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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Herbstgedanken

. s ist wie Herbststimmung, was gegenwärtig in den Köpfen vieler
Deutschen herrscht. Auf die Ereignisse der vergangnen Monate
ist vielfach die matte Katerstimmung der Resignation gefolgt.
Die Presse ist noch immer voll unfruchtbarer und zweckloser Er-
örterungen über das "Wie" und "Warum" des letzten Kanzler-
Wechsels, als wenn es gar keine neuen Aufgaben gäbe. Vergnügt sind eigentlichnur jene, die ein Interesse daran haben, dem allgemeinen Pessimismus neue
Nahrung zuzuführen. Aber sie haben auch Grund zur Freude. Großen Erfolg
haben die bekannten Schlagworte, die Klagen über "allgemeine Notlage" und
"unerträglichen Steuerdruck". Wir fragen: zu welchem Zweck? um die Ein¬
bringung einer großen Vermögenssteuer vorzubereiten? Oh! Weit gefehlt!
Nicht darum gehts. denn diese Steuer "muß ja doch kommen". Hier gilt es,
ein andres Süppchen zu wärmen. Man munkelt lauter oder leise von dem
..Karnickel", der Flotte, des Reiches jüngsten und teuersten Kinde, als der
letzten Ursache der ganzen Finanzmisere und schiebt ihr die Schuld an dem
unerfreulichen Verhältnis mit unserm Nachbar von jenseits des Kanals zu.
Man spricht, angeregt durch Herrn von Holsteins Worte von der "perfiden
Flotte", von "Revision des Flottengesetzes" und deutet an, daß hier zunächst
der Hebel für eine Gesundung unsrer innern -- und äußern politischen Ver¬
hältnisse angesetzt werden müsse.

.
Mancherlei Motive leiten hierbei die Einzelnen. Der eme. der dabei
streng national zu denken glaubt, meint, was der Flotte zugute komme, gehe
der allein für uns in Betracht kommenden Armee ab. die notwendig der
finanziellen Hilfe bedürfe. Der andre hält die Ausgaben für die Flotte, rem
geschäftsmäßig als nationale Friedensprümie betrachtet. f"r zu groß. Eine
dritte, allerdings unbedeutende Gruppe, die immer armee- und flottenfemdlich
ist. sieht in dieser Zeit des Herbstes ihren Weizen blühen und will die gute
Gelegenheit nicht unbenutzt lassen, um Bresche zu legen in die im deutschen


Grenzboten IV 1909


Herbstgedanken

. s ist wie Herbststimmung, was gegenwärtig in den Köpfen vieler
Deutschen herrscht. Auf die Ereignisse der vergangnen Monate
ist vielfach die matte Katerstimmung der Resignation gefolgt.
Die Presse ist noch immer voll unfruchtbarer und zweckloser Er-
örterungen über das „Wie" und „Warum" des letzten Kanzler-
Wechsels, als wenn es gar keine neuen Aufgaben gäbe. Vergnügt sind eigentlichnur jene, die ein Interesse daran haben, dem allgemeinen Pessimismus neue
Nahrung zuzuführen. Aber sie haben auch Grund zur Freude. Großen Erfolg
haben die bekannten Schlagworte, die Klagen über „allgemeine Notlage" und
«unerträglichen Steuerdruck". Wir fragen: zu welchem Zweck? um die Ein¬
bringung einer großen Vermögenssteuer vorzubereiten? Oh! Weit gefehlt!
Nicht darum gehts. denn diese Steuer „muß ja doch kommen". Hier gilt es,
ein andres Süppchen zu wärmen. Man munkelt lauter oder leise von dem
..Karnickel", der Flotte, des Reiches jüngsten und teuersten Kinde, als der
letzten Ursache der ganzen Finanzmisere und schiebt ihr die Schuld an dem
unerfreulichen Verhältnis mit unserm Nachbar von jenseits des Kanals zu.
Man spricht, angeregt durch Herrn von Holsteins Worte von der „perfiden
Flotte", von „Revision des Flottengesetzes" und deutet an, daß hier zunächst
der Hebel für eine Gesundung unsrer innern — und äußern politischen Ver¬
hältnisse angesetzt werden müsse.

.
Mancherlei Motive leiten hierbei die Einzelnen. Der eme. der dabei
streng national zu denken glaubt, meint, was der Flotte zugute komme, gehe
der allein für uns in Betracht kommenden Armee ab. die notwendig der
finanziellen Hilfe bedürfe. Der andre hält die Ausgaben für die Flotte, rem
geschäftsmäßig als nationale Friedensprümie betrachtet. f»r zu groß. Eine
dritte, allerdings unbedeutende Gruppe, die immer armee- und flottenfemdlich
ist. sieht in dieser Zeit des Herbstes ihren Weizen blühen und will die gute
Gelegenheit nicht unbenutzt lassen, um Bresche zu legen in die im deutschen


Grenzboten IV 1909
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[0161] [Abbildung] Herbstgedanken . s ist wie Herbststimmung, was gegenwärtig in den Köpfen vieler Deutschen herrscht. Auf die Ereignisse der vergangnen Monate ist vielfach die matte Katerstimmung der Resignation gefolgt. Die Presse ist noch immer voll unfruchtbarer und zweckloser Er- örterungen über das „Wie" und „Warum" des letzten Kanzler- Wechsels, als wenn es gar keine neuen Aufgaben gäbe. Vergnügt sind eigentlichnur jene, die ein Interesse daran haben, dem allgemeinen Pessimismus neue Nahrung zuzuführen. Aber sie haben auch Grund zur Freude. Großen Erfolg haben die bekannten Schlagworte, die Klagen über „allgemeine Notlage" und «unerträglichen Steuerdruck". Wir fragen: zu welchem Zweck? um die Ein¬ bringung einer großen Vermögenssteuer vorzubereiten? Oh! Weit gefehlt! Nicht darum gehts. denn diese Steuer „muß ja doch kommen". Hier gilt es, ein andres Süppchen zu wärmen. Man munkelt lauter oder leise von dem ..Karnickel", der Flotte, des Reiches jüngsten und teuersten Kinde, als der letzten Ursache der ganzen Finanzmisere und schiebt ihr die Schuld an dem unerfreulichen Verhältnis mit unserm Nachbar von jenseits des Kanals zu. Man spricht, angeregt durch Herrn von Holsteins Worte von der „perfiden Flotte", von „Revision des Flottengesetzes" und deutet an, daß hier zunächst der Hebel für eine Gesundung unsrer innern — und äußern politischen Ver¬ hältnisse angesetzt werden müsse. . Mancherlei Motive leiten hierbei die Einzelnen. Der eme. der dabei streng national zu denken glaubt, meint, was der Flotte zugute komme, gehe der allein für uns in Betracht kommenden Armee ab. die notwendig der finanziellen Hilfe bedürfe. Der andre hält die Ausgaben für die Flotte, rem geschäftsmäßig als nationale Friedensprümie betrachtet. f»r zu groß. Eine dritte, allerdings unbedeutende Gruppe, die immer armee- und flottenfemdlich ist. sieht in dieser Zeit des Herbstes ihren Weizen blühen und will die gute Gelegenheit nicht unbenutzt lassen, um Bresche zu legen in die im deutschen Grenzboten IV 1909

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/161>, abgerufen am 24.07.2024.