Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die politische Lage

!as deutsche Volk steht unter dem Eindruck großer Ereignisse.
Durch die Nation geht es wie Aufatmen nach schwerem Druck,
und frische Winde künden den Morgen. Drei Erscheinungen im
politischen Leben sind es, die zu unsrer hoffnungsvollen Stimmung
> berechtigen: die Erfolge in der auswärtigen Politik, die Be¬
rufung der Immediatkommission zur Reform der preußischen Verwaltung und
die Gründung des Hansabundes. Keine der drei Erscheinungen ist in ihrem
Wert nach Pfunden oder Ellen zu bemessen. Ihr Hauptwert ist ethischer
Natur und besteht vor allen Dingen darin, daß die alten stagnierenden Ver¬
hältnisse durch sie einmal aufgerüttelt werden -- den starken Kräften zur
Stärkung, den schwachen zum Untergang.

Wir wollen unsre Betrachtung mit dem zeitlich jüngsten Ereignis be¬
ginnen, mit der Gründung des Hansabundes. Der Hansabund ist oder soll
sein eine Vereinigung aller städtischen Gewerbetreibenden angefangen vom Prä¬
sidenten des Kohlensyndikats bis hinab zum Kommis eines Kramladens. Der
äußere und zugleich letzte Anlaß zu seinem Zusammentritt ist die Furcht vor
dem materiellen Schaden, den die im Bund der Landwirte organisierten Gro߬
grundbesitzer durch ihre Steuerpolitik allen Gewerben zufügen könnten. Der
innere und somit stärkere, elementare Grund für sein Entsteh" liegt aber in
der beim Bürgertum erwachten Erkenntnis, sich im Interesse des ganzen Vater¬
landes stärker im politischen Leben der Nation betätigen zu müssen als bisher.
Die heutigen auf dem Parlament beruhenden Parteibildungen haben sich dafür
nicht mehr als ausreichend erwiesen. Der Hansabund hat mit dem Bund der
Landwirte das Gemeinsame, daß beide auf demokratischer Grundlage beruhn.
Beide Organisationen sind in dieser Beziehung Früchte der sozialen, wirtschaft¬
lichen und staatlichen Entwicklung. Aber während im Bund der Landwirte
ausschließlich materielle Interessen maßgebend sind, denen alle andern mit
der größten Rücksichtslosigkeit untergeordnet werden, stehn im Hansabunde
einstweilen ideelle im Vordergrund. Daneben haben beide Organisationen das
Gemeinsame, daß sie wirtschaftlich und politisch die heterogensten Elemente


Grenzboten III 1909 1


Die politische Lage

!as deutsche Volk steht unter dem Eindruck großer Ereignisse.
Durch die Nation geht es wie Aufatmen nach schwerem Druck,
und frische Winde künden den Morgen. Drei Erscheinungen im
politischen Leben sind es, die zu unsrer hoffnungsvollen Stimmung
> berechtigen: die Erfolge in der auswärtigen Politik, die Be¬
rufung der Immediatkommission zur Reform der preußischen Verwaltung und
die Gründung des Hansabundes. Keine der drei Erscheinungen ist in ihrem
Wert nach Pfunden oder Ellen zu bemessen. Ihr Hauptwert ist ethischer
Natur und besteht vor allen Dingen darin, daß die alten stagnierenden Ver¬
hältnisse durch sie einmal aufgerüttelt werden — den starken Kräften zur
Stärkung, den schwachen zum Untergang.

Wir wollen unsre Betrachtung mit dem zeitlich jüngsten Ereignis be¬
ginnen, mit der Gründung des Hansabundes. Der Hansabund ist oder soll
sein eine Vereinigung aller städtischen Gewerbetreibenden angefangen vom Prä¬
sidenten des Kohlensyndikats bis hinab zum Kommis eines Kramladens. Der
äußere und zugleich letzte Anlaß zu seinem Zusammentritt ist die Furcht vor
dem materiellen Schaden, den die im Bund der Landwirte organisierten Gro߬
grundbesitzer durch ihre Steuerpolitik allen Gewerben zufügen könnten. Der
innere und somit stärkere, elementare Grund für sein Entsteh» liegt aber in
der beim Bürgertum erwachten Erkenntnis, sich im Interesse des ganzen Vater¬
landes stärker im politischen Leben der Nation betätigen zu müssen als bisher.
Die heutigen auf dem Parlament beruhenden Parteibildungen haben sich dafür
nicht mehr als ausreichend erwiesen. Der Hansabund hat mit dem Bund der
Landwirte das Gemeinsame, daß beide auf demokratischer Grundlage beruhn.
Beide Organisationen sind in dieser Beziehung Früchte der sozialen, wirtschaft¬
lichen und staatlichen Entwicklung. Aber während im Bund der Landwirte
ausschließlich materielle Interessen maßgebend sind, denen alle andern mit
der größten Rücksichtslosigkeit untergeordnet werden, stehn im Hansabunde
einstweilen ideelle im Vordergrund. Daneben haben beide Organisationen das
Gemeinsame, daß sie wirtschaftlich und politisch die heterogensten Elemente


