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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Zur Zivangspensionierungsfrage

"Ich denke nur, daß unsere heutigen rückständigen Schulen sich dann zu
Verfassungsstaaten im Kleinen entwickeln werden, wo der Direktor der kon¬
stitutionelle Monarch ist, der zu allein Ja und Amen sagt, das Lehrerkollegium
das Herrenhaus und die kräftigsten Individualitäten und Mundhelden unter den
Schülern die Kammer bilden. Die Lehrer werden selbst einsehen, daß diese
Entwicklung zu ihrem eignen Heile führt, denn wenn die Jugend ihre Gesetze
-- Lehrpläne und Schulordnung -- selbst votiere, so fällt die halbe Verantwortung
und das halbe Odium von den Schultern der Lehrer; ja selbst harte Gesetze
werden einen Nimbus erhalten, und die Schülerselbstmorde werden den senti¬
mentalen Glorienschein verlieren, den ein Teil der Presse und das Theater
jetzt um sie weben. Die Eltern schließlich denke ich mir in dieser Organisation
nur als stumme Steuerzahler und bessere Heloten, die höchstens ein Eingabe¬
recht an das Parlament besitzen. Aber diese Eingaben würden den Weg aller
Petitionen gehen, nämlich den in die Aktenschrünke." . . .

Der Professor hatte stillschweigend zugehört und seine Stirn hatte sich mehr
und mehr entrunzelt.

Jetzt erhob er fast lächelnd sein Seidel und sagte: "Glücklich, iver dabei
den Humor behält!"




Zur Zwangspensionierungsfrage
<Lin Beitrag zur Begründung der Notwendigkeit der Abänderung unserer
Pensionsgesetzgebung

^N>n folgendem soll nur von den nicht richterlichen Beamten die
Rede sein. Sie, die sich ans höheren, mittleren und unteren
Beamten zusammensetze, bilden die ungeheure Mehrzahl aller
Beamten. Die richterlichen Beamten, für die ein besonderes
Pensionsgesetz gilt, befinden sich ihnen gegenüber in fast ver¬
schwindender Minderzahl.

Alle uicht richterlichen Beamten unterstanden früher dem Pensionsgesetz von:
27. März 1872. Nach dem ursprünglichen Paragraph 30 dieses Gesetzes waren
für die unfreiwillige Pensionierung eines Beamten -- nur diese steht hier in
Frage -- die Paragraphen 88--93 des Disziplinargesetzes vom 21. Juli 18K2
maßgebend. Bevor früher einem Beamten, der sich weigerte in den Ruhe¬
stand zu treten, die Eröffnung gemacht werden konnte, daß der Fall seiner
Pensionierung vorliege, mußten ' unter Zuziehung eines beamteten Arztes
Ermittlungen über seine geistige und körperliche Rüstigkeit angestellt werden.
Innerhalb sechs Wochen uach einer solche" Eröffnung konnte der Beamte seine
Einwendungen dagegen bei der vorgesetzten Dienstbehörde vorbringen. Die
Verhandlungen wurden alsdann dein vorgesetzten Minister eingereicht, der über


Zur Zivangspensionierungsfrage

„Ich denke nur, daß unsere heutigen rückständigen Schulen sich dann zu
Verfassungsstaaten im Kleinen entwickeln werden, wo der Direktor der kon¬
stitutionelle Monarch ist, der zu allein Ja und Amen sagt, das Lehrerkollegium
das Herrenhaus und die kräftigsten Individualitäten und Mundhelden unter den
Schülern die Kammer bilden. Die Lehrer werden selbst einsehen, daß diese
Entwicklung zu ihrem eignen Heile führt, denn wenn die Jugend ihre Gesetze
— Lehrpläne und Schulordnung — selbst votiere, so fällt die halbe Verantwortung
und das halbe Odium von den Schultern der Lehrer; ja selbst harte Gesetze
werden einen Nimbus erhalten, und die Schülerselbstmorde werden den senti¬
mentalen Glorienschein verlieren, den ein Teil der Presse und das Theater
jetzt um sie weben. Die Eltern schließlich denke ich mir in dieser Organisation
nur als stumme Steuerzahler und bessere Heloten, die höchstens ein Eingabe¬
recht an das Parlament besitzen. Aber diese Eingaben würden den Weg aller
Petitionen gehen, nämlich den in die Aktenschrünke." . . .

Der Professor hatte stillschweigend zugehört und seine Stirn hatte sich mehr
und mehr entrunzelt.

Jetzt erhob er fast lächelnd sein Seidel und sagte: „Glücklich, iver dabei
den Humor behält!"




