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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die Rnndfrago

Visionen von Rembrandtschem Helldunkel, wechseln auch mit Szenen brutalster
und raffiniertester Grausamkeit, die ein gerechter Vergeltungsdrang in traumlosen
Schauer vor uns aufbaut. Köstlich ist es, wie immer wieder der Kapaunen
schlemmende und Blutwürste genau nach ihrer Herkunft auseinanderkennende
Lamm in der allgemeinen Not zum Helden wird, und tief ergreift es uns, wie
Ulenspiegel durch Blut und Kampf und vorübergehende Freiheit und Sieg und
Niederlage dem Schicksal nachschreitet, das ihm einst ein dunkler Spruch geweis¬
sagt hat. In einer großen Vision erblickt er, der doch schließlich die Verkörperung
flämischen Volksgeistes ist, und dessen Geliebte Rete das Herz Flanderns darstellt,
endlich das Schicksal seiner Heimat, Aber Belgien seufzt noch, da seine Wanderungen
enden, unter dem Joch des Papismus, während Holland und Seeland schon frei
sind. Und erst, wenn Habsucht zur Sparsamkeit, Zorn zur Lebhaftigkeit, Völlerei
zur Eßlust, Neid zum Wetteifer, Wolluft zur Liebe und Faulheit zur Träumerei
der Poeten und Weisen geworden ist, wird Ulenspiegels geliebtes Vaterland frei
sein. Dieser fröhlichen Gewißheit aber lebt er, und das Buch von ihm lehrt auch
uns an die Unbesiegbarkeit seiner im Grunde doch deutschen Art glauben. Was
aus "Reinke de Vos" Goethe stammverwandt ansprach und uns nun in seinen
Lauten anspricht, das lebt auch in diesem uns durch die neue, dankenswerte
Übersetzung geschenkten Werk. Es hat wie jedes Volksbuch Längen, manche
unorganische Verwicklung und Entwicklung, aber im ganzen ist es ein Werk voll
tiefer Schönheit, echten Humors und -- was das Beste ist -- voll echten, immer
neu bewährten Lebens. So sei ihm, das in Belgien nun wieder aufzuleben scheint,
auch in Deutschland Dauer gewünscht. Die alle krausen und alle großen Linien
der Dichtung feinfühlig nachziehende Verdeutschung Oppeln-Bronikowskis ist ein
Heinrich Spiero .Kunstwerk für sich.




Die Rundfrage

!uf dem Redaktionsbüreau der Zeitschrift "Ideal". Der Redakteur
> wühlt vor seinem Schreibpult in einem Haufen vergilbter Manuskripte.

^Der Herausgeber tritt ein.

Herausgeber. Guten Morgen!

Redakteur. Guten Morgen, Herr Doktor!

Herausgeber. Was Neues?

Redakteur. Nichts -- oder wenigstens nichts Erfreuliches.

Herausgeber. Inwiefern?

Redakteur. Für die nächsten Nummern sitzen wir vollständig auf dem
trockenen.

Herausgeber. Da liegt ja noch ein ganzer Berg von Manuskripten
vor Ihnen.

Redakteur. Lauter alte Ladenhüter -- von Anfängern oder Unbekannten.

Herausgeber. Ich meine, es sind recht hübsche und brauchbare Sachen
darunter. Sonst hätt' ich sie doch nicht angenommen.

Redakteur. Mag sein. An zweiter und dritter Stelle geht's schon. Aber
vorn brauchen wir notwendig gute Namen.


Die Rnndfrago

Visionen von Rembrandtschem Helldunkel, wechseln auch mit Szenen brutalster
und raffiniertester Grausamkeit, die ein gerechter Vergeltungsdrang in traumlosen
Schauer vor uns aufbaut. Köstlich ist es, wie immer wieder der Kapaunen
schlemmende und Blutwürste genau nach ihrer Herkunft auseinanderkennende
Lamm in der allgemeinen Not zum Helden wird, und tief ergreift es uns, wie
Ulenspiegel durch Blut und Kampf und vorübergehende Freiheit und Sieg und
Niederlage dem Schicksal nachschreitet, das ihm einst ein dunkler Spruch geweis¬
sagt hat. In einer großen Vision erblickt er, der doch schließlich die Verkörperung
flämischen Volksgeistes ist, und dessen Geliebte Rete das Herz Flanderns darstellt,
endlich das Schicksal seiner Heimat, Aber Belgien seufzt noch, da seine Wanderungen
enden, unter dem Joch des Papismus, während Holland und Seeland schon frei
sind. Und erst, wenn Habsucht zur Sparsamkeit, Zorn zur Lebhaftigkeit, Völlerei
zur Eßlust, Neid zum Wetteifer, Wolluft zur Liebe und Faulheit zur Träumerei
der Poeten und Weisen geworden ist, wird Ulenspiegels geliebtes Vaterland frei
sein. Dieser fröhlichen Gewißheit aber lebt er, und das Buch von ihm lehrt auch
uns an die Unbesiegbarkeit seiner im Grunde doch deutschen Art glauben. Was
aus „Reinke de Vos" Goethe stammverwandt ansprach und uns nun in seinen
Lauten anspricht, das lebt auch in diesem uns durch die neue, dankenswerte
Übersetzung geschenkten Werk. Es hat wie jedes Volksbuch Längen, manche
unorganische Verwicklung und Entwicklung, aber im ganzen ist es ein Werk voll
tiefer Schönheit, echten Humors und — was das Beste ist — voll echten, immer
neu bewährten Lebens. So sei ihm, das in Belgien nun wieder aufzuleben scheint,
auch in Deutschland Dauer gewünscht. Die alle krausen und alle großen Linien
der Dichtung feinfühlig nachziehende Verdeutschung Oppeln-Bronikowskis ist ein
Heinrich Spiero .Kunstwerk für sich.




