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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die Lremitagenallee

aber was ich davon in den Kritiken, den wohlwollenden und den begeisterten
gelesen habe, bringt mich auf den Gedanken, daß auch das Künstlertheater eben¬
sowenig wie die Drehbühne mein Geschmack sein würde. Transzendentales Ver¬
stehen und Empfinden ist freilich modern, und es ist mir bekannt, daß dem wahren
Kunstjünger nichts gezeigt zu werden braucht, und daß er doch etwas sieht: er
sieht, was er sehen soll, auch ohne daß es ihm gezeigt wird: er sieht es aus
sich heraus. Das, wird uns gesagt, ist das Wahre, und es ist nebenbei auch
das, was so manche Schwierigkeit der szenischen Darstellung und namentlich
des Szenenwechsels hinwegräumt. Wenn einem beim Prolog im Himmel statt
des ewigen Strahlenmeers eine "schön getönte weiße Wand" gezeigt wird, so
ist das begreiflicherweise für den wirklich begnadeten Seher schon mehr als
genug: aus der Fülle seiner rastlosen Phantasie erschafft er sich einen Himmel,
an den selbstverständlicherweise kein Bühnenhimmel heranreicht. Und wenn die
Szenen, die Goethe unter der Bezeichnung "vor dem Tore" in ein Wandelbild
zusammenfaßt, auf einer Brücke spielen -- mein Gewährsmann berichtete nicht,
was man sonst noch von der Erde sah --, so heißt das doch der menschlichen
Schwäche und Schaulust schon sehr entgegenkommen, denn wer hätte etwas
dagegen haben können, wenn er nur wieder dieselbe schön getünchte Wand zu
sehen bekommen hätte und auf die eine oder die andre Weise bedeutet worden
wäre, dahinter habe er sich zu denken, was der Dichter als vor dem Tore
liegend bezeichnet habe. Dem Adepten genügt das und muß es genügen: ich
fürchte, ich würde mich dabei in der trostlosen Lage des Schaulustigen be¬
funden haben, von dem der Affe erwartete, er solle vor Entzücken außer sich
sein über die herrlichen Projektionen seiner Laterna Magica, in der er die
Lampe anzubrennen unterlassen hatte.




Die Eremitagenallee
E Sophus Lausitz. rzählung von Aus dein Dänischen übersetzt von Mathilde Mann"')

>s ist jetzt schon eine Reihe von Jahren her, als ich zusammen mit
drei Bekannten eines Nachmittags, am 9. August, mit dem Zuge
von Kopenhagen nach Fredensborg fuhr.

Wir wollten im Schloßpark die Sonne am Ende der Eremitagen¬
allee untergehn sehen, und das tut sie nur an zwei, drei Abenden
>im Jahre. Der Landschaftsmaler Lund und ich hatten es zufällig
im vorhergehenden Jahre gesehen und hatten so viel von dem eigentümlich er¬
greifenden Anblick geredet, wenn die goldne Scheibe zwischen den ehrwürdigen
Linden der Allee hinabsinkt und jenseits der Wasser des Esromsees untertaucht,



Diese Erzählung ist dem soeben im Verlag von Fr Wilh, Grunow erschienenen Bande:
Truggold und andre Erzählungen von Sovhus Vauditz entnommen, auf den wir unsre Leser
besonders aufmerksam machen wollen. Der bekannte dänische Verfasser bietet darin wieder
reizvolle, von köstlichem Humor erfüllte Bilder.
Grenzboten IV 190g 42
Die Lremitagenallee

aber was ich davon in den Kritiken, den wohlwollenden und den begeisterten
gelesen habe, bringt mich auf den Gedanken, daß auch das Künstlertheater eben¬
sowenig wie die Drehbühne mein Geschmack sein würde. Transzendentales Ver¬
stehen und Empfinden ist freilich modern, und es ist mir bekannt, daß dem wahren
Kunstjünger nichts gezeigt zu werden braucht, und daß er doch etwas sieht: er
sieht, was er sehen soll, auch ohne daß es ihm gezeigt wird: er sieht es aus
sich heraus. Das, wird uns gesagt, ist das Wahre, und es ist nebenbei auch
das, was so manche Schwierigkeit der szenischen Darstellung und namentlich
des Szenenwechsels hinwegräumt. Wenn einem beim Prolog im Himmel statt
des ewigen Strahlenmeers eine „schön getönte weiße Wand" gezeigt wird, so
ist das begreiflicherweise für den wirklich begnadeten Seher schon mehr als
genug: aus der Fülle seiner rastlosen Phantasie erschafft er sich einen Himmel,
an den selbstverständlicherweise kein Bühnenhimmel heranreicht. Und wenn die
Szenen, die Goethe unter der Bezeichnung „vor dem Tore" in ein Wandelbild
zusammenfaßt, auf einer Brücke spielen — mein Gewährsmann berichtete nicht,
was man sonst noch von der Erde sah —, so heißt das doch der menschlichen
Schwäche und Schaulust schon sehr entgegenkommen, denn wer hätte etwas
dagegen haben können, wenn er nur wieder dieselbe schön getünchte Wand zu
sehen bekommen hätte und auf die eine oder die andre Weise bedeutet worden
wäre, dahinter habe er sich zu denken, was der Dichter als vor dem Tore
liegend bezeichnet habe. Dem Adepten genügt das und muß es genügen: ich
fürchte, ich würde mich dabei in der trostlosen Lage des Schaulustigen be¬
funden haben, von dem der Affe erwartete, er solle vor Entzücken außer sich
sein über die herrlichen Projektionen seiner Laterna Magica, in der er die
Lampe anzubrennen unterlassen hatte.




