Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die kaufmännische Bildung
von Dr, Arthur Köhler

MH
MIl mener und immer wieder begegnet man der Anschauung, daß Theorie
und Praxis absolute Gegensätze seien, derart, daß der Mann des
praktischen Lebens nichts mit Theorie zu tun habe, während andrer¬
seits der Theoretiker nichts vom praktischen Leben verstehe. Wenn
! heute durch die Entwicklung der technischen, landwirtschaftlichen
und gewerblichen Bildungsanstalten schon ein gutes Stück von dieser früher
noch viel weiter verbreiteten Ansicht widerlegt worden ist, so gibt es doch noch
Leute genug, die jene Auffassung vornehmlich für den Beruf anwenden zu
müssen glauben, der wohl gerade im Mittelpunkte des praktischen Lebens steht,
für den Kaufmannsstand. Und doch hat dieser Beruf auf den jüngsten Stufen
seiner Entwicklung so außerordentliche Unterstützung durch rein theoretische
Seiten unsrer Kulturentwicklung erfahren -- wir wollen hier nur an das
moderne Verkehrswesen erinnern --, daß man besonders in Rücksicht auf den
Kaufmannsstand zu dem auch für andre Berufe nachgewiesnen Satz gedrängt
wird: das Element, das für irgendeine Seite menschlicher Tätigkeit den Fort¬
schritt und die Entwicklung mit sich führt, ist die theoretische Durchbildung der
betreffenden Berufstätigkeit. Denn was ist Theorie anders als die von prak¬
tischen Formen abstrahierte und in ein System zusammengefaßte Erkenntnis
der wichtigsten Kräfte!*) Das heißt aber nichts andres, als daß man mit
Hilfe der tiefgründigsten Durchdringung der Materie aus dem praktischen Leben
theoretische Formeln gewinnt, die man dann in der realen Wirklichkeit an¬
wendet. Ein Verfahren, das für andre Berufe längst anerkannt und teilweise
jahrhundertelang schon mit Erfolg angewandt worden ist. Wir brauchen
dabei nur an den Beruf des Arztes, des Ingenieurs, des Architekten, kurz an
alle die Berufe zu denken, bei denen die Kenntnis der realen Lebensformen
die Grundlage der für den Beruf nötigen wissenschaftlichen Systeme bildet.



*), Dieser Prozeß kann natürlich nicht ohne wissenschaftliches Denken ausgeführt werden.
Daß dieses wissenschaftliche Denken wiedemm nicht etwas für sich Existierendes ist, das keinerlei
Berührung mit dem Denken im praktischen Leben hat, sucht Karl Lamprecht in seiner Wirt¬
schaftsgeschichte der jüngsten Vergangenheit nachzuweisen, wenn er sagt: "Was ist wissenschaft¬
liches Denken anders als gewöhnliches Denken, nur beharrlich und systematisch angewandt auf
besonders verwickelte Gegenstände?"


Die kaufmännische Bildung
von Dr, Arthur Köhler

MH
MIl mener und immer wieder begegnet man der Anschauung, daß Theorie
und Praxis absolute Gegensätze seien, derart, daß der Mann des
praktischen Lebens nichts mit Theorie zu tun habe, während andrer¬
seits der Theoretiker nichts vom praktischen Leben verstehe. Wenn
! heute durch die Entwicklung der technischen, landwirtschaftlichen
und gewerblichen Bildungsanstalten schon ein gutes Stück von dieser früher
noch viel weiter verbreiteten Ansicht widerlegt worden ist, so gibt es doch noch
Leute genug, die jene Auffassung vornehmlich für den Beruf anwenden zu
müssen glauben, der wohl gerade im Mittelpunkte des praktischen Lebens steht,
für den Kaufmannsstand. Und doch hat dieser Beruf auf den jüngsten Stufen
seiner Entwicklung so außerordentliche Unterstützung durch rein theoretische
Seiten unsrer Kulturentwicklung erfahren — wir wollen hier nur an das
moderne Verkehrswesen erinnern —, daß man besonders in Rücksicht auf den
Kaufmannsstand zu dem auch für andre Berufe nachgewiesnen Satz gedrängt
wird: das Element, das für irgendeine Seite menschlicher Tätigkeit den Fort¬
schritt und die Entwicklung mit sich führt, ist die theoretische Durchbildung der
betreffenden Berufstätigkeit. Denn was ist Theorie anders als die von prak¬
tischen Formen abstrahierte und in ein System zusammengefaßte Erkenntnis
der wichtigsten Kräfte!*) Das heißt aber nichts andres, als daß man mit
Hilfe der tiefgründigsten Durchdringung der Materie aus dem praktischen Leben
theoretische Formeln gewinnt, die man dann in der realen Wirklichkeit an¬
wendet. Ein Verfahren, das für andre Berufe längst anerkannt und teilweise
jahrhundertelang schon mit Erfolg angewandt worden ist. Wir brauchen
dabei nur an den Beruf des Arztes, des Ingenieurs, des Architekten, kurz an
alle die Berufe zu denken, bei denen die Kenntnis der realen Lebensformen
die Grundlage der für den Beruf nötigen wissenschaftlichen Systeme bildet.



