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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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(Line verlassene Handelsstraße und ihre Zukunfts¬
aussichten
Guido Sautter i von

>er heute vom Stilfser Joch hembkominend das stille Städtchen
Bormio mit seinen engen finstern Gassen, seinen verwitterten
und verwahrlosten Häusern betritt, der ahnt wahrlich nicht, daß
er sich an einer Stätte befindet, wo einstmals der Welthandel
vorüberflutete. Im Mittelalter, als Venedig den Levantehandel
! beherrschte, und Augsburg als dessen Vermittlerin für Deutschland
in höchster Blüte stand, war Bormio ein wichtiger Knotenpunkt dieses Handels¬
verkehrs. Die Karawanen der Snumrosse -- an Fahrwege über die Alpen war
ja damals bekanntlich nicht zu denken --, die die Waren aus dem Venezianischen
und der Lombardei nach Deutschland beförderten, zogen teils vom Jseosee
durch das breite Val Canonica, teils aus Südtirol über den Tonalepaß nach
dem kleinen Orte Ponte ti Legno und gelangten von hier über den öden
Gaviapaß, den der Volksmund mit dem düstern Namen 'löLts, all nwrto
<Totenkopf) belegt hat, nach dem lieblichen Badeörtchen Santa Caterina am
Fuße der schimmernden Schncepyramide des Monte Tresero und durch das
schöne Tal des rauschenden Frodolfo nach Bormio. Von hier aus führte
ein noch heute erhaltner, steiler, in seinem obern Teile durch eingefügte
Baumstämme treppenartig angelegter Saumweg -- daher der Name Loalv
(Treppen) -- nach der tiefen Einsattlung des Sealepasses, der nördlich von
den großartigen Steilwänden der Cime ti Plator, südlich von dem Monte
delle Scale überragt wird. Der Scalepaß ist von zwei alten Türmen
flankiert, von denen der eine noch völlig erhalten ist, während man von dem
andern eine" Teil ausgebrochen hat -- ein italienischer Schriftsteller nennt
es dg-rdarÄiliLlits --, um eine in der Nähe stehende kleine Kapelle damit
zu erbauen. Die beiden Wachtürme sollen nach der Volkssage ans der
Römerzeit stammen, in Wirklichkeit hat man nach der ganzen Bauart ihre
Entstehung in das Mittelalter zu versetzen. Sie dienten dazu, den Paßweg
zu schließen und zu verteidigen, wozu auch die in den Saumweg eingezogueu
Baumstämme so angeordnet waren, daß sie leicht herausgenommen werden
konnten, wodurch alsdann der Aufstieg gegen die Paßhöhe erschwert war.
Die beiden trotzigen Türme machen auf den auf dem alten Sanmwege zum
Passe emporklimmendeu Wandrer einen großartigen Eindruck. Hat man die
Lücke zwischen den Türmen erreicht, so genießt man einen unvergleichlichen
Ausblick auf die Ebene von Bormio, die Alpentäler Vnl ti Dentro und Val
Viola und die sie einrahmenden herrlichen Bergketten. Von hier oben senkt
sich der alte Handelsweg an dem schönen Scalesee vorüber sanft nach dem
hochgelegnen Val ti Fracke hinab und erreicht das winzige, aus einem ärm¬
lichen Wirtshaus? und wenigen Alphütten sowie einem alten Kirchlein be-




