Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Vorgeschichte der französischen Revolution von
von Hermann Iaenicke
/ ^

"SM^WWWm Januar 1788 begannen dann die Kämpfe zwischen Regierung
Wf^'HM/^und Parlament aufs neue. Zwar einigten sich beide über das
W wichtige Gesetz, wonach den Protestanten die zivilrechtliche Gleich-
^AMi^WM^A Stellung zuerkannt wurde; nebenbei bemerkt, auch ein Zeichen der
das einen starken Beweis von der damals herrschenden Duld¬
samkeit zu geben vermag. Aber die Negierung glaubte jetzt die Gelegenheit ge¬
kommen, wo sie dem Parlament endgiltig zu Leibe gehn könnte, als dieses aufs
neue für die verurteilten Parlamentsmitglieder, den Herzog von Orleans und die
zwei Richter, eine Lanze brach. In seiner Beschwerde vom 18. Januar 1788 kommen
schon Sätze vor, die an die Erklärung der Menschenrechte erinnern: "der Mensch
wird frei geboren"; die Freiheit sei ein unverjährbares Recht, und das Volk könne
auf sie gar nicht verzichten. Zum Schluß hieß es: "Wir bitten nicht mehr um
einen Prinzen Ihres Geblüts, nicht um zwei Richter -- Ihr Parlament bittet im
Namen der Gesetze und der Vernunft um drei Franzosen, um drei Menschen!"
Andre, immer heftigere Vorstellungen und Angriffe gegen den König folgten.
Dieser erteilte zuletzt keine Antwort mehr, sondern setzte für den 8. Mai in Versailles
eine Kissensitzung an, die, durch den Großsiegelbewahrer Lamoignon und den
Minister Brienne wohl vorbereitet, das folgenschwerste Ereignis des Jahres
werden sollte. Zwei Tage zuvor waren die beiden hitzigsten Parlamentsmit¬
glieder, Duval d'Espremenil und Goislard, durch einen Major der Garde mitten
im Sitzungssaal nach einer aufgeregten Theaterszene verhaftet worden. Der
König legte nun dem Parlament am 8. Mai sechs Edikte zur Einregistrierung
vor, die sich mit einer großzügigen Justizreform befaßten. Die neue Gerichts¬
verfassung sah eine Vereinfachung des Instanzenweges und eine Beschleunigung
und Verbilligung der Rechtsprechung vor. Die bisherigen Parlamente sollten
zwar als oberste Gerichtshöfe weiter bestehn, aber ihnen blieb nur die letzte
Entscheidung der Zivilfälle, in denen es sich um mehr als 20000 Franken
handelte, und der verhältnismäßig seltnen Kriminalität der Privilegierten; also
ihre bisherigen Befugnisse waren auf das stärkste beschnitten worden. Zahl¬
reiche Ausnahmegerichte, zum Beispiel die Finanzkammern, die Forstmeistereien
und Salzspeicher, gedachte man verschwinden zu lassen, sodaß damit die ver¬
derbliche Vermischung von Rechtsprechung und Verwaltung aufhören sollte.




Vorgeschichte der französischen Revolution von
von Hermann Iaenicke
/ ^

«SM^WWWm Januar 1788 begannen dann die Kämpfe zwischen Regierung
Wf^'HM/^und Parlament aufs neue. Zwar einigten sich beide über das
W wichtige Gesetz, wonach den Protestanten die zivilrechtliche Gleich-
^AMi^WM^A Stellung zuerkannt wurde; nebenbei bemerkt, auch ein Zeichen der
das einen starken Beweis von der damals herrschenden Duld¬
samkeit zu geben vermag. Aber die Negierung glaubte jetzt die Gelegenheit ge¬
kommen, wo sie dem Parlament endgiltig zu Leibe gehn könnte, als dieses aufs
neue für die verurteilten Parlamentsmitglieder, den Herzog von Orleans und die
zwei Richter, eine Lanze brach. In seiner Beschwerde vom 18. Januar 1788 kommen
schon Sätze vor, die an die Erklärung der Menschenrechte erinnern: „der Mensch
wird frei geboren"; die Freiheit sei ein unverjährbares Recht, und das Volk könne
auf sie gar nicht verzichten. Zum Schluß hieß es: „Wir bitten nicht mehr um
einen Prinzen Ihres Geblüts, nicht um zwei Richter — Ihr Parlament bittet im
Namen der Gesetze und der Vernunft um drei Franzosen, um drei Menschen!"
