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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-slawische Beziehungen

um sie mit Kreuz, Luxus und Schwert zu erobern und zu germanisieren. Es
war die Zeit der gewaltsamen Kulturarbeit, während der das Land zwischen
Elbe und Weichsel sowie an der baltischen Küste deutsch wurde. Das Vor¬
dringen der Deutschen zwang die Westslawen sowohl zur Annahme des
Christentums wie zur Staatenbildung.

Während sich die slawischen Staaten festigten, begann der Niedergang des
Deutschen Ordens, dessen Aufgaben für die Weltgeschichte erfüllt waren, nachdem
die Slawen das Christentum angenommen hatten. An die Stelle der gewalt¬
samen Kultivierung trat die friedliche, die ich die zweite Periode nennen möchte.
Geniale Fürsten riefen neben römischen Priestern deutschen Fleiß und deutsche
Bildung in ihre Lande und fügten dadurch ihren weichern slawischen Untertanen
den starken Kulturextrakt bei, der die Deutschen so lange Zeit hindurch aus¬
gezeichnet hat und sie zur Herrschaft über die Slawen zu bestimmen schien.
Die slawischen Staaten, Böhmen und Polen, erlebten einen gewaltigen Auf¬
schwung, während die Moskowiter, die sich nach ihrem Sieg über den Orden
den germanischen Einschlag nicht zu verschaffen vermochten, unter dem Druck der
Mongolen dem Niedergang anheimfielen.

Die Ausrottung der Reformation in Böhmen und Polen bezeichnet den
Anfang der dritten, der Periode des Niedergangs für die Westslawen, der
Periode des Aufschwungs für Deutsche und Ostslawen, Moskowiter. Sie findet
nach unsrer Auffassung ihren Abschluß mit der Auflösung des Polenreichs. In
dieser dritten Periode beginnt die Entstehung des heutigen preußischen Staates,
dessen Herrscher zu Sammlern des Deutschtums berufen wurden, zu Schöpfern
des heutigen Deutschen Reichs. Auf der andern Seite der Westslawen haben
sich die Moskowiter vom Joch der Tataren befreit, und mit Hilfe eines deutschen
Fürstenhauses, der Holstein-Gottorper, entsteht der gewaltige Moskowiterstaat,
der obwohl von Niederlage zu Niederlage schreitend, dennoch ständig an äußerer
Macht und Einfluß gewinnt.

Seit dem Zusammenbruch Polens beginnen die Westslawen sich auf sich
selbst zu besinnen, und setzt in den böhmischen und polnischen Gefilden der
Kampf ein, dessen Endziel die Schaffung je eines selbständigen polnischen und
böhmischen Staates ist. Dieser Kampf um die Selbständigkeit bei Polen und
Tschechen bildet den engen Rahmen für die heutigen und künftigen deutsch¬
slawischen Beziehungen.

Es soll nun im Rahmen einer Skizze versucht werden, das innere Wesen
der gegenwärtigen Beziehungen und deren wichtigste Äußerungen darzustellen.

Das Kampfgebiet liegt in der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen
Entwicklung.

Die wirtschaftliche Entwicklung i

st sowohl bei den Polen wie bei den
Tschechen seit Mitte des vorigen Jahrhunderts gesund. Die polnische Bevölkerung
verdoppelt ihre Zahl in etwa 35 bis 40 Jahren, ähnlich die tschechische. Die
Polen sind mit Hilfe des deutschen Kapitals und deutscher Technik in den
Besitz einer Industrie gelangt, die, zum großen Teil mit deutschem Kapital,


Deutsch-slawische Beziehungen

um sie mit Kreuz, Luxus und Schwert zu erobern und zu germanisieren. Es
war die Zeit der gewaltsamen Kulturarbeit, während der das Land zwischen
Elbe und Weichsel sowie an der baltischen Küste deutsch wurde. Das Vor¬
dringen der Deutschen zwang die Westslawen sowohl zur Annahme des
Christentums wie zur Staatenbildung.

Während sich die slawischen Staaten festigten, begann der Niedergang des
Deutschen Ordens, dessen Aufgaben für die Weltgeschichte erfüllt waren, nachdem
die Slawen das Christentum angenommen hatten. An die Stelle der gewalt¬
samen Kultivierung trat die friedliche, die ich die zweite Periode nennen möchte.
Geniale Fürsten riefen neben römischen Priestern deutschen Fleiß und deutsche
Bildung in ihre Lande und fügten dadurch ihren weichern slawischen Untertanen
den starken Kulturextrakt bei, der die Deutschen so lange Zeit hindurch aus¬
gezeichnet hat und sie zur Herrschaft über die Slawen zu bestimmen schien.
Die slawischen Staaten, Böhmen und Polen, erlebten einen gewaltigen Auf¬
schwung, während die Moskowiter, die sich nach ihrem Sieg über den Orden
den germanischen Einschlag nicht zu verschaffen vermochten, unter dem Druck der
Mongolen dem Niedergang anheimfielen.

Die Ausrottung der Reformation in Böhmen und Polen bezeichnet den
Anfang der dritten, der Periode des Niedergangs für die Westslawen, der
Periode des Aufschwungs für Deutsche und Ostslawen, Moskowiter. Sie findet
nach unsrer Auffassung ihren Abschluß mit der Auflösung des Polenreichs. In
dieser dritten Periode beginnt die Entstehung des heutigen preußischen Staates,
dessen Herrscher zu Sammlern des Deutschtums berufen wurden, zu Schöpfern
des heutigen Deutschen Reichs. Auf der andern Seite der Westslawen haben
sich die Moskowiter vom Joch der Tataren befreit, und mit Hilfe eines deutschen
Fürstenhauses, der Holstein-Gottorper, entsteht der gewaltige Moskowiterstaat,
der obwohl von Niederlage zu Niederlage schreitend, dennoch ständig an äußerer
Macht und Einfluß gewinnt.

Seit dem Zusammenbruch Polens beginnen die Westslawen sich auf sich
selbst zu besinnen, und setzt in den böhmischen und polnischen Gefilden der
Kampf ein, dessen Endziel die Schaffung je eines selbständigen polnischen und
böhmischen Staates ist. Dieser Kampf um die Selbständigkeit bei Polen und
Tschechen bildet den engen Rahmen für die heutigen und künftigen deutsch¬
slawischen Beziehungen.

Es soll nun im Rahmen einer Skizze versucht werden, das innere Wesen
der gegenwärtigen Beziehungen und deren wichtigste Äußerungen darzustellen.

Das Kampfgebiet liegt in der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen
Entwicklung.

Die wirtschaftliche Entwicklung i

st sowohl bei den Polen wie bei den
Tschechen seit Mitte des vorigen Jahrhunderts gesund. Die polnische Bevölkerung
verdoppelt ihre Zahl in etwa 35 bis 40 Jahren, ähnlich die tschechische. Die
Polen sind mit Hilfe des deutschen Kapitals und deutscher Technik in den
Besitz einer Industrie gelangt, die, zum großen Teil mit deutschem Kapital,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/14>, abgerufen am 22.07.2024.