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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Richard Dehmel
von Dr Fritz Böckel,

!n ^mein Briefe vom 27. November 1903 hatte nur Detlev von
Liliencron geschrieben: "Ich halte Richard Dehmel für den ersten
Dichter (Lyriker!) unserer Zeit. Er ist der Lyriker auch der neuen
Form. Er hat schon eine kleine Gemeinde. Diese "Gemeinde"
l wächst langsam, aber sicher. Er ist der Lyriker der Zukunft.
Macht darin genau denselben langen Weg, wie Richard Wagner ihn einst gemacht
hat. Und grade, daß er noch heute ewig belächelt, beschmutzt und lächerlich
gemacht wird, ist mir das sicherste Zeichen, daß er, er allein, der erste Lyriker
unserer Zeit (schon jetzt!) ist. Wir andern Lyriker (unserer Zeit) sind gegen
ihn so gut wie nichts. Ich erst recht!" -- An diesem Urteil hat Liliencron
festgehalten. Mehr als einmal hat er mir in solchem Sinne geschrieben.

Die ausführlichste Darlegung seiner Stellung, das freudigste Bekenntnis zu
Dehmel gab er noch in seinem letzten Buche, der Autobiographie "Leben und
Lüge", gleich wie ein Vermächtnis.

"Nur von einen: einzigen Dichter seiner Zeit war Kai ohne einen Zweifel
überzeugt, daß er in die Jahrhunderte hineingehen würde: von Richard Dehmel.
Kai schrieb folgendes über ihn in sein Tagebuch: Wenn ein Dichter wie Richard
Dehmel, auch als Mensch ein stolzer, liebenswerter, feiner, wahrer, starker
Charakter, unablässig mißverstanden und mißdeutet, von seinen Feinden immer
wieder angegriffen ivird -- nun, das ist wahrlich der beste Leumund, den ein
Künstler bei Lebzeiten haben kann. Denn dann wird und darf und muß er
sich sagen: Ich bin ein Künstler von steter Entwicklungskraft. Nur das Übliche
wird sofort verstanden. Man hat Richard Dehmel vorgeworfen, daß er zu viel
in sein Dichten .hineingrüble'. Welch ein törichter Vorwurf! Seine Schöpfungen
beweisen das Gegenteil: er dichtet immer nur aus den: Gefühlserlebnis heraus.
Wenn man ihm einen Vorwurf machen wollte, so wäre es der, daß er manchmal
zu klug ist. Ein Lyriker darf nicht .zu klug' sein. Jeder Künstler, jeder Schöpfer
ist ein Geheimnis. In Dehmel findet sich das immerwährend fesselnde Rätsel:
bei einem grenzenlosen Freiheitsdrang jenes unbedingte Pflichtgefühl, wie man
es vorbildlich am altpreußischen Staatsbeamten antrifft. Aber ist das nicht eine
köstliche Mitgabe ins Leben hinein? Richard Dehmel ist frei; er gehört keiner

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Richard Dehmel
von Dr Fritz Böckel,

!n ^mein Briefe vom 27. November 1903 hatte nur Detlev von
Liliencron geschrieben: „Ich halte Richard Dehmel für den ersten
Dichter (Lyriker!) unserer Zeit. Er ist der Lyriker auch der neuen
Form. Er hat schon eine kleine Gemeinde. Diese „Gemeinde"
l wächst langsam, aber sicher. Er ist der Lyriker der Zukunft.
Macht darin genau denselben langen Weg, wie Richard Wagner ihn einst gemacht
hat. Und grade, daß er noch heute ewig belächelt, beschmutzt und lächerlich
gemacht wird, ist mir das sicherste Zeichen, daß er, er allein, der erste Lyriker
unserer Zeit (schon jetzt!) ist. Wir andern Lyriker (unserer Zeit) sind gegen
ihn so gut wie nichts. Ich erst recht!" — An diesem Urteil hat Liliencron
festgehalten. Mehr als einmal hat er mir in solchem Sinne geschrieben.

Die ausführlichste Darlegung seiner Stellung, das freudigste Bekenntnis zu
Dehmel gab er noch in seinem letzten Buche, der Autobiographie „Leben und
Lüge", gleich wie ein Vermächtnis.

„Nur von einen: einzigen Dichter seiner Zeit war Kai ohne einen Zweifel
überzeugt, daß er in die Jahrhunderte hineingehen würde: von Richard Dehmel.
Kai schrieb folgendes über ihn in sein Tagebuch: Wenn ein Dichter wie Richard
Dehmel, auch als Mensch ein stolzer, liebenswerter, feiner, wahrer, starker
Charakter, unablässig mißverstanden und mißdeutet, von seinen Feinden immer
wieder angegriffen ivird — nun, das ist wahrlich der beste Leumund, den ein
Künstler bei Lebzeiten haben kann. Denn dann wird und darf und muß er
sich sagen: Ich bin ein Künstler von steter Entwicklungskraft. Nur das Übliche
wird sofort verstanden. Man hat Richard Dehmel vorgeworfen, daß er zu viel
in sein Dichten .hineingrüble'. Welch ein törichter Vorwurf! Seine Schöpfungen
beweisen das Gegenteil: er dichtet immer nur aus den: Gefühlserlebnis heraus.
Wenn man ihm einen Vorwurf machen wollte, so wäre es der, daß er manchmal
zu klug ist. Ein Lyriker darf nicht .zu klug' sein. Jeder Künstler, jeder Schöpfer
ist ein Geheimnis. In Dehmel findet sich das immerwährend fesselnde Rätsel:
bei einem grenzenlosen Freiheitsdrang jenes unbedingte Pflichtgefühl, wie man
es vorbildlich am altpreußischen Staatsbeamten antrifft. Aber ist das nicht eine
köstliche Mitgabe ins Leben hinein? Richard Dehmel ist frei; er gehört keiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/401>, abgerufen am 21.12.2024.