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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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T>le Bedeutung und Berechtigung des spannenden
in der Literatur
von Alexander von Gleichen-Rnßwnrm

undervolle Goldsäle. Es plätschern Brunnen und duften Spezereien.
Im künstlich blauen Dämmer scheint es kühl.

Mit halbgeschlossenen Lidern ruht der Sultan ans seinen
Kissen; sein grausam schlaffer Mund ist spöttisch, die Hand spielt
mit den: Dolch.

Doch vor ihm kauert ein Weib. Ich weiß nicht, ob sie schön ist. Sie
scheint es, denn hinter der hell elfenbeinfarbigen Stirn geht immer etwas vor,
wandelbar sind die Augen. Nun öffnet sich der Mund, und die feinen bräun¬
lichen Finger reden mit lebhaftem Gebürdenspiel.

Da hebt sich der Sultan und stützt aufmerksam den Kopf in die Hand,
seine Augen öffnen sich weit. Er lauscht und lauscht, die lange heiße Nacht
und mehr als tausend Nächte lang.

Das ist die Macht des spannenden; das sind die Zauber der Scheherezade,
die hier um des lieben Lebens willen erzählen muß.

Der blasierte Sultan, den nichts Irdisches mehr begehrlich dünkt und den
selbst die Grausamkeit langweilt, wird erfrischt, verjüngt, vielleicht gebessert
durch die Kunst, die ihn von einer aufregenden Verwicklung zur andern führt,
ihn, deu Sicheren und Reichen, unter Räuber, Bettler und böse Geister bringt.

Das spannende wird oft verachtet und für unkünstlerisch gehalten. Man
vergißt, daß eine kunstvoll gesteigerte Spannung die besten Werke der größten
Dichter ziert. Es ist auch eine Tugend der kleinsten einfachsten Erzählung,
wenn sie spannend ist.

Das anmutige, leider immer seltener werdende "Z^voir conter" besaß die
liebenswürdige Eigenschaft, zu spannen ohne zu foltern. Man fühlt sich bei
den alten "Lonteur8" immer gewiegt und geschmeichelt wie von einer persönlich
sympathischen Stimme, während manche moderne, nervenfolternde Geschichte den
Eindruck erweckt, als höre man kreischende, unangenehm durchdringende Stimmen,
die bis ins Mark gehen.

Die Gegenwart verwechselt oft das spannende mit dem Verblüffenden.
Ein typisches Beispiel bietet Frank Wedekind. Er ist geradezu der Meister des




T>le Bedeutung und Berechtigung des spannenden
in der Literatur
von Alexander von Gleichen-Rnßwnrm

undervolle Goldsäle. Es plätschern Brunnen und duften Spezereien.
Im künstlich blauen Dämmer scheint es kühl.

Mit halbgeschlossenen Lidern ruht der Sultan ans seinen
Kissen; sein grausam schlaffer Mund ist spöttisch, die Hand spielt
mit den: Dolch.

Doch vor ihm kauert ein Weib. Ich weiß nicht, ob sie schön ist. Sie
scheint es, denn hinter der hell elfenbeinfarbigen Stirn geht immer etwas vor,
wandelbar sind die Augen. Nun öffnet sich der Mund, und die feinen bräun¬
lichen Finger reden mit lebhaftem Gebürdenspiel.

Da hebt sich der Sultan und stützt aufmerksam den Kopf in die Hand,
seine Augen öffnen sich weit. Er lauscht und lauscht, die lange heiße Nacht
und mehr als tausend Nächte lang.

Das ist die Macht des spannenden; das sind die Zauber der Scheherezade,
die hier um des lieben Lebens willen erzählen muß.

Der blasierte Sultan, den nichts Irdisches mehr begehrlich dünkt und den
selbst die Grausamkeit langweilt, wird erfrischt, verjüngt, vielleicht gebessert
durch die Kunst, die ihn von einer aufregenden Verwicklung zur andern führt,
ihn, deu Sicheren und Reichen, unter Räuber, Bettler und böse Geister bringt.

Das spannende wird oft verachtet und für unkünstlerisch gehalten. Man
vergißt, daß eine kunstvoll gesteigerte Spannung die besten Werke der größten
Dichter ziert. Es ist auch eine Tugend der kleinsten einfachsten Erzählung,
wenn sie spannend ist.

Das anmutige, leider immer seltener werdende „Z^voir conter" besaß die
liebenswürdige Eigenschaft, zu spannen ohne zu foltern. Man fühlt sich bei
den alten „Lonteur8" immer gewiegt und geschmeichelt wie von einer persönlich
sympathischen Stimme, während manche moderne, nervenfolternde Geschichte den
Eindruck erweckt, als höre man kreischende, unangenehm durchdringende Stimmen,
die bis ins Mark gehen.

Die Gegenwart verwechselt oft das spannende mit dem Verblüffenden.
Ein typisches Beispiel bietet Frank Wedekind. Er ist geradezu der Meister des


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[0548] [Abbildung] T>le Bedeutung und Berechtigung des spannenden in der Literatur von Alexander von Gleichen-Rnßwnrm undervolle Goldsäle. Es plätschern Brunnen und duften Spezereien. Im künstlich blauen Dämmer scheint es kühl. Mit halbgeschlossenen Lidern ruht der Sultan ans seinen Kissen; sein grausam schlaffer Mund ist spöttisch, die Hand spielt mit den: Dolch. Doch vor ihm kauert ein Weib. Ich weiß nicht, ob sie schön ist. Sie scheint es, denn hinter der hell elfenbeinfarbigen Stirn geht immer etwas vor, wandelbar sind die Augen. Nun öffnet sich der Mund, und die feinen bräun¬ lichen Finger reden mit lebhaftem Gebürdenspiel. Da hebt sich der Sultan und stützt aufmerksam den Kopf in die Hand, seine Augen öffnen sich weit. Er lauscht und lauscht, die lange heiße Nacht und mehr als tausend Nächte lang. Das ist die Macht des spannenden; das sind die Zauber der Scheherezade, die hier um des lieben Lebens willen erzählen muß. Der blasierte Sultan, den nichts Irdisches mehr begehrlich dünkt und den selbst die Grausamkeit langweilt, wird erfrischt, verjüngt, vielleicht gebessert durch die Kunst, die ihn von einer aufregenden Verwicklung zur andern führt, ihn, deu Sicheren und Reichen, unter Räuber, Bettler und böse Geister bringt. Das spannende wird oft verachtet und für unkünstlerisch gehalten. Man vergißt, daß eine kunstvoll gesteigerte Spannung die besten Werke der größten Dichter ziert. Es ist auch eine Tugend der kleinsten einfachsten Erzählung, wenn sie spannend ist. Das anmutige, leider immer seltener werdende „Z^voir conter" besaß die liebenswürdige Eigenschaft, zu spannen ohne zu foltern. Man fühlt sich bei den alten „Lonteur8" immer gewiegt und geschmeichelt wie von einer persönlich sympathischen Stimme, während manche moderne, nervenfolternde Geschichte den Eindruck erweckt, als höre man kreischende, unangenehm durchdringende Stimmen, die bis ins Mark gehen. Die Gegenwart verwechselt oft das spannende mit dem Verblüffenden. Ein typisches Beispiel bietet Frank Wedekind. Er ist geradezu der Meister des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/548>, abgerufen am 04.07.2024.