegung nicht völlig einheitlich zu wirken vermag, das mag ihre Stoßkraft
beeinträchtigen, aber jedenfalls nicht ihre Werbekraft, denn zu jedem Menschen
führen verschiedene Wege. Mögen also die einen, die die Revolutionstheorie
vertreten, mit der unbedingten und restlosen Eroberung des Staates durch ein
willensstarkes Proletariat die Massen begeistern, mögen die andern auf den,
Wege der Evolution, der sozialen Fortschritte, der Hebung der Lebenshaltung
des Arbeiters, der allmählichen Anpassung des Staats an die sozialistische Ideen¬
welt zugleich die politische Schulung der Arbeiter erstreben und erreichen, so
viel ist doch ersichtlich, daß die industrielle Arbeiterbewegung den Staat und
unsere Wirtschaftspolitik vor höchst bedeutende, aber auch vor höchst gefährliche
Aufgaben gestellt hat. Zu irgendwelchem Abschluß sind diese Probleme noch
nicht gekommen.

Zunächst strömen die Kräfte in Organisationen und Gegenorganisationen aus.

Überschaut man die politische Lage und die sozialen und wirtschaftlichen
Organisationen, so ist man offenbar noch weit entfernt vom sozialen Frieden
oder von Abrüstung. Vorläufig herrscht in dein Verhältnis von Unternehmer
und Arbeiter noch der Zustand vor, daß sich die Teile stark bewaffnen, um
sich gegenseitig nach Bedarf den Frieden diktieren zu können.




Zwei Menschen der Urzeit
von Ferd. Frhrn, v. Reitzenstein

ZWM
MGoch ist es nicht lange her, da stritt man sich nur die Existenz
des Menschen der Diluvialzeit. Mit schwerer Mühe gelang
es, die Spuren vou Taubach und Schussenried zu retten, und
! noch schwieriger wurde es, dem Schädel aus dem Neandertal bei
Düsseldorf seine Rehabilitation zu sichern. Als dann gar von
Piette die Schnitzereien von Brassempouu und ähnliche gefunden wurden,
glaubte man vielfach an Täuschungsversuche. Heute sind wir weiter. Wir
haben nicht nur die zweifelsfreien Spuren jenes Menschen, wir haben ihn
selbst, wenn es erlaubt ist, das Skelett eines Menschen mit ihm zu identifizieren.
Und schou stellen wir heute das Postulat nach dem Menschen des Tertiär, den


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[0560] Zwei Menschen der Urzeit Trotz alledem ist es keine Frage, daß die Sozialdemokratie mächtig unser Volkstum aufwühlt. Jede Werkstatt und jedes Dorf ist der Schauplatz leiden¬ schaftlicher politischer Kämpfe geworden, die sich durchaus uicht mehr auf die reinen Arbeiterfragen beschränken, sondern auch darauf gerichtet sind, den „proletarischen Geist" in alle Staatsgeschäfte, auch in die nationale Verteidigung und in die auswärtige Politik zu bringen. Es ist richtig, daß die sozialistische Bewegung nicht völlig einheitlich zu wirken vermag, das mag ihre Stoßkraft beeinträchtigen, aber jedenfalls nicht ihre Werbekraft, denn zu jedem Menschen führen verschiedene Wege. Mögen also die einen, die die Revolutionstheorie vertreten, mit der unbedingten und restlosen Eroberung des Staates durch ein willensstarkes Proletariat die Massen begeistern, mögen die andern auf den, Wege der Evolution, der sozialen Fortschritte, der Hebung der Lebenshaltung des Arbeiters, der allmählichen Anpassung des Staats an die sozialistische Ideen¬ welt zugleich die politische Schulung der Arbeiter erstreben und erreichen, so viel ist doch ersichtlich, daß die industrielle Arbeiterbewegung den Staat und unsere Wirtschaftspolitik vor höchst bedeutende, aber auch vor höchst gefährliche Aufgaben gestellt hat. Zu irgendwelchem Abschluß sind diese Probleme noch nicht gekommen. Zunächst strömen die Kräfte in Organisationen und Gegenorganisationen aus. Überschaut man die politische Lage und die sozialen und wirtschaftlichen Organisationen, so ist man offenbar noch weit entfernt vom sozialen Frieden oder von Abrüstung. Vorläufig herrscht in dein Verhältnis von Unternehmer und Arbeiter noch der Zustand vor, daß sich die Teile stark bewaffnen, um sich gegenseitig nach Bedarf den Frieden diktieren zu können. Zwei Menschen der Urzeit von Ferd. Frhrn, v. Reitzenstein ZWM MGoch ist es nicht lange her, da stritt man sich nur die Existenz des Menschen der Diluvialzeit. Mit schwerer Mühe gelang es, die Spuren vou Taubach und Schussenried zu retten, und ! noch schwieriger wurde es, dem Schädel aus dem Neandertal bei Düsseldorf seine Rehabilitation zu sichern. Als dann gar von Piette die Schnitzereien von Brassempouu und ähnliche gefunden wurden, glaubte man vielfach an Täuschungsversuche. Heute sind wir weiter. Wir haben nicht nur die zweifelsfreien Spuren jenes Menschen, wir haben ihn selbst, wenn es erlaubt ist, das Skelett eines Menschen mit ihm zu identifizieren. Und schou stellen wir heute das Postulat nach dem Menschen des Tertiär, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/560>, abgerufen am 04.07.2024.