Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der parnassus in Aeusiedel

Kriegsphantasien erfüllten Seelen gesehen und als Tatsache anerkannt werde.
Nicht die Friedenskongresse werden den Krieg aus der Welt schaffen, sondern
weil in der nächsten Periode der wirtschaftliche Zustand -- im einund¬
zwanzigsten Jahrhundert kann ja wieder ein andrer eintreten -- den Krieg
zwischen den herrschenden Kulturnationen bis zur Unmöglichkeit erschwert,
wird man bei Streitigkeiten zu internationalen Kongressen und Schieds¬
gerichten seine Zuflucht nehmen müssen. Die Entwicklung bringt es eben mit
sich, daß Muskelkraft mehr und mehr durch Intelligenz, die Mordwaffe durch
Maßregeln ersetzt wird. Eben erinnert mich ein unbedeutender Vorfall daran,
wie das auch in dem hier betrachteten Gebiete von Lebensinteressen wirkt.
Die Skandinavier sind aus Säufern leidenschaftliche Abstinente geworden.
Zur Förderung der Mäßigkeit haben sie einen hohen Weinzoll eingeführt.
Dadurch fühlte sich Frankreich geschädigt und rächte sich, indem es den skan¬
dinavischen Anleihen seinen Markt verschloß. Das hatte Finanzschwierigkeiten
in den drei Staaten zur Folge, und Schweden macht jetzt den Anfang mit
dem xawr xövoavi (im Völkerverkehr gibts wunderliche Versündigungen), indem
es den Weinzoll herabsetzt. Das ist eine der Formen des heutigen Krieges;
um die Chinesen mit indischem Opium vergiften zu dürfen, hat England vor
siebenundsechzig Jahren noch einen blutigen Krieg geführt. Die Änderung,
die dem deutschen Volkscharakter von der allmählichen Verdrängung des
irMwr^ t^xe durch den inäustrig.1 t^xs droht, erfüllt manchen guten Patrioten
mit Sorgen, für die Bertha von Suttner kein Verständnis hat; will sie es ge¬
winnen -- sie reist ja immer noch viel --, so raten wir ihr, unsern Ludwig
Carl Ientsch Kenner auf ein paar Stunden zu besuchen.



9er parnassus in Neusiedel
von Fritz Anders (Fortsetzung)

ach gemessener Zeit liefen die drei Entwürfe ein. Mein Gott! man
hatte nicht geglaubt, daß soviel Papier zu so einem Theaterentwurf
gehöre. Die Sachverständigenkommission fand sich nicht eher in dem
Haufen von Rollen zurecht, als bis der Stadtbaumeister im Stadt¬
verordnetensaale Bretterwände errichtet und die Pläne numeriert und
aufgenagelt hatte. Nun trat freilich ein großer Unterschied zwischen
den drei Plänen hervor. Der Ermsdorfsche Entwurf stellte ein Theater dar, von
der Art, wie sie bisher gebaut wurden. Von etwas steifer und eckiger Grazie, wie
es der Geschmack der Gegenwart fordert, aber sonst war der Baumeister nicht be¬
sonders originell, sondern nur darauf bedacht gewesen, das Technische möglichst
praktisch zu machen und den Besuchern einen möglichst behaglichen Aufenthalt zu


Der parnassus in Aeusiedel

Kriegsphantasien erfüllten Seelen gesehen und als Tatsache anerkannt werde.
Nicht die Friedenskongresse werden den Krieg aus der Welt schaffen, sondern
weil in der nächsten Periode der wirtschaftliche Zustand — im einund¬
zwanzigsten Jahrhundert kann ja wieder ein andrer eintreten — den Krieg
zwischen den herrschenden Kulturnationen bis zur Unmöglichkeit erschwert,
wird man bei Streitigkeiten zu internationalen Kongressen und Schieds¬
gerichten seine Zuflucht nehmen müssen. Die Entwicklung bringt es eben mit
sich, daß Muskelkraft mehr und mehr durch Intelligenz, die Mordwaffe durch
Maßregeln ersetzt wird. Eben erinnert mich ein unbedeutender Vorfall daran,
wie das auch in dem hier betrachteten Gebiete von Lebensinteressen wirkt.
Die Skandinavier sind aus Säufern leidenschaftliche Abstinente geworden.
Zur Förderung der Mäßigkeit haben sie einen hohen Weinzoll eingeführt.
Dadurch fühlte sich Frankreich geschädigt und rächte sich, indem es den skan¬
dinavischen Anleihen seinen Markt verschloß. Das hatte Finanzschwierigkeiten
in den drei Staaten zur Folge, und Schweden macht jetzt den Anfang mit
dem xawr xövoavi (im Völkerverkehr gibts wunderliche Versündigungen), indem
es den Weinzoll herabsetzt. Das ist eine der Formen des heutigen Krieges;
um die Chinesen mit indischem Opium vergiften zu dürfen, hat England vor
siebenundsechzig Jahren noch einen blutigen Krieg geführt. Die Änderung,
die dem deutschen Volkscharakter von der allmählichen Verdrängung des
irMwr^ t^xe durch den inäustrig.1 t^xs droht, erfüllt manchen guten Patrioten
mit Sorgen, für die Bertha von Suttner kein Verständnis hat; will sie es ge¬
winnen — sie reist ja immer noch viel —, so raten wir ihr, unsern Ludwig
Carl Ientsch Kenner auf ein paar Stunden zu besuchen.



