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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die Barbarinn

stets vor Augen halten, daß im heutigen Rechtsstaat ein jeder durch den Geist
der Verfassung und Gesetzgebung wohlverdienten Anspruch darauf hat, in seiner
persönlichen Interessensphäre durch Unannehmlichkeiten lind Ungelegenheiten so
lange ungestört zu bleiben, wie diese nicht durch das Interesse der Allgemeinheit
unvermeidlich notwendig gemacht werden. Dieser Satz bindet nicht nur den
Privatmann, sondern er zieht auch den behördlichen Organen die Grenzen für
ihr Tun und Unterlassen. Je mehr in amtlicher Tätigkeit versucht wird, per¬
sönlichen Verhältnissen und berechtigten Wünschen in den Kreisen des Publikums
Rechnung zu tragen, desto mehr wird der weitverbreitete Groll gegen Bureau¬
kratismus und Formalismus schwinden. Und gute Gelegenheit hierzu bieten
auch gar manche Dinge, die einem Beamten vom Standpunkte nur amtlicher
Tätigkeit als untergeordnet und nebensächlich erscheinen können.




Die Varbarina
von Professor Dr. w. Berg

in Anfang des Jahres 1744 hatte König Friedrich II. von Preußen
von seinem Residenten in Venedig, dem Grafen Cataneo, einen an
den Staatsminister Grafen v. Podewils gerichteten und vom
22. Januar datierten Brief erhalten, dessen Inhalt ihn mit heftigem
Zorn erfüllte. Der französisch geschriebene Brief lautete:


"Da die Allerhöchsten Befehle Sr. Majestät vom 31. Dezember
mir zur Pflicht machten, mich durch die vorhandenen Schwierigkeiten nicht von dem
Engagement der Barbarina abschrecken zu lassen, so bitte ich Ew. Exzellenz, Se. Majestät
in Kenntnis zu setzen, daß ich das venetianische Gouvernement durchaus nicht disponiert
gefunden habe, sich in diese Sache zu mischen, und daß ich mich daher an den fran¬
zösischen und spanischen Gesandten gewandt habe. Der erstere hat die Barbarin" am
nächsten Sonntag zu Tische eingeladen, und ich werde auch anwesend sein, um ihr mit
Güte zuzureden. Wenn ihr Engländer darauf besteht, sich widersetzen zu wollen, so
werde ich sie entführen, zu einem der Gesandten bringen und unter guter Eskorte nach
Berlin transportieren lassen, denn ich habe das Papier, in welchem sie sich bereit erklärt,
in die Dienste des Königs zu treten, in meinen Händen, und die Mutter ist eine sehr
bestimmte, feste Frau, welche durchaus will, daß ihre Tochter Wort hält. So haben
wir denn nicht allein das Recht, sondern auch die Schicklichkeit für uns, denn das arme
Mädchen würde mit dem Engländer geradezu in ihr Unglück rennen. Aber es ist nun
durchaus nötig, daß Se. Majestät mir sofort einen von Allerhöchstdemselben unter¬
schriebenen Kontrakt übersendet, welcher alle Bedingungen enthält, die ich in meiner
Depesche Ur. 223 vom 13. November angedeutet, und ich glaube, dafür stehen zu
können, daß, wenn dieses Mädchen nur erst in Berlin ist, es Sr. Majestät ein leichtes
sein wird, sie sür ihre ganze Lebenszeit zu engagieren."

Was war diesem Briefe vorausgegangen?