Andre, immer heftigere Vorstellungen und Angriffe gegen den König folgten.
Dieser erteilte zuletzt keine Antwort mehr, sondern setzte für den 8. Mai in Versailles
eine Kissensitzung an, die, durch den Großsiegelbewahrer Lamoignon und den
Minister Brienne wohl vorbereitet, das folgenschwerste Ereignis des Jahres
werden sollte. Zwei Tage zuvor waren die beiden hitzigsten Parlamentsmit¬
glieder, Duval d'Espremenil und Goislard, durch einen Major der Garde mitten
im Sitzungssaal nach einer aufgeregten Theaterszene verhaftet worden. Der
König legte nun dem Parlament am 8. Mai sechs Edikte zur Einregistrierung
vor, die sich mit einer großzügigen Justizreform befaßten. Die neue Gerichts¬
verfassung sah eine Vereinfachung des Instanzenweges und eine Beschleunigung
und Verbilligung der Rechtsprechung vor. Die bisherigen Parlamente sollten
zwar als oberste Gerichtshöfe weiter bestehn, aber ihnen blieb nur die letzte
Entscheidung der Zivilfälle, in denen es sich um mehr als 20000 Franken
handelte, und der verhältnismäßig seltnen Kriminalität der Privilegierten; also
ihre bisherigen Befugnisse waren auf das stärkste beschnitten worden. Zahl¬
reiche Ausnahmegerichte, zum Beispiel die Finanzkammern, die Forstmeistereien
und Salzspeicher, gedachte man verschwinden zu lassen, sodaß damit die ver¬
derbliche Vermischung von Rechtsprechung und Verwaltung aufhören sollte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314011"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341889_313702/figures/grenzboten_341889_313702_314011_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Vorgeschichte der französischen Revolution von<lb/><note type="byline"> von Hermann Iaenicke</note><lb/>
/ ^</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1321" next="#ID_1322"> «SM^WWWm Januar 1788 begannen dann die Kämpfe zwischen Regierung<lb/>
Wf^'HM/^und Parlament aufs neue. Zwar einigten sich beide über das<lb/>
W wichtige Gesetz, wonach den Protestanten die zivilrechtliche Gleich-<lb/>
^AMi^WM^A Stellung zuerkannt wurde; nebenbei bemerkt, auch ein Zeichen der<lb/>
das einen starken Beweis von der damals herrschenden Duld¬<lb/>
samkeit zu geben vermag. Aber die Negierung glaubte jetzt die Gelegenheit ge¬<lb/>
kommen, wo sie dem Parlament endgiltig zu Leibe gehn könnte, als dieses aufs<lb/>
neue für die verurteilten Parlamentsmitglieder, den Herzog von Orleans und die<lb/>
zwei Richter, eine Lanze brach. In seiner Beschwerde vom 18. Januar 1788 kommen<lb/>
schon Sätze vor, die an die Erklärung der Menschenrechte erinnern: &#x201E;der Mensch<lb/>
wird frei geboren"; die Freiheit sei ein unverjährbares Recht, und das Volk könne<lb/>
auf sie gar nicht verzichten. Zum Schluß hieß es: &#x201E;Wir bitten nicht mehr um<lb/>
einen Prinzen Ihres Geblüts, nicht um zwei Richter &#x2014; Ihr Parlament bittet im<lb/>
Namen der Gesetze und der Vernunft um drei Franzosen, um drei Menschen!"<lb/>
Andre, immer heftigere Vorstellungen und Angriffe gegen den König folgten.<lb/>
Dieser erteilte zuletzt keine Antwort mehr, sondern setzte für den 8. Mai in Versailles<lb/>
eine Kissensitzung an, die, durch den Großsiegelbewahrer Lamoignon und den<lb/>
Minister Brienne wohl vorbereitet, das folgenschwerste Ereignis des Jahres<lb/>
werden sollte. Zwei Tage zuvor waren die beiden hitzigsten Parlamentsmit¬<lb/>
glieder, Duval d'Espremenil und Goislard, durch einen Major der Garde mitten<lb/>
im Sitzungssaal nach einer aufgeregten Theaterszene verhaftet worden. Der<lb/>
König legte nun dem Parlament am 8. Mai sechs Edikte zur Einregistrierung<lb/>
