Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Von den Schwaben in Südungarn sondern auf das zu schelten, was wir -- noch nicht verstehen. Als ich jene Von den Schwaben in Südungarn von Max Reisten W>s sind gegenwärtig wieder einmal schicksalsschwangere Zeiten in Von den Schwaben in Südungarn sondern auf das zu schelten, was wir — noch nicht verstehen. Als ich jene Von den Schwaben in Südungarn von Max Reisten W>s sind gegenwärtig wieder einmal schicksalsschwangere Zeiten in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315406"/> <fw type="header" place="top"> Von den Schwaben in Südungarn</fw><lb/> <p xml:id="ID_1791" prev="#ID_1790"> sondern auf das zu schelten, was wir — noch nicht verstehen. Als ich jene<lb/> Kunstwerke wiederholt hörte und sah, zogen sie mich immer mächtiger in ihren<lb/> Bann. Ich war längst ihr leidenschaftlicher, unabwendbar treuer Verehrer, als<lb/> mir die Einsicht aufging, die aus den Ergebnissen der modernen Naturwissen-<lb/> schaft, aus dem biogenetischen Grundgesetz, zu nur herüberkam : daß ich in mir<lb/> selbst die Entwicklung durcheilt habe und vielleicht durcheilen mußte, die die<lb/> Gesamtheit im Laufe von Jahrzehnten durchgemacht hat. Beethovens Sinfonien,<lb/> Wagners Opern, Ibsens Dramen und so vieles andere Große hat sich erst<lb/> allmählich durchsetzen müssen. Wir schütteln wohl heute den Kopf darüber,<lb/> wie jene höchsten Werke der Kunst bei ihrem Erscheinen erst einen Mangel an<lb/> Verständnis, oft sogar verbissene Ablehnung haben überwinden müssen, und<lb/> wissen dabei über uns selbst so wenig Bescheid, daß wir — ich darf getrost<lb/> verallgemeinern — übersehen, wie auch wir uns erst zu dem haben durchfinden<lb/> müssen, was wir heute nicht wieder missen möchten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Von den Schwaben in Südungarn<lb/><note type="byline"> von Max Reisten</note></head><lb/> <p xml:id="ID_1792" next="#ID_1793"> W>s sind gegenwärtig wieder einmal schicksalsschwangere Zeiten in<lb/> Ungarn. Die Deakschen Gesetze von? Jahre 1868, welche allen in<lb/> Ungarn wohnenden Nationalitäten den Unterricht in der Mutter¬<lb/> sprache für alle Zeiten versprachen, sind durch die Apponyischen<lb/> Schulgesetze der letzten Jahre zwar nicht offiziell aufgehoben, aber<lb/> tatsächlich so gut wie wertlos gemacht. Die zunehmenden Vorstöße<lb/> der Magyarisierung gegen alle andern damals gewährten Reservatrechte in bezug<lb/> auf den Gebrauch der Muttersprache, in der Selbstverwaltung und vor Amt und<lb/> Gericht, vergrößern von Tag zu Tag die Spannung zwischen dem herrschenden<lb/> Volk der Magyaren und den „Nationalitäten", d. h. allen den Bewohnern<lb/> Ungarns, welche ihre angestammte Nationalität. nicht aufgeben wollen. Auf<lb/> allen diesen, aus den Rumänen, Slovaken, Serben und Deutschen, lastet es wie<lb/> ein Alp, daß es den Magyaren immer wieder gelingt, ihren König an der<lb/> Einlösung seines Versprechens der Wahlrechtsreform zu verhindern. Einmal<lb/> muß das feierlich verheißene gerechte Wahlrecht aber doch kommen, das die<lb/> Hälfte der Bewohner Ungarns erst zu Vollbürgern machen wird. In diesem<lb/> Zeitpunkt dürfen wir im Reich wohl einen Anflug nach unsern Volksgenossen<lb/> im Süden Ungarns, nach den ca. 700000 „Schwaben" tun. Als ich sie im Jahre<lb/> 1901 besuchte, lag es noch wie ein Dornröschenschlaf über ihrem völkischen<lb/> Empfinden, doch „sah ich" — um mit Uhland zu sprechen — „manches Ange<lb/> stammen, und klopfen hört' ich manches Herz". Damals kümmerten sich die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0409]
Von den Schwaben in Südungarn
sondern auf das zu schelten, was wir — noch nicht verstehen. Als ich jene
Kunstwerke wiederholt hörte und sah, zogen sie mich immer mächtiger in ihren
Bann. Ich war längst ihr leidenschaftlicher, unabwendbar treuer Verehrer, als
mir die Einsicht aufging, die aus den Ergebnissen der modernen Naturwissen-
schaft, aus dem biogenetischen Grundgesetz, zu nur herüberkam : daß ich in mir
selbst die Entwicklung durcheilt habe und vielleicht durcheilen mußte, die die
Gesamtheit im Laufe von Jahrzehnten durchgemacht hat. Beethovens Sinfonien,
Wagners Opern, Ibsens Dramen und so vieles andere Große hat sich erst
allmählich durchsetzen müssen. Wir schütteln wohl heute den Kopf darüber,
wie jene höchsten Werke der Kunst bei ihrem Erscheinen erst einen Mangel an
Verständnis, oft sogar verbissene Ablehnung haben überwinden müssen, und
wissen dabei über uns selbst so wenig Bescheid, daß wir — ich darf getrost
verallgemeinern — übersehen, wie auch wir uns erst zu dem haben durchfinden
müssen, was wir heute nicht wieder missen möchten.
Von den Schwaben in Südungarn
von Max Reisten
W>s sind gegenwärtig wieder einmal schicksalsschwangere Zeiten in
Ungarn. Die Deakschen Gesetze von? Jahre 1868, welche allen in
Ungarn wohnenden Nationalitäten den Unterricht in der Mutter¬
sprache für alle Zeiten versprachen, sind durch die Apponyischen
Schulgesetze der letzten Jahre zwar nicht offiziell aufgehoben, aber
tatsächlich so gut wie wertlos gemacht. Die zunehmenden Vorstöße
der Magyarisierung gegen alle andern damals gewährten Reservatrechte in bezug
auf den Gebrauch der Muttersprache, in der Selbstverwaltung und vor Amt und
Gericht, vergrößern von Tag zu Tag die Spannung zwischen dem herrschenden
Volk der Magyaren und den „Nationalitäten", d. h. allen den Bewohnern
Ungarns, welche ihre angestammte Nationalität. nicht aufgeben wollen. Auf
allen diesen, aus den Rumänen, Slovaken, Serben und Deutschen, lastet es wie
ein Alp, daß es den Magyaren immer wieder gelingt, ihren König an der
Einlösung seines Versprechens der Wahlrechtsreform zu verhindern. Einmal
muß das feierlich verheißene gerechte Wahlrecht aber doch kommen, das die
Hälfte der Bewohner Ungarns erst zu Vollbürgern machen wird. In diesem
Zeitpunkt dürfen wir im Reich wohl einen Anflug nach unsern Volksgenossen
im Süden Ungarns, nach den ca. 700000 „Schwaben" tun. Als ich sie im Jahre
1901 besuchte, lag es noch wie ein Dornröschenschlaf über ihrem völkischen
Empfinden, doch „sah ich" — um mit Uhland zu sprechen — „manches Ange
stammen, und klopfen hört' ich manches Herz". Damals kümmerten sich die
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