Man weiß, daß König Friedrich ein großes Verständnis sür die Bühnenkunst
besaß und ihr rege Teilnahme entgegenbrachte. Unter dein spartanischen Regiment
des Soldatenkönigs waren Theater und Musik ohne Pflege geblieben. Friedrich
Wilhelm I. hatte weder Sinn noch Geld "vor dergleichen Voluptuarim"; lieber


Grenzboten I 1910 4
Die Barbarinn

stets vor Augen halten, daß im heutigen Rechtsstaat ein jeder durch den Geist
der Verfassung und Gesetzgebung wohlverdienten Anspruch darauf hat, in seiner
persönlichen Interessensphäre durch Unannehmlichkeiten lind Ungelegenheiten so
lange ungestört zu bleiben, wie diese nicht durch das Interesse der Allgemeinheit
unvermeidlich notwendig gemacht werden. Dieser Satz bindet nicht nur den
Privatmann, sondern er zieht auch den behördlichen Organen die Grenzen für
ihr Tun und Unterlassen. Je mehr in amtlicher Tätigkeit versucht wird, per¬
sönlichen Verhältnissen und berechtigten Wünschen in den Kreisen des Publikums
Rechnung zu tragen, desto mehr wird der weitverbreitete Groll gegen Bureau¬
kratismus und Formalismus schwinden. Und gute Gelegenheit hierzu bieten
auch gar manche Dinge, die einem Beamten vom Standpunkte nur amtlicher
Tätigkeit als untergeordnet und nebensächlich erscheinen können.




Die Varbarina
von Professor Dr. w. Berg

in Anfang des Jahres 1744 hatte König Friedrich II. von Preußen
von seinem Residenten in Venedig, dem Grafen Cataneo, einen an
den Staatsminister Grafen v. Podewils gerichteten und vom
22. Januar datierten Brief erhalten, dessen Inhalt ihn mit heftigem
Zorn erfüllte. Der französisch geschriebene Brief lautete:


„Da die Allerhöchsten Befehle Sr. Majestät vom 31. Dezember
mir zur Pflicht machten, mich durch die vorhandenen Schwierigkeiten nicht von dem
Engagement der Barbarina abschrecken zu lassen, so bitte ich Ew. Exzellenz, Se. Majestät
in Kenntnis zu setzen, daß ich das venetianische Gouvernement durchaus nicht disponiert
gefunden habe, sich in diese Sache zu mischen, und daß ich mich daher an den fran¬
zösischen und spanischen Gesandten gewandt habe. Der erstere hat die Barbarin« am
nächsten Sonntag zu Tische eingeladen, und ich werde auch anwesend sein, um ihr mit
Güte zuzureden. Wenn ihr Engländer darauf besteht, sich widersetzen zu wollen, so
werde ich sie entführen, zu einem der Gesandten bringen und unter guter Eskorte nach
Berlin transportieren lassen, denn ich habe das Papier, in welchem sie sich bereit erklärt,
in die Dienste des Königs zu treten, in meinen Händen, und die Mutter ist eine sehr
bestimmte, feste Frau, welche durchaus will, daß ihre Tochter Wort hält. So haben
wir denn nicht allein das Recht, sondern auch die Schicklichkeit für uns, denn das arme
Mädchen würde mit dem Engländer geradezu in ihr Unglück rennen. Aber es ist nun
durchaus nötig, daß Se. Majestät mir sofort einen von Allerhöchstdemselben unter¬
schriebenen Kontrakt übersendet, welcher alle Bedingungen enthält, die ich in meiner
Depesche Ur. 223 vom 13. November angedeutet, und ich glaube, dafür stehen zu
können, daß, wenn dieses Mädchen nur erst in Berlin ist, es Sr. Majestät ein leichtes
sein wird, sie sür ihre ganze Lebenszeit zu engagieren."

Was war diesem Briefe vorausgegangen?

Man weiß, daß König Friedrich ein großes Verständnis sür die Bühnenkunst
besaß und ihr rege Teilnahme entgegenbrachte. Unter dein spartanischen Regiment
des Soldatenkönigs waren Theater und Musik ohne Pflege geblieben. Friedrich
Wilhelm I. hatte weder Sinn noch Geld „vor dergleichen Voluptuarim"; lieber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/37>, abgerufen am 21.12.2024.