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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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!M zweiten vorjährigen Bande der Grenzboten S. 83 habe ich
meine Freude darüber ausgesprochen, daß Ferrero der sym¬
pathischen Persönlichkeit des großen Redners, Staatsmanns und
Denkers, der wahrlich kein kleiner Mensch gewesen ist, vollauf
! gerecht wird. Der zweite Band des Geschichtswerks schließt mit
Cäsars Ermordung; im dritten Bande wird Ciceros Charakterbild vollendet.
Wir sehen ihn am Nachmittage der Iden des März aufs Kapitol eilen, wo
er rät, Brutus und Cassius sollten den Senat versammeln, die Bürgerschaft
zu den Waffen rufen und sich so, dem Antonins zuvorkommend, der Staats¬
gewalt bemächtigen. Der Rat wurde von den Verschwornen nicht befolgt;
"alle diese Söhne des Mars ließen sich an Kühnheit von dem Manne der
Feder übertreffen". Wir sehen ihn dann, als er mit allen Großen die Stadt
verlassen hatte, von seinen Landgütern aus die fieberhafteste und unermüd¬
lichste Tätigkeit zur Wiederherstellung der Republik entfalten, die keine Don-
quichoterie war, wenn Ferrero recht hat, der behauptet, die Republik habe
noch mehr Lebenskraft gehabt, als die Mehrheit der Geschichtschreiber (mit
Recht, wie mir scheint) annimmt. Jedenfalls aber ist die Bemerkung richtig:
"selbst wenn man ihr die Lebenskraft abspricht, muß man bedenken, daß die
Menschen die sozialen und politischen Umwälzungen sehr oft erst lange,
nachdem sie sich vollzogen haben, gewahr werden." Nachdem Cicero alle
Hoffnung auf Erfolg aufgegeben hatte, warf sich sein Tätigkeitsdrang auf die
literarische Produktion. Von dem Büchlein I)o oWeüg, das unter anderm
damals entstand, schreibt Ferrero, als gelehrte Abhandlung sei es nur eine
rasch hingeworfne Kompilation, wer sich nicht der Lage erinnere, in der es
entstanden ist, der werde "dieses für das Verständnis der politischen und der
sozialen Geschichte Roms grundlegende Aktenstück verständnislos beiseite legen".
Mit lebhafter Besorgnis habe Cicero gesehen, "wie Italien in den Künsten
und Wissenschaften gewann und an Sittenreinheit verlor, sich bereicherte und
immer unersättlicher ward, wie es Menschen brauchte, während seine Frucht¬
barkeit abnahm, seine Herrschaft ausdehnte und daheim seiner Freiheit verlustig



Größe und Niedergang Roms von Guglielmo Ferrero. Dritter Band:
Das Ende des alten Freistaats. Vierter Band: Antonius und Kleopatra. Stuttgart, Julius
Hoffmann. -- Cicero im Wandel der Jahrhunderte von Th, Zielinski, Professor an der
Universität Se. Petersburg. Zweite, vermehrte Auflage. Leipzig, B. G. Teubner, 1908.


(Licero

!M zweiten vorjährigen Bande der Grenzboten S. 83 habe ich
meine Freude darüber ausgesprochen, daß Ferrero der sym¬
pathischen Persönlichkeit des großen Redners, Staatsmanns und
Denkers, der wahrlich kein kleiner Mensch gewesen ist, vollauf
! gerecht wird. Der zweite Band des Geschichtswerks schließt mit
Cäsars Ermordung; im dritten Bande wird Ciceros Charakterbild vollendet.
Wir sehen ihn am Nachmittage der Iden des März aufs Kapitol eilen, wo
er rät, Brutus und Cassius sollten den Senat versammeln, die Bürgerschaft
zu den Waffen rufen und sich so, dem Antonins zuvorkommend, der Staats¬
gewalt bemächtigen. Der Rat wurde von den Verschwornen nicht befolgt;
„alle diese Söhne des Mars ließen sich an Kühnheit von dem Manne der
Feder übertreffen". Wir sehen ihn dann, als er mit allen Großen die Stadt
verlassen hatte, von seinen Landgütern aus die fieberhafteste und unermüd¬
lichste Tätigkeit zur Wiederherstellung der Republik entfalten, die keine Don-
quichoterie war, wenn Ferrero recht hat, der behauptet, die Republik habe
noch mehr Lebenskraft gehabt, als die Mehrheit der Geschichtschreiber (mit
Recht, wie mir scheint) annimmt. Jedenfalls aber ist die Bemerkung richtig:
„selbst wenn man ihr die Lebenskraft abspricht, muß man bedenken, daß die
Menschen die sozialen und politischen Umwälzungen sehr oft erst lange,
nachdem sie sich vollzogen haben, gewahr werden." Nachdem Cicero alle
Hoffnung auf Erfolg aufgegeben hatte, warf sich sein Tätigkeitsdrang auf die
literarische Produktion. Von dem Büchlein I)o oWeüg, das unter anderm
damals entstand, schreibt Ferrero, als gelehrte Abhandlung sei es nur eine
rasch hingeworfne Kompilation, wer sich nicht der Lage erinnere, in der es
entstanden ist, der werde „dieses für das Verständnis der politischen und der
sozialen Geschichte Roms grundlegende Aktenstück verständnislos beiseite legen".
Mit lebhafter Besorgnis habe Cicero gesehen, „wie Italien in den Künsten
und Wissenschaften gewann und an Sittenreinheit verlor, sich bereicherte und
immer unersättlicher ward, wie es Menschen brauchte, während seine Frucht¬
barkeit abnahm, seine Herrschaft ausdehnte und daheim seiner Freiheit verlustig



Größe und Niedergang Roms von Guglielmo Ferrero. Dritter Band:
Das Ende des alten Freistaats. Vierter Band: Antonius und Kleopatra. Stuttgart, Julius
Hoffmann. — Cicero im Wandel der Jahrhunderte von Th, Zielinski, Professor an der
Universität Se. Petersburg. Zweite, vermehrte Auflage. Leipzig, B. G. Teubner, 1908.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/446>, abgerufen am 12.12.2024.