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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

same Durchüben der einzelnen Stimmen, worin ich streng war, wurde ihnen
nicht zu viel.

Unsre Lieder tönten auf der ganzen Insel. Die großen Madchen sangen
sie, die Knechte, die Eltern, ja ein Unbekannter blies alle Abend, wenn ich
schon ganz gern schlafen wollte, unsre Tagesnovitäten sanft und schmelzend
auf der Okarina, wie um zu beweisen, daß er gut zugehört hatte.

Und der Zweck, der Nutzen? Ich glaube, ein kleiner Nutzen wird da
sein. Die Kinder haben viele der Lieder so fest in ihr Herz geschlossen, daß
sie sie nie vergessen werden und der kommenden Generation überliefern. Es
ist ein Sandkörnchen nur im Vergleich zu dem, was geschehen sollte -- aber
könnten nicht unter hundert Menschen wenigstens fünfundzwanzig solch ein
Sandkörnchen hinzutragen? Wenn sie es versuchten? Tue jeder, was er
kann, dann wird viel geschehen. Alljährlich gehn viele Hunderte junger
Mädchen in stille Sommerfrischen und langweilen sich. Wie wäre es, wenn
sie eine solche kleine Singschule errichteten? Die Mode der Strickschulen ist
vorüber -- sind die Singschulen weniger nützlich? Sie bringen so viel Sonne!
Und im Winter in den großen Städten, könnte man nicht ab und zu arme
Kinder um sich sammeln und sie zu einem Schluck gutem Kaffee ein paar
schöne alte Lieder lehren, die sie wieder zu Kindern machen und ihnen im
Herzen bleiben für später? Man könnte! Damit soll nicht gesagt werden,
daß nur junge Mädchen das tun sollten.

Nun wird es natürlich Menschen geben, denen es sehr gleichgiltig ist,
ob die Volkslieder noch gesungen werden oder nicht, und die nicht einsehen
können, was überhaupt an solch einem Lied "ist". Sollen die Kinder lieber
was Verständiges lernen, als das unnütze Zeug, nicht wahr?

Wollen wir uns verteidigen? Mit keinem Wort, selbstverständlich. Es
ist möglich zu verhindern, daß die Volkslieder vergessen werden und sterben.
Man muß sie nur lieb haben und fest überzeugt sein, daß nicht "andre" da
eingreifen sollten und wohl auch werden, sondern daß man selber die Hand
an den Pflug legen muß. Und daß es ein oberstes Gesetz auf der Welt gibt,
d n. von Sanden-Tnssainen as da heißt "Heute"!




Der rote Hahn
von palle Rosenkrantz. Deutsch von Zda Anders
(Fortsetzung)
Vierzehntes Aapitel. Verhör

er Assessor rief Frederiksen und ließ durch ihn den Arrestanten Hans
Jepsen hineinführen. Hans Jepsen wurde vor die Schranke gestellt.
Frederiksen nahm vor dem Protokoll Platz, während der Schutzmann
j Imsen als Zeuge fungierte. Richters Verhör war von einer eignen
kurzen, scharfen Art.

Na, Hans Jepsen, sagte er, haben Sie sich besonnen?

In dem Gesicht des kleinen, gedrungnen Hamsters stand Trotz geschrieben. Er
bezwang ihn und sagte friedlich: Ich habe es nicht getan.

Der Assessor schwieg.


Der rote Hahn

same Durchüben der einzelnen Stimmen, worin ich streng war, wurde ihnen
nicht zu viel.

Unsre Lieder tönten auf der ganzen Insel. Die großen Madchen sangen
sie, die Knechte, die Eltern, ja ein Unbekannter blies alle Abend, wenn ich
schon ganz gern schlafen wollte, unsre Tagesnovitäten sanft und schmelzend
auf der Okarina, wie um zu beweisen, daß er gut zugehört hatte.

Und der Zweck, der Nutzen? Ich glaube, ein kleiner Nutzen wird da
sein. Die Kinder haben viele der Lieder so fest in ihr Herz geschlossen, daß
sie sie nie vergessen werden und der kommenden Generation überliefern. Es
ist ein Sandkörnchen nur im Vergleich zu dem, was geschehen sollte — aber
könnten nicht unter hundert Menschen wenigstens fünfundzwanzig solch ein
Sandkörnchen hinzutragen? Wenn sie es versuchten? Tue jeder, was er
kann, dann wird viel geschehen. Alljährlich gehn viele Hunderte junger
Mädchen in stille Sommerfrischen und langweilen sich. Wie wäre es, wenn
sie eine solche kleine Singschule errichteten? Die Mode der Strickschulen ist
vorüber — sind die Singschulen weniger nützlich? Sie bringen so viel Sonne!
Und im Winter in den großen Städten, könnte man nicht ab und zu arme
Kinder um sich sammeln und sie zu einem Schluck gutem Kaffee ein paar
schöne alte Lieder lehren, die sie wieder zu Kindern machen und ihnen im
Herzen bleiben für später? Man könnte! Damit soll nicht gesagt werden,
daß nur junge Mädchen das tun sollten.