9er parnassus in Neusiedel
von Fritz Anders (Fortsetzung)

ach gemessener Zeit liefen die drei Entwürfe ein. Mein Gott! man
hatte nicht geglaubt, daß soviel Papier zu so einem Theaterentwurf
gehöre. Die Sachverständigenkommission fand sich nicht eher in dem
Haufen von Rollen zurecht, als bis der Stadtbaumeister im Stadt¬
verordnetensaale Bretterwände errichtet und die Pläne numeriert und
aufgenagelt hatte. Nun trat freilich ein großer Unterschied zwischen
den drei Plänen hervor. Der Ermsdorfsche Entwurf stellte ein Theater dar, von
der Art, wie sie bisher gebaut wurden. Von etwas steifer und eckiger Grazie, wie
es der Geschmack der Gegenwart fordert, aber sonst war der Baumeister nicht be¬
sonders originell, sondern nur darauf bedacht gewesen, das Technische möglichst
praktisch zu machen und den Besuchern einen möglichst behaglichen Aufenthalt zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312509"/>
          <fw type="header" place="top"> Der parnassus in Aeusiedel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_580" prev="#ID_579"> Kriegsphantasien erfüllten Seelen gesehen und als Tatsache anerkannt werde.<lb/>
Nicht die Friedenskongresse werden den Krieg aus der Welt schaffen, sondern<lb/>
weil in der nächsten Periode der wirtschaftliche Zustand &#x2014; im einund¬<lb/>
zwanzigsten Jahrhundert kann ja wieder ein andrer eintreten &#x2014; den Krieg<lb/>
zwischen den herrschenden Kulturnationen bis zur Unmöglichkeit erschwert,<lb/>
wird man bei Streitigkeiten zu internationalen Kongressen und Schieds¬<lb/>
gerichten seine Zuflucht nehmen müssen. Die Entwicklung bringt es eben mit<lb/>
sich, daß Muskelkraft mehr und mehr durch Intelligenz, die Mordwaffe durch<lb/>
Maßregeln ersetzt wird. Eben erinnert mich ein unbedeutender Vorfall daran,<lb/>
wie das auch in dem hier betrachteten Gebiete von Lebensinteressen wirkt.<lb/>
Die Skandinavier sind aus Säufern leidenschaftliche Abstinente geworden.<lb/>
Zur Förderung der Mäßigkeit haben sie einen hohen Weinzoll eingeführt.<lb/>
Dadurch fühlte sich Frankreich geschädigt und rächte sich, indem es den skan¬<lb/>
dinavischen Anleihen seinen Markt verschloß. Das hatte Finanzschwierigkeiten<lb/>
in den drei Staaten zur Folge, und Schweden macht jetzt den Anfang mit<lb/>
dem xawr xövoavi (im Völkerverkehr gibts wunderliche Versündigungen), indem<lb/>
es den Weinzoll herabsetzt. Das ist eine der Formen des heutigen Krieges;<lb/>
um die Chinesen mit indischem Opium vergiften zu dürfen, hat England vor<lb/>
siebenundsechzig Jahren noch einen blutigen Krieg geführt. Die Änderung,<lb/>
die dem deutschen Volkscharakter von der allmählichen Verdrängung des<lb/>
irMwr^ t^xe durch den inäustrig.1 t^xs droht, erfüllt manchen guten Patrioten<lb/>
mit Sorgen, für die Bertha von Suttner kein Verständnis hat; will sie es ge¬<lb/>
winnen &#x2014; sie reist ja immer noch viel &#x2014;, so raten wir ihr, unsern Ludwig<lb/><note type="byline"> Carl Ientsch</note> Kenner auf ein paar Stunden zu besuchen. </p><lb/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341889_312350/figures/grenzboten_341889_312350_312509_004.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> 9er parnassus in Neusiedel<lb/><note type="byline"> von Fritz Anders</note> (Fortsetzung)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_581" next="#ID_582"> ach gemessener Zeit liefen die drei Entwürfe ein. Mein Gott! man<lb/>
hatte nicht geglaubt, daß soviel Papier zu so einem Theaterentwurf<lb/>
gehöre. Die Sachverständigenkommission fand sich nicht eher in dem<lb/>
