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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Gibraltar
Martin Andersen Nexö Reisebilder von

er Andalusien bereist, soll des Gegensatzes halber Spaniens
südlichste Landspitze besuchen, wo die englische Felsenfestung
Gibraltar liegt wie ein Stück nüchterner anglo-germanischer
Kultur in orientalisch-tropischer Einfassung, eine auf ein sprühendes
schwarzes Frauenauge geballte Boxerfaust.

Von dem Knotenpunkt Bobadilla aus geht die Bahn in gerade südlicher
Richtung durch eine der wildesten und schönsten Berggegenden Andalusiens,
Sierra de Ronda. Wilde Felsabhänge und üppige Gelände, Tunnels,
Viadukte und schwindelnde Brücken lösen einander ab; Berge türmen sich um
uns auf, sodaß wir uns wie in einem tiefen Brunnen befinden, um sich im
nächsten Augenblick zu öffnen und fortzusetzen in einer unendlichen Perspektive,
die mit weiten Ausblicken auf Städte und flach bebaute Felder rasch an uns
vorbeischwirrt.

Maler, die nicht gerade mit dem Zwecke, sich zu Theatermalern auszubilden,
nach dem Süden reisen, sondern großartige Natur und eigentümliches Volks¬
leben suchen, sollten entschieden Italien mit Andalusien vertauschen. Da ist die
Sierra Nevada von Guadix bis Granada mit tiefeingebetteten Städten, die
uns wie eine neue unbekannte Welt anmutet und mit ihren ungeheuern
Schneefeldern und blauenden Abgründen einem Maler den Angstschweiß er¬
pressen kann. Da ist Granada selbst, einzigstehend unter den Städten durch
seine Straßen und sein Volksleben, seine Alhambra und seine Naturschönheiten.
Da ist Loja, sechs Meilen südwestlich, Albana, Antequera -- seltsame maurische
Städte mit einer seltsamen Bevölkerung und in einer seltsamen Natur. Und
ein wenig südlich wieder Sierra de Ronda, das wir nun durchfahren, eine
zerrissene Gegend, die an Wucht und Wildheit wächst, bis sie in der Umgebung
der Stadt Ronda kulminiert.

Ronda liegt mitten auf einem großen Felsenplateau, auf einer Bergkuppe,
die durch einen tiefen Schnitt in zwei Teile gespalten ist. Über den Spalt
hinweg spannt sich ein mächtiger Brückenbogen und verbindet in kühnem Schwung
die beiden Stadtteile. Von der Brücke herab starrt man in die schroffe Tiefe,
auf deren Grund der Guadiaro rauscht, über die Felsen herabstürzend wie
aufgelöste Haarmassen. Feuchte Kühle steigt von unten empor, und dann und
wann legt sich ein Staubregen erfrischend über unser Antlitz.




Gibraltar
Martin Andersen Nexö Reisebilder von

er Andalusien bereist, soll des Gegensatzes halber Spaniens
südlichste Landspitze besuchen, wo die englische Felsenfestung
Gibraltar liegt wie ein Stück nüchterner anglo-germanischer
Kultur in orientalisch-tropischer Einfassung, eine auf ein sprühendes
schwarzes Frauenauge geballte Boxerfaust.

Von dem Knotenpunkt Bobadilla aus geht die Bahn in gerade südlicher
Richtung durch eine der wildesten und schönsten Berggegenden Andalusiens,
Sierra de Ronda. Wilde Felsabhänge und üppige Gelände, Tunnels,
Viadukte und schwindelnde Brücken lösen einander ab; Berge türmen sich um
uns auf, sodaß wir uns wie in einem tiefen Brunnen befinden, um sich im
nächsten Augenblick zu öffnen und fortzusetzen in einer unendlichen Perspektive,
die mit weiten Ausblicken auf Städte und flach bebaute Felder rasch an uns
vorbeischwirrt.

