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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Aer j)arnassus in Neusiedel

ist übrigens kaum eine der cipulischen Kathedralen entgangen. Mit die größten
Verunglimpfungen weist der Dom von Andria, jene wahrscheinlich unter Kaiser
Friedrich dem Zweiten entstandne Schöpfung auf, deren Krypta die Leichen
seiner beiden Gemahlinnen Jolanthe von Jerusalem und Jsabella von England
aufgenommen hat. Unter den verschnörkelten Stuckornamenten, dem in schreienden
Weiß und Lila ausgeführten Anstrich treten die großen, schönen Verhältnisse
der fünfschiffiger Anlage fast gar nicht hervor. Der Gipfelpunkt der Geschmack¬
losigkeit aber wurde in der Kathedrale von Trani erreicht, jener größten und
schönsten der apulischen Kirchen, deren grauweiße Sandsteinmauern so weithin
über die tiefblaue Meeresfläche schimmern. Vierzigtausend Dukaten ließ es
sich Trans Erzbischof ti Frcmci im Jahre 1834 tosten, um das Innere mit
einem rosenroten, marmorartigen Bewurf und barvckartigen Stuckverzierungen
zu überziehn. Zum Glück aber hat selbst diese Barbarei nicht ganz den über¬
wältigenden Eindruck verwischen können, den der weiträumige Säulenbau mit
seinen malerischen Durchblicken, den Emporengalerien und der schwindelnd hohen,
künstlerisch ausgemalten Decke macht.




Der parnassus in Neusiedel
Fritz Anders von(Fortsetzung)
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le Gesellschaft zur Pflege usw. beobachtete diese Vorgänge Statuten"
gemäß mit gespannter Aufmerksamkeit. Sie hatte jedoch für die Oper
nur ein mitleidiges Lächeln. Wie konnte man diese Singspielchen
ernst nehmen, die schon die Mütter und Großmütter des gegen¬
wärtigen Geschlechts amüsiert hatten. Geht man denn in das Theater,
I pflegt man denn Kunst, um sich zu amüsieren? Und Flotow,
Lorzing. Rossini, Boieldieu, verbundne Sterne, Helden einer Zeit, in der man Arien
und Rezitative schrieb. Ein einziges: "Winterstürme wichen dem Wonnemond"
aus dem Munde eines Bayreuther Meisters wiegen ja sieben Barbiere von
Sevilla auf.

Man faßte einen Beschluß, der protokollarisch festgelegt wurde, dahingehend,
daß die Gesellschaft zur Pflege usw. die Veranstaltung von "Bayreuther Tagen" in die
Hand nehmen werde. Dazu brauchte man natürlich das neue Theater. Man
zweifelte nicht daran, daß der Direktor erfreut sein werde, sein Theater zu einer
Stätte hehrer Kunstübung gemacht zu sehen, und der Herr General übernahm es,
die Verhandlungen mit dem Direktor zu führen.

Er begab sich also steifbeinig, aber leutseligen Gemüts zum Direktor in das
Theaterbureau. Der Herr Direktor empfing Seine Exzellenz in der Haltung eines
Diplomaten alter Schule, der sich anschickt, mit dem Gesandten eines befreundeten


Aer j)arnassus in Neusiedel

ist übrigens kaum eine der cipulischen Kathedralen entgangen. Mit die größten
Verunglimpfungen weist der Dom von Andria, jene wahrscheinlich unter Kaiser
Friedrich dem Zweiten entstandne Schöpfung auf, deren Krypta die Leichen
seiner beiden Gemahlinnen Jolanthe von Jerusalem und Jsabella von England
aufgenommen hat. Unter den verschnörkelten Stuckornamenten, dem in schreienden
Weiß und Lila ausgeführten Anstrich treten die großen, schönen Verhältnisse
der fünfschiffiger Anlage fast gar nicht hervor. Der Gipfelpunkt der Geschmack¬
losigkeit aber wurde in der Kathedrale von Trani erreicht, jener größten und
schönsten der apulischen Kirchen, deren grauweiße Sandsteinmauern so weithin
über die tiefblaue Meeresfläche schimmern. Vierzigtausend Dukaten ließ es
sich Trans Erzbischof ti Frcmci im Jahre 1834 tosten, um das Innere mit
einem rosenroten, marmorartigen Bewurf und barvckartigen Stuckverzierungen
zu überziehn. Zum Glück aber hat selbst diese Barbarei nicht ganz den über¬
wältigenden Eindruck verwischen können, den der weiträumige Säulenbau mit
seinen malerischen Durchblicken, den Emporengalerien und der schwindelnd hohen,
künstlerisch ausgemalten Decke macht.




