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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Russische Briefe

eingetreten war, erklärte er, der Sozialrevolutionären Partei, deren Mitglied
er gewesen sei, wären Informationen über seine Tätigkeit als Polizeiagent
zugekommen; gegenwärtig werde eine Untersuchung gegen ihn vor dem Pariser
Parteitribunal geführt; das Tribunal werde an mich herantreten, um Auf¬
klärungen über ihn zu erhalten; sein Leben sei daher in meiner Hand. -- Heute
erschien bei mir, ebenfalls unangemeldet, der Sicherheitschef von Petersburg,
Generalmajor Gerassimow. Er erklärte mir, er käme infolge einer Bitte von
Asew, um zu fragen, was ich dem revolutionären Tribunal, das im Begriff
stehe, Asew zu richten, zu antworten gedenke, sofern sich dessen Mitglieder an
mich um Aufklärung wenden sollten. Der Sicherheitschef, General Gerassimow,
fügte hinzu, alles, was in der Verhandlung dieses Tribunals zutage kommen
werde, insbesondre die Namen aller vernommnen Personen, ebenso wie ihre
Aussagen, würde zu seiner Kenntnis gelangen. In dem Verlangen Asews im
Zusammenhang mit der Erklärung des Sicherheitschefs Gerassimow erblicke ich
eine direkte Gefahr für mich und halte es für notwendig, all dies zur Kenntnis
Eurer hohen Exzellenz zu bringen, mit der Bitte, mich gegen die Treibereien
der Geheimpolizei zu schützen, die meiner Ruhe und vielleicht auch meinem
Leben gefährlich sind. Wenn Eure hohe Exzellenz sich mit mir persönlich über
diesen Brief aussprechen wollen, stehe ich Eurer hohen Exzellenz zur Verfügung.
A. Lopuchin, Se. Petersburg, 21. November (4. Dezember) 1908."

Auf Grund näherer Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse kann ich mich
der allgemeinen Auffassung über die Schuld Lopuchins nicht anschließen und
möchte heute das, was ich schon im Dresdner Anzeiger Ur. 37 schrieb, er¬
weitern und durch authentisches Material begründen.

Der Fall Lopuchin hat nicht nur in Rußland, sondern in der gesamten
zivilisierten Welt berechtigtes Aufsehn erregt. Wir haben nun Grund zu der
Annahme, daß nicht alles so ist, wie es scheinen könnte, und erinnern zunächst
zur Beruhigung der Gemüter an den Feldzug der internationalen sozialistischen
und freisinnigen Presse gegen den Polizeimeister Reinbot von Moskau. Alle
gegen den General persönlich erhabnen Anschuldigungen haben sich als nichtig
erwiesen, und er hat Gelegenheit gehabt, vor dem öffentlichen Gericht seine
Unschuld zu beweisen. Nicht anders wird es hoffentlich mit Lopuchin gehn,
und es liegt im eigensten Interesse der russischen Regierung, mit der Unter¬
suchung der Angelegenheit so weit zu gehn als nur irgend möglich.




Alexej Alexandrowitsch Lopuchin

ist Abkömmling eines alten Adels¬
geschlechts des Gouvernements Twer und durch vielfache Bande mit den Familien
der Fürsten Urussow, Stolypin, Obolenski, die seit zehn Jahren eine politische
Rolle spielen, verwandtschaftlich verknüpft. Seit 1880 im Staatsdienst, ist
Lopuchin von Haus aus Jurist. Erst im Jahre 1900 trat er in den Vorder¬
grund, als er in seiner Eigenschaft als Staatsanwalt von Se. Petersburg den


Grenzboten I 1909 S0
Russische Briefe

eingetreten war, erklärte er, der Sozialrevolutionären Partei, deren Mitglied
er gewesen sei, wären Informationen über seine Tätigkeit als Polizeiagent
zugekommen; gegenwärtig werde eine Untersuchung gegen ihn vor dem Pariser
Parteitribunal geführt; das Tribunal werde an mich herantreten, um Auf¬
klärungen über ihn zu erhalten; sein Leben sei daher in meiner Hand. — Heute
erschien bei mir, ebenfalls unangemeldet, der Sicherheitschef von Petersburg,
Generalmajor Gerassimow. Er erklärte mir, er käme infolge einer Bitte von
Asew, um zu fragen, was ich dem revolutionären Tribunal, das im Begriff
stehe, Asew zu richten, zu antworten gedenke, sofern sich dessen Mitglieder an
mich um Aufklärung wenden sollten. Der Sicherheitschef, General Gerassimow,
fügte hinzu, alles, was in der Verhandlung dieses Tribunals zutage kommen
werde, insbesondre die Namen aller vernommnen Personen, ebenso wie ihre
Aussagen, würde zu seiner Kenntnis gelangen. In dem Verlangen Asews im
Zusammenhang mit der Erklärung des Sicherheitschefs Gerassimow erblicke ich
eine direkte Gefahr für mich und halte es für notwendig, all dies zur Kenntnis
Eurer hohen Exzellenz zu bringen, mit der Bitte, mich gegen die Treibereien
der Geheimpolizei zu schützen, die meiner Ruhe und vielleicht auch meinem
Leben gefährlich sind. Wenn Eure hohe Exzellenz sich mit mir persönlich über
diesen Brief aussprechen wollen, stehe ich Eurer hohen Exzellenz zur Verfügung.
A. Lopuchin, Se. Petersburg, 21. November (4. Dezember) 1908."