(Line verlassene Handelsstraße und ihre Zukunfts¬
aussichten
Guido Sautter i von

>er heute vom Stilfser Joch hembkominend das stille Städtchen
Bormio mit seinen engen finstern Gassen, seinen verwitterten
und verwahrlosten Häusern betritt, der ahnt wahrlich nicht, daß
er sich an einer Stätte befindet, wo einstmals der Welthandel
vorüberflutete. Im Mittelalter, als Venedig den Levantehandel
! beherrschte, und Augsburg als dessen Vermittlerin für Deutschland
in höchster Blüte stand, war Bormio ein wichtiger Knotenpunkt dieses Handels¬
verkehrs. Die Karawanen der Snumrosse — an Fahrwege über die Alpen war
ja damals bekanntlich nicht zu denken —, die die Waren aus dem Venezianischen
und der Lombardei nach Deutschland beförderten, zogen teils vom Jseosee
durch das breite Val Canonica, teils aus Südtirol über den Tonalepaß nach
dem kleinen Orte Ponte ti Legno und gelangten von hier über den öden
Gaviapaß, den der Volksmund mit dem düstern Namen 'löLts, all nwrto
<Totenkopf) belegt hat, nach dem lieblichen Badeörtchen Santa Caterina am
Fuße der schimmernden Schncepyramide des Monte Tresero und durch das
schöne Tal des rauschenden Frodolfo nach Bormio. Von hier aus führte
ein noch heute erhaltner, steiler, in seinem obern Teile durch eingefügte
Baumstämme treppenartig angelegter Saumweg — daher der Name Loalv
(Treppen) — nach der tiefen Einsattlung des Sealepasses, der nördlich von
den großartigen Steilwänden der Cime ti Plator, südlich von dem Monte
delle Scale überragt wird. Der Scalepaß ist von zwei alten Türmen
flankiert, von denen der eine noch völlig erhalten ist, während man von dem
andern eine» Teil ausgebrochen hat — ein italienischer Schriftsteller nennt
es dg-rdarÄiliLlits —, um eine in der Nähe stehende kleine Kapelle damit
zu erbauen. Die beiden Wachtürme sollen nach der Volkssage ans der
Römerzeit stammen, in Wirklichkeit hat man nach der ganzen Bauart ihre
Entstehung in das Mittelalter zu versetzen. Sie dienten dazu, den Paßweg
zu schließen und zu verteidigen, wozu auch die in den Saumweg eingezogueu
Baumstämme so angeordnet waren, daß sie leicht herausgenommen werden
konnten, wodurch alsdann der Aufstieg gegen die Paßhöhe erschwert war.
Die beiden trotzigen Türme machen auf den auf dem alten Sanmwege zum
Passe emporklimmendeu Wandrer einen großartigen Eindruck. Hat man die
Lücke zwischen den Türmen erreicht, so genießt man einen unvergleichlichen
Ausblick auf die Ebene von Bormio, die Alpentäler Vnl ti Dentro und Val
Viola und die sie einrahmenden herrlichen Bergketten. Von hier oben senkt
sich der alte Handelsweg an dem schönen Scalesee vorüber sanft nach dem
hochgelegnen Val ti Fracke hinab und erreicht das winzige, aus einem ärm¬
lichen Wirtshaus? und wenigen Alphütten sowie einem alten Kirchlein be-


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[0048] [Abbildung] (Line verlassene Handelsstraße und ihre Zukunfts¬ aussichten Guido Sautter i von >er heute vom Stilfser Joch hembkominend das stille Städtchen Bormio mit seinen engen finstern Gassen, seinen verwitterten und verwahrlosten Häusern betritt, der ahnt wahrlich nicht, daß er sich an einer Stätte befindet, wo einstmals der Welthandel vorüberflutete. Im Mittelalter, als Venedig den Levantehandel ! beherrschte, und Augsburg als dessen Vermittlerin für Deutschland in höchster Blüte stand, war Bormio ein wichtiger Knotenpunkt dieses Handels¬ verkehrs. Die Karawanen der Snumrosse — an Fahrwege über die Alpen war ja damals bekanntlich nicht zu denken —, die die Waren aus dem Venezianischen und der Lombardei nach Deutschland beförderten, zogen teils vom Jseosee durch das breite Val Canonica, teils aus Südtirol über den Tonalepaß nach dem kleinen Orte Ponte ti Legno und gelangten von hier über den öden Gaviapaß, den der Volksmund mit dem düstern Namen 'löLts, all nwrto <Totenkopf) belegt hat, nach dem lieblichen Badeörtchen Santa Caterina am Fuße der schimmernden Schncepyramide des Monte Tresero und durch das schöne Tal des rauschenden Frodolfo nach Bormio. Von hier aus führte ein noch heute erhaltner, steiler, in seinem obern Teile durch eingefügte Baumstämme treppenartig angelegter Saumweg — daher der Name Loalv (Treppen) — nach der tiefen Einsattlung des Sealepasses, der nördlich von den großartigen Steilwänden der Cime ti Plator, südlich von dem Monte delle Scale überragt wird. Der Scalepaß ist von zwei alten Türmen flankiert, von denen der eine noch völlig erhalten ist, während man von dem andern eine» Teil ausgebrochen hat — ein italienischer Schriftsteller nennt es dg-rdarÄiliLlits —, um eine in der Nähe stehende kleine Kapelle damit zu erbauen. Die beiden Wachtürme sollen nach der Volkssage ans der Römerzeit stammen, in Wirklichkeit hat man nach der ganzen Bauart ihre Entstehung in das Mittelalter zu versetzen. Sie dienten dazu, den Paßweg zu schließen und zu verteidigen, wozu auch die in den Saumweg eingezogueu Baumstämme so angeordnet waren, daß sie leicht herausgenommen werden konnten, wodurch alsdann der Aufstieg gegen die Paßhöhe erschwert war. Die beiden trotzigen Türme machen auf den auf dem alten Sanmwege zum Passe emporklimmendeu Wandrer einen großartigen Eindruck. Hat man die Lücke zwischen den Türmen erreicht, so genießt man einen unvergleichlichen Ausblick auf die Ebene von Bormio, die Alpentäler Vnl ti Dentro und Val Viola und die sie einrahmenden herrlichen Bergketten. Von hier oben senkt sich der alte Handelsweg an dem schönen Scalesee vorüber sanft nach dem hochgelegnen Val ti Fracke hinab und erreicht das winzige, aus einem ärm¬ lichen Wirtshaus? und wenigen Alphütten sowie einem alten Kirchlein be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/48>, abgerufen am 03.07.2024.