Zur Zwangspensionierungsfrage
<Lin Beitrag zur Begründung der Notwendigkeit der Abänderung unserer
Pensionsgesetzgebung

^N>n folgendem soll nur von den nicht richterlichen Beamten die
Rede sein. Sie, die sich ans höheren, mittleren und unteren
Beamten zusammensetze, bilden die ungeheure Mehrzahl aller
Beamten. Die richterlichen Beamten, für die ein besonderes
Pensionsgesetz gilt, befinden sich ihnen gegenüber in fast ver¬
schwindender Minderzahl.

Alle uicht richterlichen Beamten unterstanden früher dem Pensionsgesetz von:
27. März 1872. Nach dem ursprünglichen Paragraph 30 dieses Gesetzes waren
für die unfreiwillige Pensionierung eines Beamten — nur diese steht hier in
Frage — die Paragraphen 88—93 des Disziplinargesetzes vom 21. Juli 18K2
maßgebend. Bevor früher einem Beamten, der sich weigerte in den Ruhe¬
stand zu treten, die Eröffnung gemacht werden konnte, daß der Fall seiner
Pensionierung vorliege, mußten ' unter Zuziehung eines beamteten Arztes
Ermittlungen über seine geistige und körperliche Rüstigkeit angestellt werden.
Innerhalb sechs Wochen uach einer solche» Eröffnung konnte der Beamte seine
Einwendungen dagegen bei der vorgesetzten Dienstbehörde vorbringen. Die
Verhandlungen wurden alsdann dein vorgesetzten Minister eingereicht, der über


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[0127] Zur Zivangspensionierungsfrage „Ich denke nur, daß unsere heutigen rückständigen Schulen sich dann zu Verfassungsstaaten im Kleinen entwickeln werden, wo der Direktor der kon¬ stitutionelle Monarch ist, der zu allein Ja und Amen sagt, das Lehrerkollegium das Herrenhaus und die kräftigsten Individualitäten und Mundhelden unter den Schülern die Kammer bilden. Die Lehrer werden selbst einsehen, daß diese Entwicklung zu ihrem eignen Heile führt, denn wenn die Jugend ihre Gesetze — Lehrpläne und Schulordnung — selbst votiere, so fällt die halbe Verantwortung und das halbe Odium von den Schultern der Lehrer; ja selbst harte Gesetze werden einen Nimbus erhalten, und die Schülerselbstmorde werden den senti¬ mentalen Glorienschein verlieren, den ein Teil der Presse und das Theater jetzt um sie weben. Die Eltern schließlich denke ich mir in dieser Organisation nur als stumme Steuerzahler und bessere Heloten, die höchstens ein Eingabe¬ recht an das Parlament besitzen. Aber diese Eingaben würden den Weg aller Petitionen gehen, nämlich den in die Aktenschrünke." . . . Der Professor hatte stillschweigend zugehört und seine Stirn hatte sich mehr und mehr entrunzelt. Jetzt erhob er fast lächelnd sein Seidel und sagte: „Glücklich, iver dabei den Humor behält!" Zur Zwangspensionierungsfrage <Lin Beitrag zur Begründung der Notwendigkeit der Abänderung unserer Pensionsgesetzgebung ^N>n folgendem soll nur von den nicht richterlichen Beamten die Rede sein. Sie, die sich ans höheren, mittleren und unteren Beamten zusammensetze, bilden die ungeheure Mehrzahl aller Beamten. Die richterlichen Beamten, für die ein besonderes Pensionsgesetz gilt, befinden sich ihnen gegenüber in fast ver¬ schwindender Minderzahl. Alle uicht richterlichen Beamten unterstanden früher dem Pensionsgesetz von: 27. März 1872. Nach dem ursprünglichen Paragraph 30 dieses Gesetzes waren für die unfreiwillige Pensionierung eines Beamten — nur diese steht hier in Frage — die Paragraphen 88—93 des Disziplinargesetzes vom 21. Juli 18K2 maßgebend. Bevor früher einem Beamten, der sich weigerte in den Ruhe¬ stand zu treten, die Eröffnung gemacht werden konnte, daß der Fall seiner Pensionierung vorliege, mußten ' unter Zuziehung eines beamteten Arztes Ermittlungen über seine geistige und körperliche Rüstigkeit angestellt werden. Innerhalb sechs Wochen uach einer solche» Eröffnung konnte der Beamte seine Einwendungen dagegen bei der vorgesetzten Dienstbehörde vorbringen. Die Verhandlungen wurden alsdann dein vorgesetzten Minister eingereicht, der über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/127>, abgerufen am 04.07.2024.