Auf Grund näherer Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse kann ich mich
der allgemeinen Auffassung über die Schuld Lopuchins nicht anschließen und
möchte heute das, was ich schon im Dresdner Anzeiger Ur. 37 schrieb, er¬
weitern und durch authentisches Material begründen.

Der Fall Lopuchin hat nicht nur in Rußland, sondern in der gesamten
zivilisierten Welt berechtigtes Aufsehn erregt. Wir haben nun Grund zu der
Annahme, daß nicht alles so ist, wie es scheinen könnte, und erinnern zunächst
zur Beruhigung der Gemüter an den Feldzug der internationalen sozialistischen
und freisinnigen Presse gegen den Polizeimeister Reinbot von Moskau. Alle
gegen den General persönlich erhabnen Anschuldigungen haben sich als nichtig
erwiesen, und er hat Gelegenheit gehabt, vor dem öffentlichen Gericht seine
Unschuld zu beweisen. Nicht anders wird es hoffentlich mit Lopuchin gehn,
und es liegt im eigensten Interesse der russischen Regierung, mit der Unter¬
suchung der Angelegenheit so weit zu gehn als nur irgend möglich.




Alexej Alexandrowitsch Lopuchin

ist Abkömmling eines alten Adels¬
geschlechts des Gouvernements Twer und durch vielfache Bande mit den Familien
der Fürsten Urussow, Stolypin, Obolenski, die seit zehn Jahren eine politische
Rolle spielen, verwandtschaftlich verknüpft. Seit 1880 im Staatsdienst, ist
Lopuchin von Haus aus Jurist. Erst im Jahre 1900 trat er in den Vorder¬
grund, als er in seiner Eigenschaft als Staatsanwalt von Se. Petersburg den


Grenzboten I 1909 S0
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[0389] Russische Briefe eingetreten war, erklärte er, der Sozialrevolutionären Partei, deren Mitglied er gewesen sei, wären Informationen über seine Tätigkeit als Polizeiagent zugekommen; gegenwärtig werde eine Untersuchung gegen ihn vor dem Pariser Parteitribunal geführt; das Tribunal werde an mich herantreten, um Auf¬ klärungen über ihn zu erhalten; sein Leben sei daher in meiner Hand. — Heute erschien bei mir, ebenfalls unangemeldet, der Sicherheitschef von Petersburg, Generalmajor Gerassimow. Er erklärte mir, er käme infolge einer Bitte von Asew, um zu fragen, was ich dem revolutionären Tribunal, das im Begriff stehe, Asew zu richten, zu antworten gedenke, sofern sich dessen Mitglieder an mich um Aufklärung wenden sollten. Der Sicherheitschef, General Gerassimow, fügte hinzu, alles, was in der Verhandlung dieses Tribunals zutage kommen werde, insbesondre die Namen aller vernommnen Personen, ebenso wie ihre Aussagen, würde zu seiner Kenntnis gelangen. In dem Verlangen Asews im Zusammenhang mit der Erklärung des Sicherheitschefs Gerassimow erblicke ich eine direkte Gefahr für mich und halte es für notwendig, all dies zur Kenntnis Eurer hohen Exzellenz zu bringen, mit der Bitte, mich gegen die Treibereien der Geheimpolizei zu schützen, die meiner Ruhe und vielleicht auch meinem Leben gefährlich sind. Wenn Eure hohe Exzellenz sich mit mir persönlich über diesen Brief aussprechen wollen, stehe ich Eurer hohen Exzellenz zur Verfügung. A. Lopuchin, Se. Petersburg, 21. November (4. Dezember) 1908." Auf Grund näherer Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse kann ich mich der allgemeinen Auffassung über die Schuld Lopuchins nicht anschließen und möchte heute das, was ich schon im Dresdner Anzeiger Ur. 37 schrieb, er¬ weitern und durch authentisches Material begründen. Der Fall Lopuchin hat nicht nur in Rußland, sondern in der gesamten zivilisierten Welt berechtigtes Aufsehn erregt. Wir haben nun Grund zu der Annahme, daß nicht alles so ist, wie es scheinen könnte, und erinnern zunächst zur Beruhigung der Gemüter an den Feldzug der internationalen sozialistischen und freisinnigen Presse gegen den Polizeimeister Reinbot von Moskau. Alle gegen den General persönlich erhabnen Anschuldigungen haben sich als nichtig erwiesen, und er hat Gelegenheit gehabt, vor dem öffentlichen Gericht seine Unschuld zu beweisen. Nicht anders wird es hoffentlich mit Lopuchin gehn, und es liegt im eigensten Interesse der russischen Regierung, mit der Unter¬ suchung der Angelegenheit so weit zu gehn als nur irgend möglich. Alexej Alexandrowitsch Lopuchin ist Abkömmling eines alten Adels¬ geschlechts des Gouvernements Twer und durch vielfache Bande mit den Familien der Fürsten Urussow, Stolypin, Obolenski, die seit zehn Jahren eine politische Rolle spielen, verwandtschaftlich verknüpft. Seit 1880 im Staatsdienst, ist Lopuchin von Haus aus Jurist. Erst im Jahre 1900 trat er in den Vorder¬ grund, als er in seiner Eigenschaft als Staatsanwalt von Se. Petersburg den Grenzboten I 1909 S0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/389>, abgerufen am 12.12.2024.