Nun wird es natürlich Menschen geben, denen es sehr gleichgiltig ist,
ob die Volkslieder noch gesungen werden oder nicht, und die nicht einsehen
können, was überhaupt an solch einem Lied „ist". Sollen die Kinder lieber
was Verständiges lernen, als das unnütze Zeug, nicht wahr?

Wollen wir uns verteidigen? Mit keinem Wort, selbstverständlich. Es
ist möglich zu verhindern, daß die Volkslieder vergessen werden und sterben.
Man muß sie nur lieb haben und fest überzeugt sein, daß nicht „andre" da
eingreifen sollten und wohl auch werden, sondern daß man selber die Hand
an den Pflug legen muß. Und daß es ein oberstes Gesetz auf der Welt gibt,
d n. von Sanden-Tnssainen as da heißt „Heute"!




Der rote Hahn
von palle Rosenkrantz. Deutsch von Zda Anders
(Fortsetzung)
Vierzehntes Aapitel. Verhör

er Assessor rief Frederiksen und ließ durch ihn den Arrestanten Hans
Jepsen hineinführen. Hans Jepsen wurde vor die Schranke gestellt.
Frederiksen nahm vor dem Protokoll Platz, während der Schutzmann
j Imsen als Zeuge fungierte. Richters Verhör war von einer eignen
kurzen, scharfen Art.

Na, Hans Jepsen, sagte er, haben Sie sich besonnen?

In dem Gesicht des kleinen, gedrungnen Hamsters stand Trotz geschrieben. Er
bezwang ihn und sagte friedlich: Ich habe es nicht getan.

Der Assessor schwieg.


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[0092] Der rote Hahn same Durchüben der einzelnen Stimmen, worin ich streng war, wurde ihnen nicht zu viel. Unsre Lieder tönten auf der ganzen Insel. Die großen Madchen sangen sie, die Knechte, die Eltern, ja ein Unbekannter blies alle Abend, wenn ich schon ganz gern schlafen wollte, unsre Tagesnovitäten sanft und schmelzend auf der Okarina, wie um zu beweisen, daß er gut zugehört hatte. Und der Zweck, der Nutzen? Ich glaube, ein kleiner Nutzen wird da sein. Die Kinder haben viele der Lieder so fest in ihr Herz geschlossen, daß sie sie nie vergessen werden und der kommenden Generation überliefern. Es ist ein Sandkörnchen nur im Vergleich zu dem, was geschehen sollte — aber könnten nicht unter hundert Menschen wenigstens fünfundzwanzig solch ein Sandkörnchen hinzutragen? Wenn sie es versuchten? Tue jeder, was er kann, dann wird viel geschehen. Alljährlich gehn viele Hunderte junger Mädchen in stille Sommerfrischen und langweilen sich. Wie wäre es, wenn sie eine solche kleine Singschule errichteten? Die Mode der Strickschulen ist vorüber — sind die Singschulen weniger nützlich? Sie bringen so viel Sonne! Und im Winter in den großen Städten, könnte man nicht ab und zu arme Kinder um sich sammeln und sie zu einem Schluck gutem Kaffee ein paar schöne alte Lieder lehren, die sie wieder zu Kindern machen und ihnen im Herzen bleiben für später? Man könnte! Damit soll nicht gesagt werden, daß nur junge Mädchen das tun sollten. Nun wird es natürlich Menschen geben, denen es sehr gleichgiltig ist, ob die Volkslieder noch gesungen werden oder nicht, und die nicht einsehen können, was überhaupt an solch einem Lied „ist". Sollen die Kinder lieber was Verständiges lernen, als das unnütze Zeug, nicht wahr? Wollen wir uns verteidigen? Mit keinem Wort, selbstverständlich. Es ist möglich zu verhindern, daß die Volkslieder vergessen werden und sterben. Man muß sie nur lieb haben und fest überzeugt sein, daß nicht „andre" da eingreifen sollten und wohl auch werden, sondern daß man selber die Hand an den Pflug legen muß. Und daß es ein oberstes Gesetz auf der Welt gibt, d n. von Sanden-Tnssainen as da heißt „Heute"! Der rote Hahn von palle Rosenkrantz. Deutsch von Zda Anders (Fortsetzung) Vierzehntes Aapitel. Verhör er Assessor rief Frederiksen und ließ durch ihn den Arrestanten Hans Jepsen hineinführen. Hans Jepsen wurde vor die Schranke gestellt. Frederiksen nahm vor dem Protokoll Platz, während der Schutzmann j Imsen als Zeuge fungierte. Richters Verhör war von einer eignen kurzen, scharfen Art. Na, Hans Jepsen, sagte er, haben Sie sich besonnen? In dem Gesicht des kleinen, gedrungnen Hamsters stand Trotz geschrieben. Er bezwang ihn und sagte friedlich: Ich habe es nicht getan. Der Assessor schwieg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/92>, abgerufen am 04.07.2024.