Die Rundfrage

!uf dem Redaktionsbüreau der Zeitschrift „Ideal". Der Redakteur
> wühlt vor seinem Schreibpult in einem Haufen vergilbter Manuskripte.

^Der Herausgeber tritt ein.

Herausgeber. Guten Morgen!

Redakteur. Guten Morgen, Herr Doktor!

Herausgeber. Was Neues?

Redakteur. Nichts — oder wenigstens nichts Erfreuliches.

Herausgeber. Inwiefern?

Redakteur. Für die nächsten Nummern sitzen wir vollständig auf dem
trockenen.

Herausgeber. Da liegt ja noch ein ganzer Berg von Manuskripten
vor Ihnen.

Redakteur. Lauter alte Ladenhüter — von Anfängern oder Unbekannten.

Herausgeber. Ich meine, es sind recht hübsche und brauchbare Sachen
darunter. Sonst hätt' ich sie doch nicht angenommen.

Redakteur. Mag sein. An zweiter und dritter Stelle geht's schon. Aber
vorn brauchen wir notwendig gute Namen.


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[0345] Die Rnndfrago Visionen von Rembrandtschem Helldunkel, wechseln auch mit Szenen brutalster und raffiniertester Grausamkeit, die ein gerechter Vergeltungsdrang in traumlosen Schauer vor uns aufbaut. Köstlich ist es, wie immer wieder der Kapaunen schlemmende und Blutwürste genau nach ihrer Herkunft auseinanderkennende Lamm in der allgemeinen Not zum Helden wird, und tief ergreift es uns, wie Ulenspiegel durch Blut und Kampf und vorübergehende Freiheit und Sieg und Niederlage dem Schicksal nachschreitet, das ihm einst ein dunkler Spruch geweis¬ sagt hat. In einer großen Vision erblickt er, der doch schließlich die Verkörperung flämischen Volksgeistes ist, und dessen Geliebte Rete das Herz Flanderns darstellt, endlich das Schicksal seiner Heimat, Aber Belgien seufzt noch, da seine Wanderungen enden, unter dem Joch des Papismus, während Holland und Seeland schon frei sind. Und erst, wenn Habsucht zur Sparsamkeit, Zorn zur Lebhaftigkeit, Völlerei zur Eßlust, Neid zum Wetteifer, Wolluft zur Liebe und Faulheit zur Träumerei der Poeten und Weisen geworden ist, wird Ulenspiegels geliebtes Vaterland frei sein. Dieser fröhlichen Gewißheit aber lebt er, und das Buch von ihm lehrt auch uns an die Unbesiegbarkeit seiner im Grunde doch deutschen Art glauben. Was aus „Reinke de Vos" Goethe stammverwandt ansprach und uns nun in seinen Lauten anspricht, das lebt auch in diesem uns durch die neue, dankenswerte Übersetzung geschenkten Werk. Es hat wie jedes Volksbuch Längen, manche unorganische Verwicklung und Entwicklung, aber im ganzen ist es ein Werk voll tiefer Schönheit, echten Humors und — was das Beste ist — voll echten, immer neu bewährten Lebens. So sei ihm, das in Belgien nun wieder aufzuleben scheint, auch in Deutschland Dauer gewünscht. Die alle krausen und alle großen Linien der Dichtung feinfühlig nachziehende Verdeutschung Oppeln-Bronikowskis ist ein Heinrich Spiero .Kunstwerk für sich. Die Rundfrage !uf dem Redaktionsbüreau der Zeitschrift „Ideal". Der Redakteur > wühlt vor seinem Schreibpult in einem Haufen vergilbter Manuskripte. ^Der Herausgeber tritt ein. Herausgeber. Guten Morgen! Redakteur. Guten Morgen, Herr Doktor! Herausgeber. Was Neues? Redakteur. Nichts — oder wenigstens nichts Erfreuliches. Herausgeber. Inwiefern? Redakteur. Für die nächsten Nummern sitzen wir vollständig auf dem trockenen. Herausgeber. Da liegt ja noch ein ganzer Berg von Manuskripten vor Ihnen. Redakteur. Lauter alte Ladenhüter — von Anfängern oder Unbekannten. Herausgeber. Ich meine, es sind recht hübsche und brauchbare Sachen darunter. Sonst hätt' ich sie doch nicht angenommen. Redakteur. Mag sein. An zweiter und dritter Stelle geht's schon. Aber vorn brauchen wir notwendig gute Namen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/345>, abgerufen am 21.12.2024.