Maler, die nicht gerade mit dem Zwecke, sich zu Theatermalern auszubilden,
nach dem Süden reisen, sondern großartige Natur und eigentümliches Volks¬
leben suchen, sollten entschieden Italien mit Andalusien vertauschen. Da ist die
Sierra Nevada von Guadix bis Granada mit tiefeingebetteten Städten, die
uns wie eine neue unbekannte Welt anmutet und mit ihren ungeheuern
Schneefeldern und blauenden Abgründen einem Maler den Angstschweiß er¬
pressen kann. Da ist Granada selbst, einzigstehend unter den Städten durch
seine Straßen und sein Volksleben, seine Alhambra und seine Naturschönheiten.
Da ist Loja, sechs Meilen südwestlich, Albana, Antequera — seltsame maurische
Städte mit einer seltsamen Bevölkerung und in einer seltsamen Natur. Und
ein wenig südlich wieder Sierra de Ronda, das wir nun durchfahren, eine
zerrissene Gegend, die an Wucht und Wildheit wächst, bis sie in der Umgebung
der Stadt Ronda kulminiert.

Ronda liegt mitten auf einem großen Felsenplateau, auf einer Bergkuppe,
die durch einen tiefen Schnitt in zwei Teile gespalten ist. Über den Spalt
hinweg spannt sich ein mächtiger Brückenbogen und verbindet in kühnem Schwung
die beiden Stadtteile. Von der Brücke herab starrt man in die schroffe Tiefe,
auf deren Grund der Guadiaro rauscht, über die Felsen herabstürzend wie
aufgelöste Haarmassen. Feuchte Kühle steigt von unten empor, und dann und
wann legt sich ein Staubregen erfrischend über unser Antlitz.


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[0625] [Abbildung] Gibraltar Martin Andersen Nexö Reisebilder von er Andalusien bereist, soll des Gegensatzes halber Spaniens südlichste Landspitze besuchen, wo die englische Felsenfestung Gibraltar liegt wie ein Stück nüchterner anglo-germanischer Kultur in orientalisch-tropischer Einfassung, eine auf ein sprühendes schwarzes Frauenauge geballte Boxerfaust. Von dem Knotenpunkt Bobadilla aus geht die Bahn in gerade südlicher Richtung durch eine der wildesten und schönsten Berggegenden Andalusiens, Sierra de Ronda. Wilde Felsabhänge und üppige Gelände, Tunnels, Viadukte und schwindelnde Brücken lösen einander ab; Berge türmen sich um uns auf, sodaß wir uns wie in einem tiefen Brunnen befinden, um sich im nächsten Augenblick zu öffnen und fortzusetzen in einer unendlichen Perspektive, die mit weiten Ausblicken auf Städte und flach bebaute Felder rasch an uns vorbeischwirrt. Maler, die nicht gerade mit dem Zwecke, sich zu Theatermalern auszubilden, nach dem Süden reisen, sondern großartige Natur und eigentümliches Volks¬ leben suchen, sollten entschieden Italien mit Andalusien vertauschen. Da ist die Sierra Nevada von Guadix bis Granada mit tiefeingebetteten Städten, die uns wie eine neue unbekannte Welt anmutet und mit ihren ungeheuern Schneefeldern und blauenden Abgründen einem Maler den Angstschweiß er¬ pressen kann. Da ist Granada selbst, einzigstehend unter den Städten durch seine Straßen und sein Volksleben, seine Alhambra und seine Naturschönheiten. Da ist Loja, sechs Meilen südwestlich, Albana, Antequera — seltsame maurische Städte mit einer seltsamen Bevölkerung und in einer seltsamen Natur. Und ein wenig südlich wieder Sierra de Ronda, das wir nun durchfahren, eine zerrissene Gegend, die an Wucht und Wildheit wächst, bis sie in der Umgebung der Stadt Ronda kulminiert. Ronda liegt mitten auf einem großen Felsenplateau, auf einer Bergkuppe, die durch einen tiefen Schnitt in zwei Teile gespalten ist. Über den Spalt hinweg spannt sich ein mächtiger Brückenbogen und verbindet in kühnem Schwung die beiden Stadtteile. Von der Brücke herab starrt man in die schroffe Tiefe, auf deren Grund der Guadiaro rauscht, über die Felsen herabstürzend wie aufgelöste Haarmassen. Feuchte Kühle steigt von unten empor, und dann und wann legt sich ein Staubregen erfrischend über unser Antlitz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/625>, abgerufen am 22.07.2024.