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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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") Im Aampf gegen die Übermacht
Berne Lie Roman von
Berechtigte Übersetzung von Mathilde Mann

Er ward zum erstenmal so ärgerlich, daß er sie stehen ließ. Er machte Kehrt
und ging nach Hause, geradewegs in seine Studierstube.

Beim Abendbrot war er stumm und begab sich gleich wieder auf sein Zimmer
hinauf. In erregten Gedanken wanderte er dort auf und nieder. Allen Ernstes
faßte er den Entschluß, sein Verhältnis zu Jungfer Thorborg sonnenklar zu legen,
sich offen und ehrlich loszusagen von all ihrem Leichtsinn und ihren frivolen
Anschauungen über die ernstesten Dinge im Leben, -- die anzuhören und sogar
scheinbar zu billigen er sich aus Feigheit und Schlaffheit hatte verlocken lassen . . .

Zur Schlafenzeit hörte er sie in ihre Kammer kommen. Er setzte sich hin,
nahm Feder und Tinte und fing an, niederzuschreiben -- so wie eine Predigt --,
was er ihr sagen wollte. Es war das Richtigste, sich von vornherein klar darüber
zu sein, denn es war nicht leicht, mit ihr zu diskutieren. Vielleicht würde es
geraten sein, ihr das Ganze als Brief zukommen zu lassen; er konnte ihn für sie
hinterlassen, wenn er morgen nach Sandövär fuhr. . .

Da knarrte -- in der nächtlichen Stille -- seine Stubentür. Er zuckte zusammen,
so daß sich die Kopfhaut unter den Haarwurzeln schrumpfte.

Thorborg steckte den Kopf herein.

"Erlauben Sie?"

Er erhob sich und ging ihr entgegen -- ganz verwirrt. . .

"Liebe Jungfer -- bitte schön. . ."

Sie glitt hastig und lautlos an ihm vorüber und setzte sich in den Lehnstuhl
am Tisch. Sie war in einen Nadmantel gehüllt, den sie unter dem Kinn
zusammenhielt.

"Ich finde keine Ruhe, ehe ich Ihnen eins gesagt habe," begann sie flehentlich-
"Ich will Sie auch nicht lange stören."

Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.

"Wenn Sie etwas auf dem Herzen haben, Jungfer Thorborg, so Nüssen Sie
ja, daß ich Sie gern anhöreI"

Sie saß eine Weile schweigend da, mit geschlossenen Augen. Endlich sah sie
zu ihm auf und flüsterte:

"Hat Ihnen irgend jemand erzählt, wer ich bin?"

"Wer -- Sie -- sind?"

"Was für eine Art Mensch ich bin -- meiner Geburt nach?"

"Soweit ich mich entsinnen kann, hat mir niemand etwas über Sie erzählt,"
sagte er in höchster Verwunderung.




«) Im Aampf gegen die Übermacht
Berne Lie Roman von
Berechtigte Übersetzung von Mathilde Mann

Er ward zum erstenmal so ärgerlich, daß er sie stehen ließ. Er machte Kehrt
und ging nach Hause, geradewegs in seine Studierstube.

Beim Abendbrot war er stumm und begab sich gleich wieder auf sein Zimmer
hinauf. In erregten Gedanken wanderte er dort auf und nieder. Allen Ernstes
faßte er den Entschluß, sein Verhältnis zu Jungfer Thorborg sonnenklar zu legen,
sich offen und ehrlich loszusagen von all ihrem Leichtsinn und ihren frivolen
Anschauungen über die ernstesten Dinge im Leben, — die anzuhören und sogar
scheinbar zu billigen er sich aus Feigheit und Schlaffheit hatte verlocken lassen . . .

Zur Schlafenzeit hörte er sie in ihre Kammer kommen. Er setzte sich hin,
nahm Feder und Tinte und fing an, niederzuschreiben — so wie eine Predigt —,
was er ihr sagen wollte. Es war das Richtigste, sich von vornherein klar darüber
zu sein, denn es war nicht leicht, mit ihr zu diskutieren. Vielleicht würde es
geraten sein, ihr das Ganze als Brief zukommen zu lassen; er konnte ihn für sie
hinterlassen, wenn er morgen nach Sandövär fuhr. . .

Da knarrte — in der nächtlichen Stille — seine Stubentür. Er zuckte zusammen,
so daß sich die Kopfhaut unter den Haarwurzeln schrumpfte.

Thorborg steckte den Kopf herein.

„Erlauben Sie?"

Er erhob sich und ging ihr entgegen — ganz verwirrt. . .

„Liebe Jungfer — bitte schön. . ."

Sie glitt hastig und lautlos an ihm vorüber und setzte sich in den Lehnstuhl
am Tisch. Sie war in einen Nadmantel gehüllt, den sie unter dem Kinn
zusammenhielt.

„Ich finde keine Ruhe, ehe ich Ihnen eins gesagt habe," begann sie flehentlich-
„Ich will Sie auch nicht lange stören."

Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.

„Wenn Sie etwas auf dem Herzen haben, Jungfer Thorborg, so Nüssen Sie
ja, daß ich Sie gern anhöreI"

Sie saß eine Weile schweigend da, mit geschlossenen Augen. Endlich sah sie
zu ihm auf und flüsterte:

„Hat Ihnen irgend jemand erzählt, wer ich bin?"

„Wer — Sie — sind?"

„Was für eine Art Mensch ich bin — meiner Geburt nach?"

„Soweit ich mich entsinnen kann, hat mir niemand etwas über Sie erzählt,"
sagte er in höchster Verwunderung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/526>, abgerufen am 04.07.2024.