*), Dieser Prozeß kann natürlich nicht ohne wissenschaftliches Denken ausgeführt werden.
Daß dieses wissenschaftliche Denken wiedemm nicht etwas für sich Existierendes ist, das keinerlei
Berührung mit dem Denken im praktischen Leben hat, sucht Karl Lamprecht in seiner Wirt¬
schaftsgeschichte der jüngsten Vergangenheit nachzuweisen, wenn er sagt: „Was ist wissenschaft¬
liches Denken anders als gewöhnliches Denken, nur beharrlich und systematisch angewandt auf
besonders verwickelte Gegenstände?"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314426"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341889_314346/figures/grenzboten_341889_314346_314426_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die kaufmännische Bildung<lb/><note type="byline"> von Dr, Arthur Köhler </note> </head><lb/>
          <p xml:id="ID_299" next="#ID_300"> MH<lb/>
MIl mener und immer wieder begegnet man der Anschauung, daß Theorie<lb/>
und Praxis absolute Gegensätze seien, derart, daß der Mann des<lb/>
praktischen Lebens nichts mit Theorie zu tun habe, während andrer¬<lb/>
seits der Theoretiker nichts vom praktischen Leben verstehe. Wenn<lb/>
! heute durch die Entwicklung der technischen, landwirtschaftlichen<lb/>
und gewerblichen Bildungsanstalten schon ein gutes Stück von dieser früher<lb/>
noch viel weiter verbreiteten Ansicht widerlegt worden ist, so gibt es doch noch<lb/>
Leute genug, die jene Auffassung vornehmlich für den Beruf anwenden zu<lb/>
müssen glauben, der wohl gerade im Mittelpunkte des praktischen Lebens steht,<lb/>
für den Kaufmannsstand. Und doch hat dieser Beruf auf den jüngsten Stufen<lb/>
seiner Entwicklung so außerordentliche Unterstützung durch rein theoretische<lb/>
Seiten unsrer Kulturentwicklung erfahren &#x2014; wir wollen hier nur an das<lb/>
moderne Verkehrswesen erinnern &#x2014;, daß man besonders in Rücksicht auf den<lb/>
Kaufmannsstand zu dem auch für andre Berufe nachgewiesnen Satz gedrängt<lb/>
wird: das Element, das für irgendeine Seite menschlicher Tätigkeit den Fort¬<lb/>
schritt und die Entwicklung mit sich führt, ist die theoretische Durchbildung der<lb/>
betreffenden Berufstätigkeit. Denn was ist Theorie anders als die von prak¬<lb/>
tischen Formen abstrahierte und in ein System zusammengefaßte Erkenntnis<lb/>
der wichtigsten Kräfte!*) Das heißt aber nichts andres, als daß man mit<lb/>
Hilfe der tiefgründigsten Durchdringung der Materie aus dem praktischen Leben<lb/>
theoretische Formeln gewinnt, die man dann in der realen Wirklichkeit an¬<lb/>
wendet. Ein Verfahren, das für andre Berufe längst anerkannt und teilweise<lb/>
jahrhundertelang schon mit Erfolg angewandt worden ist. Wir brauchen<lb/>
dabei nur an den Beruf des Arztes, des Ingenieurs, des Architekten, kurz an<lb/>
alle die Berufe zu denken, bei denen die Kenntnis der realen Lebensformen<lb/>
die Grundlage der für den Beruf nötigen wissenschaftlichen Systeme bildet.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_6" place="foot"> *), Dieser Prozeß kann natürlich nicht ohne wissenschaftliches Denken ausgeführt werden.<lb/>