Die Eremitagenallee
E Sophus Lausitz. rzählung von Aus dein Dänischen übersetzt von Mathilde Mann"')

>s ist jetzt schon eine Reihe von Jahren her, als ich zusammen mit
drei Bekannten eines Nachmittags, am 9. August, mit dem Zuge
von Kopenhagen nach Fredensborg fuhr.

Wir wollten im Schloßpark die Sonne am Ende der Eremitagen¬
allee untergehn sehen, und das tut sie nur an zwei, drei Abenden
>im Jahre. Der Landschaftsmaler Lund und ich hatten es zufällig
im vorhergehenden Jahre gesehen und hatten so viel von dem eigentümlich er¬
greifenden Anblick geredet, wenn die goldne Scheibe zwischen den ehrwürdigen
Linden der Allee hinabsinkt und jenseits der Wasser des Esromsees untertaucht,



Diese Erzählung ist dem soeben im Verlag von Fr Wilh, Grunow erschienenen Bande:
Truggold und andre Erzählungen von Sovhus Vauditz entnommen, auf den wir unsre Leser
besonders aufmerksam machen wollen. Der bekannte dänische Verfasser bietet darin wieder
reizvolle, von köstlichem Humor erfüllte Bilder.
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[0333] Die Lremitagenallee aber was ich davon in den Kritiken, den wohlwollenden und den begeisterten gelesen habe, bringt mich auf den Gedanken, daß auch das Künstlertheater eben¬ sowenig wie die Drehbühne mein Geschmack sein würde. Transzendentales Ver¬ stehen und Empfinden ist freilich modern, und es ist mir bekannt, daß dem wahren Kunstjünger nichts gezeigt zu werden braucht, und daß er doch etwas sieht: er sieht, was er sehen soll, auch ohne daß es ihm gezeigt wird: er sieht es aus sich heraus. Das, wird uns gesagt, ist das Wahre, und es ist nebenbei auch das, was so manche Schwierigkeit der szenischen Darstellung und namentlich des Szenenwechsels hinwegräumt. Wenn einem beim Prolog im Himmel statt des ewigen Strahlenmeers eine „schön getönte weiße Wand" gezeigt wird, so ist das begreiflicherweise für den wirklich begnadeten Seher schon mehr als genug: aus der Fülle seiner rastlosen Phantasie erschafft er sich einen Himmel, an den selbstverständlicherweise kein Bühnenhimmel heranreicht. Und wenn die Szenen, die Goethe unter der Bezeichnung „vor dem Tore" in ein Wandelbild zusammenfaßt, auf einer Brücke spielen — mein Gewährsmann berichtete nicht, was man sonst noch von der Erde sah —, so heißt das doch der menschlichen Schwäche und Schaulust schon sehr entgegenkommen, denn wer hätte etwas dagegen haben können, wenn er nur wieder dieselbe schön getünchte Wand zu sehen bekommen hätte und auf die eine oder die andre Weise bedeutet worden wäre, dahinter habe er sich zu denken, was der Dichter als vor dem Tore liegend bezeichnet habe. Dem Adepten genügt das und muß es genügen: ich fürchte, ich würde mich dabei in der trostlosen Lage des Schaulustigen be¬ funden haben, von dem der Affe erwartete, er solle vor Entzücken außer sich sein über die herrlichen Projektionen seiner Laterna Magica, in der er die Lampe anzubrennen unterlassen hatte. Die Eremitagenallee E Sophus Lausitz. rzählung von Aus dein Dänischen übersetzt von Mathilde Mann"') >s ist jetzt schon eine Reihe von Jahren her, als ich zusammen mit drei Bekannten eines Nachmittags, am 9. August, mit dem Zuge von Kopenhagen nach Fredensborg fuhr. Wir wollten im Schloßpark die Sonne am Ende der Eremitagen¬ allee untergehn sehen, und das tut sie nur an zwei, drei Abenden >im Jahre. Der Landschaftsmaler Lund und ich hatten es zufällig im vorhergehenden Jahre gesehen und hatten so viel von dem eigentümlich er¬ greifenden Anblick geredet, wenn die goldne Scheibe zwischen den ehrwürdigen Linden der Allee hinabsinkt und jenseits der Wasser des Esromsees untertaucht, Diese Erzählung ist dem soeben im Verlag von Fr Wilh, Grunow erschienenen Bande: Truggold und andre Erzählungen von Sovhus Vauditz entnommen, auf den wir unsre Leser besonders aufmerksam machen wollen. Der bekannte dänische Verfasser bietet darin wieder reizvolle, von köstlichem Humor erfüllte Bilder. Grenzboten IV 190g 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/333>, abgerufen am 04.07.2024.