Haufen von Rollen zurecht, als bis der Stadtbaumeister im Stadt¬<lb/>
verordnetensaale Bretterwände errichtet und die Pläne numeriert und<lb/>
aufgenagelt hatte. Nun trat freilich ein großer Unterschied zwischen<lb/>
den drei Plänen hervor. Der Ermsdorfsche Entwurf stellte ein Theater dar, von<lb/>
der Art, wie sie bisher gebaut wurden. Von etwas steifer und eckiger Grazie, wie<lb/>
es der Geschmack der Gegenwart fordert, aber sonst war der Baumeister nicht be¬<lb/>
sonders originell, sondern nur darauf bedacht gewesen, das Technische möglichst<lb/>
praktisch zu machen und den Besuchern einen möglichst behaglichen Aufenthalt zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] Der parnassus in Aeusiedel Kriegsphantasien erfüllten Seelen gesehen und als Tatsache anerkannt werde. Nicht die Friedenskongresse werden den Krieg aus der Welt schaffen, sondern weil in der nächsten Periode der wirtschaftliche Zustand — im einund¬ zwanzigsten Jahrhundert kann ja wieder ein andrer eintreten — den Krieg zwischen den herrschenden Kulturnationen bis zur Unmöglichkeit erschwert, wird man bei Streitigkeiten zu internationalen Kongressen und Schieds¬ gerichten seine Zuflucht nehmen müssen. Die Entwicklung bringt es eben mit sich, daß Muskelkraft mehr und mehr durch Intelligenz, die Mordwaffe durch Maßregeln ersetzt wird. Eben erinnert mich ein unbedeutender Vorfall daran, wie das auch in dem hier betrachteten Gebiete von Lebensinteressen wirkt. Die Skandinavier sind aus Säufern leidenschaftliche Abstinente geworden. Zur Förderung der Mäßigkeit haben sie einen hohen Weinzoll eingeführt. Dadurch fühlte sich Frankreich geschädigt und rächte sich, indem es den skan¬ dinavischen Anleihen seinen Markt verschloß. Das hatte Finanzschwierigkeiten in den drei Staaten zur Folge, und Schweden macht jetzt den Anfang mit dem xawr xövoavi (im Völkerverkehr gibts wunderliche Versündigungen), indem es den Weinzoll herabsetzt. Das ist eine der Formen des heutigen Krieges; um die Chinesen mit indischem Opium vergiften zu dürfen, hat England vor siebenundsechzig Jahren noch einen blutigen Krieg geführt. Die Änderung, die dem deutschen Volkscharakter von der allmählichen Verdrängung des irMwr^ t^xe durch den inäustrig.1 t^xs droht, erfüllt manchen guten Patrioten mit Sorgen, für die Bertha von Suttner kein Verständnis hat; will sie es ge¬ winnen — sie reist ja immer noch viel —, so raten wir ihr, unsern Ludwig Carl Ientsch Kenner auf ein paar Stunden zu besuchen. [Abbildung] 9er parnassus in Neusiedel von Fritz Anders (Fortsetzung) ach gemessener Zeit liefen die drei Entwürfe ein. Mein Gott! man hatte nicht geglaubt, daß soviel Papier zu so einem Theaterentwurf gehöre. Die Sachverständigenkommission fand sich nicht eher in dem Haufen von Rollen zurecht, als bis der Stadtbaumeister im Stadt¬ verordnetensaale Bretterwände errichtet und die Pläne numeriert und aufgenagelt hatte. Nun trat freilich ein großer Unterschied zwischen den drei Plänen hervor. Der Ermsdorfsche Entwurf stellte ein Theater dar, von der Art, wie sie bisher gebaut wurden. Von etwas steifer und eckiger Grazie, wie es der Geschmack der Gegenwart fordert, aber sonst war der Baumeister nicht be¬ sonders originell, sondern nur darauf bedacht gewesen, das Technische möglichst praktisch zu machen und den Besuchern einen möglichst behaglichen Aufenthalt zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/158
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/158>, abgerufen am 03.07.2024.