vor, die sich mit einer großzügigen Justizreform befaßten. Die neue Gerichts¬<lb/>
verfassung sah eine Vereinfachung des Instanzenweges und eine Beschleunigung<lb/>
und Verbilligung der Rechtsprechung vor. Die bisherigen Parlamente sollten<lb/>
zwar als oberste Gerichtshöfe weiter bestehn, aber ihnen blieb nur die letzte<lb/>
Entscheidung der Zivilfälle, in denen es sich um mehr als 20000 Franken<lb/>
handelte, und der verhältnismäßig seltnen Kriminalität der Privilegierten; also<lb/>
ihre bisherigen Befugnisse waren auf das stärkste beschnitten worden. Zahl¬<lb/>
reiche Ausnahmegerichte, zum Beispiel die Finanzkammern, die Forstmeistereien<lb/>
und Salzspeicher, gedachte man verschwinden zu lassen, sodaß damit die ver¬<lb/>
derbliche Vermischung von Rechtsprechung und Verwaltung aufhören sollte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0308] [Abbildung] Vorgeschichte der französischen Revolution von von Hermann Iaenicke / ^ «SM^WWWm Januar 1788 begannen dann die Kämpfe zwischen Regierung Wf^'HM/^und Parlament aufs neue. Zwar einigten sich beide über das W wichtige Gesetz, wonach den Protestanten die zivilrechtliche Gleich- ^AMi^WM^A Stellung zuerkannt wurde; nebenbei bemerkt, auch ein Zeichen der das einen starken Beweis von der damals herrschenden Duld¬ samkeit zu geben vermag. Aber die Negierung glaubte jetzt die Gelegenheit ge¬ kommen, wo sie dem Parlament endgiltig zu Leibe gehn könnte, als dieses aufs neue für die verurteilten Parlamentsmitglieder, den Herzog von Orleans und die zwei Richter, eine Lanze brach. In seiner Beschwerde vom 18. Januar 1788 kommen schon Sätze vor, die an die Erklärung der Menschenrechte erinnern: „der Mensch wird frei geboren"; die Freiheit sei ein unverjährbares Recht, und das Volk könne auf sie gar nicht verzichten. Zum Schluß hieß es: „Wir bitten nicht mehr um einen Prinzen Ihres Geblüts, nicht um zwei Richter — Ihr Parlament bittet im Namen der Gesetze und der Vernunft um drei Franzosen, um drei Menschen!" Andre, immer heftigere Vorstellungen und Angriffe gegen den König folgten. Dieser erteilte zuletzt keine Antwort mehr, sondern setzte für den 8. Mai in Versailles eine Kissensitzung an, die, durch den Großsiegelbewahrer Lamoignon und den Minister Brienne wohl vorbereitet, das folgenschwerste Ereignis des Jahres werden sollte. Zwei Tage zuvor waren die beiden hitzigsten Parlamentsmit¬ glieder, Duval d'Espremenil und Goislard, durch einen Major der Garde mitten im Sitzungssaal nach einer aufgeregten Theaterszene verhaftet worden. Der König legte nun dem Parlament am 8. Mai sechs Edikte zur Einregistrierung vor, die sich mit einer großzügigen Justizreform befaßten. Die neue Gerichts¬ verfassung sah eine Vereinfachung des Instanzenweges und eine Beschleunigung und Verbilligung der Rechtsprechung vor. Die bisherigen Parlamente sollten zwar als oberste Gerichtshöfe weiter bestehn, aber ihnen blieb nur die letzte Entscheidung der Zivilfälle, in denen es sich um mehr als 20000 Franken handelte, und der verhältnismäßig seltnen Kriminalität der Privilegierten; also ihre bisherigen Befugnisse waren auf das stärkste beschnitten worden. Zahl¬ reiche Ausnahmegerichte, zum Beispiel die Finanzkammern, die Forstmeistereien und Salzspeicher, gedachte man verschwinden zu lassen, sodaß damit die ver¬ derbliche Vermischung von Rechtsprechung und Verwaltung aufhören sollte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/308
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/308>, abgerufen am 30.12.2024.