Der parnassus in Neusiedel
Fritz Anders von(Fortsetzung)
8

le Gesellschaft zur Pflege usw. beobachtete diese Vorgänge Statuten«
gemäß mit gespannter Aufmerksamkeit. Sie hatte jedoch für die Oper
nur ein mitleidiges Lächeln. Wie konnte man diese Singspielchen
ernst nehmen, die schon die Mütter und Großmütter des gegen¬
wärtigen Geschlechts amüsiert hatten. Geht man denn in das Theater,
I pflegt man denn Kunst, um sich zu amüsieren? Und Flotow,
Lorzing. Rossini, Boieldieu, verbundne Sterne, Helden einer Zeit, in der man Arien
und Rezitative schrieb. Ein einziges: „Winterstürme wichen dem Wonnemond"
aus dem Munde eines Bayreuther Meisters wiegen ja sieben Barbiere von
Sevilla auf.

Man faßte einen Beschluß, der protokollarisch festgelegt wurde, dahingehend,
daß die Gesellschaft zur Pflege usw. die Veranstaltung von „Bayreuther Tagen" in die
Hand nehmen werde. Dazu brauchte man natürlich das neue Theater. Man
zweifelte nicht daran, daß der Direktor erfreut sein werde, sein Theater zu einer
Stätte hehrer Kunstübung gemacht zu sehen, und der Herr General übernahm es,
die Verhandlungen mit dem Direktor zu führen.

Er begab sich also steifbeinig, aber leutseligen Gemüts zum Direktor in das
Theaterbureau. Der Herr Direktor empfing Seine Exzellenz in der Haltung eines
Diplomaten alter Schule, der sich anschickt, mit dem Gesandten eines befreundeten


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[0267] Aer j)arnassus in Neusiedel ist übrigens kaum eine der cipulischen Kathedralen entgangen. Mit die größten Verunglimpfungen weist der Dom von Andria, jene wahrscheinlich unter Kaiser Friedrich dem Zweiten entstandne Schöpfung auf, deren Krypta die Leichen seiner beiden Gemahlinnen Jolanthe von Jerusalem und Jsabella von England aufgenommen hat. Unter den verschnörkelten Stuckornamenten, dem in schreienden Weiß und Lila ausgeführten Anstrich treten die großen, schönen Verhältnisse der fünfschiffiger Anlage fast gar nicht hervor. Der Gipfelpunkt der Geschmack¬ losigkeit aber wurde in der Kathedrale von Trani erreicht, jener größten und schönsten der apulischen Kirchen, deren grauweiße Sandsteinmauern so weithin über die tiefblaue Meeresfläche schimmern. Vierzigtausend Dukaten ließ es sich Trans Erzbischof ti Frcmci im Jahre 1834 tosten, um das Innere mit einem rosenroten, marmorartigen Bewurf und barvckartigen Stuckverzierungen zu überziehn. Zum Glück aber hat selbst diese Barbarei nicht ganz den über¬ wältigenden Eindruck verwischen können, den der weiträumige Säulenbau mit seinen malerischen Durchblicken, den Emporengalerien und der schwindelnd hohen, künstlerisch ausgemalten Decke macht. Der parnassus in Neusiedel Fritz Anders von(Fortsetzung) 8 le Gesellschaft zur Pflege usw. beobachtete diese Vorgänge Statuten« gemäß mit gespannter Aufmerksamkeit. Sie hatte jedoch für die Oper nur ein mitleidiges Lächeln. Wie konnte man diese Singspielchen ernst nehmen, die schon die Mütter und Großmütter des gegen¬ wärtigen Geschlechts amüsiert hatten. Geht man denn in das Theater, I pflegt man denn Kunst, um sich zu amüsieren? Und Flotow, Lorzing. Rossini, Boieldieu, verbundne Sterne, Helden einer Zeit, in der man Arien und Rezitative schrieb. Ein einziges: „Winterstürme wichen dem Wonnemond" aus dem Munde eines Bayreuther Meisters wiegen ja sieben Barbiere von Sevilla auf. Man faßte einen Beschluß, der protokollarisch festgelegt wurde, dahingehend, daß die Gesellschaft zur Pflege usw. die Veranstaltung von „Bayreuther Tagen" in die Hand nehmen werde. Dazu brauchte man natürlich das neue Theater. Man zweifelte nicht daran, daß der Direktor erfreut sein werde, sein Theater zu einer Stätte hehrer Kunstübung gemacht zu sehen, und der Herr General übernahm es, die Verhandlungen mit dem Direktor zu führen. Er begab sich also steifbeinig, aber leutseligen Gemüts zum Direktor in das Theaterbureau. Der Herr Direktor empfing Seine Exzellenz in der Haltung eines Diplomaten alter Schule, der sich anschickt, mit dem Gesandten eines befreundeten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/267>, abgerufen am 22.07.2024.