Daß dieses wissenschaftliche Denken wiedemm nicht etwas für sich Existierendes ist, das keinerlei<lb/>
Berührung mit dem Denken im praktischen Leben hat, sucht Karl Lamprecht in seiner Wirt¬<lb/>
schaftsgeschichte der jüngsten Vergangenheit nachzuweisen, wenn er sagt: &#x201E;Was ist wissenschaft¬<lb/>
liches Denken anders als gewöhnliches Denken, nur beharrlich und systematisch angewandt auf<lb/>
besonders verwickelte Gegenstände?"</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0079] [Abbildung] Die kaufmännische Bildung von Dr, Arthur Köhler MH MIl mener und immer wieder begegnet man der Anschauung, daß Theorie und Praxis absolute Gegensätze seien, derart, daß der Mann des praktischen Lebens nichts mit Theorie zu tun habe, während andrer¬ seits der Theoretiker nichts vom praktischen Leben verstehe. Wenn ! heute durch die Entwicklung der technischen, landwirtschaftlichen und gewerblichen Bildungsanstalten schon ein gutes Stück von dieser früher noch viel weiter verbreiteten Ansicht widerlegt worden ist, so gibt es doch noch Leute genug, die jene Auffassung vornehmlich für den Beruf anwenden zu müssen glauben, der wohl gerade im Mittelpunkte des praktischen Lebens steht, für den Kaufmannsstand. Und doch hat dieser Beruf auf den jüngsten Stufen seiner Entwicklung so außerordentliche Unterstützung durch rein theoretische Seiten unsrer Kulturentwicklung erfahren — wir wollen hier nur an das moderne Verkehrswesen erinnern —, daß man besonders in Rücksicht auf den Kaufmannsstand zu dem auch für andre Berufe nachgewiesnen Satz gedrängt wird: das Element, das für irgendeine Seite menschlicher Tätigkeit den Fort¬ schritt und die Entwicklung mit sich führt, ist die theoretische Durchbildung der betreffenden Berufstätigkeit. Denn was ist Theorie anders als die von prak¬ tischen Formen abstrahierte und in ein System zusammengefaßte Erkenntnis der wichtigsten Kräfte!*) Das heißt aber nichts andres, als daß man mit Hilfe der tiefgründigsten Durchdringung der Materie aus dem praktischen Leben theoretische Formeln gewinnt, die man dann in der realen Wirklichkeit an¬ wendet. Ein Verfahren, das für andre Berufe längst anerkannt und teilweise jahrhundertelang schon mit Erfolg angewandt worden ist. Wir brauchen dabei nur an den Beruf des Arztes, des Ingenieurs, des Architekten, kurz an alle die Berufe zu denken, bei denen die Kenntnis der realen Lebensformen die Grundlage der für den Beruf nötigen wissenschaftlichen Systeme bildet. *), Dieser Prozeß kann natürlich nicht ohne wissenschaftliches Denken ausgeführt werden. Daß dieses wissenschaftliche Denken wiedemm nicht etwas für sich Existierendes ist, das keinerlei Berührung mit dem Denken im praktischen Leben hat, sucht Karl Lamprecht in seiner Wirt¬ schaftsgeschichte der jüngsten Vergangenheit nachzuweisen, wenn er sagt: „Was ist wissenschaft¬ liches Denken anders als gewöhnliches Denken, nur beharrlich und systematisch angewandt auf besonders verwickelte Gegenstände?"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/79
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/79>, abgerufen am 24.07.2024.