Grenzboten III 1909 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0009" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313712"/>
              <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341889_313702/figures/grenzboten_341889_313702_313712_000.jpg"/><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die politische Lage</head><lb/>
          <p xml:id="ID_9"> !as deutsche Volk steht unter dem Eindruck großer Ereignisse.<lb/>
Durch die Nation geht es wie Aufatmen nach schwerem Druck,<lb/>
und frische Winde künden den Morgen. Drei Erscheinungen im<lb/>
politischen Leben sind es, die zu unsrer hoffnungsvollen Stimmung<lb/>
&gt; berechtigen: die Erfolge in der auswärtigen Politik, die Be¬<lb/>
rufung der Immediatkommission zur Reform der preußischen Verwaltung und<lb/>
die Gründung des Hansabundes. Keine der drei Erscheinungen ist in ihrem<lb/>
Wert nach Pfunden oder Ellen zu bemessen. Ihr Hauptwert ist ethischer<lb/>
Natur und besteht vor allen Dingen darin, daß die alten stagnierenden Ver¬<lb/>
hältnisse durch sie einmal aufgerüttelt werden &#x2014; den starken Kräften zur<lb/>
Stärkung, den schwachen zum Untergang.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_10" next="#ID_11"> Wir wollen unsre Betrachtung mit dem zeitlich jüngsten Ereignis be¬<lb/>
ginnen, mit der Gründung des Hansabundes. Der Hansabund ist oder soll<lb/>
sein eine Vereinigung aller städtischen Gewerbetreibenden angefangen vom Prä¬<lb/>
sidenten des Kohlensyndikats bis hinab zum Kommis eines Kramladens. Der<lb/>
äußere und zugleich letzte Anlaß zu seinem Zusammentritt ist die Furcht vor<lb/>
dem materiellen Schaden, den die im Bund der Landwirte organisierten Gro߬<lb/>
grundbesitzer durch ihre Steuerpolitik allen Gewerben zufügen könnten. Der<lb/>
innere und somit stärkere, elementare Grund für sein Entsteh» liegt aber in<lb/>
der beim Bürgertum erwachten Erkenntnis, sich im Interesse des ganzen Vater¬<lb/>
landes stärker im politischen Leben der Nation betätigen zu müssen als bisher.<lb/>
Die heutigen auf dem Parlament beruhenden Parteibildungen haben sich dafür<lb/>
nicht mehr als ausreichend erwiesen. Der Hansabund hat mit dem Bund der<lb/>
Landwirte das Gemeinsame, daß beide auf demokratischer Grundlage beruhn.<lb/>
Beide Organisationen sind in dieser Beziehung Früchte der sozialen, wirtschaft¬<lb/>
lichen und staatlichen Entwicklung. Aber während im Bund der Landwirte<lb/>
ausschließlich materielle Interessen maßgebend sind, denen alle andern mit<lb/>
der größten Rücksichtslosigkeit untergeordnet werden, stehn im Hansabunde<lb/>
einstweilen ideelle im Vordergrund. Daneben haben beide Organisationen das<lb/>
Gemeinsame, daß sie wirtschaftlich und politisch die heterogensten Elemente</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1909 1</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0009] [Abbildung] Die politische Lage !as deutsche Volk steht unter dem Eindruck großer Ereignisse. Durch die Nation geht es wie Aufatmen nach schwerem Druck, und frische Winde künden den Morgen. Drei Erscheinungen im politischen Leben sind es, die zu unsrer hoffnungsvollen Stimmung > berechtigen: die Erfolge in der auswärtigen Politik, die Be¬ rufung der Immediatkommission zur Reform der preußischen Verwaltung und die Gründung des Hansabundes. Keine der drei Erscheinungen ist in ihrem Wert nach Pfunden oder Ellen zu bemessen. Ihr Hauptwert ist ethischer Natur und besteht vor allen Dingen darin, daß die alten stagnierenden Ver¬ hältnisse durch sie einmal aufgerüttelt werden — den starken Kräften zur Stärkung, den schwachen zum Untergang. Wir wollen unsre Betrachtung mit dem zeitlich jüngsten Ereignis be¬ ginnen, mit der Gründung des Hansabundes. Der Hansabund ist oder soll sein eine Vereinigung aller städtischen Gewerbetreibenden angefangen vom Prä¬ sidenten des Kohlensyndikats bis hinab zum Kommis eines Kramladens. Der äußere und zugleich letzte Anlaß zu seinem Zusammentritt ist die Furcht vor dem materiellen Schaden, den die im Bund der Landwirte organisierten Gro߬ grundbesitzer durch ihre Steuerpolitik allen Gewerben zufügen könnten. Der innere und somit stärkere, elementare Grund für sein Entsteh» liegt aber in der beim Bürgertum erwachten Erkenntnis, sich im Interesse des ganzen Vater¬ landes stärker im politischen Leben der Nation betätigen zu müssen als bisher. Die heutigen auf dem Parlament beruhenden Parteibildungen haben sich dafür nicht mehr als ausreichend erwiesen. Der Hansabund hat mit dem Bund der Landwirte das Gemeinsame, daß beide auf demokratischer Grundlage beruhn. Beide Organisationen sind in dieser Beziehung Früchte der sozialen, wirtschaft¬ lichen und staatlichen Entwicklung. Aber während im Bund der Landwirte ausschließlich materielle Interessen maßgebend sind, denen alle andern mit der größten Rücksichtslosigkeit untergeordnet werden, stehn im Hansabunde einstweilen ideelle im Vordergrund. Daneben haben beide Organisationen das Gemeinsame, daß sie wirtschaftlich und politisch die heterogensten Elemente Grenzboten III 1909 1

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/9
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/9>, abgerufen am 21.12.2024.