Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches ebenfalls nicht. In beiden Fragen bleibt zunächst alles beim alten. Nur wird Kirchenpolitisches. Von Ernst Troeltsch darf man sagen, es gelinge Maßgebliches und Unmaßgebliches ebenfalls nicht. In beiden Fragen bleibt zunächst alles beim alten. Nur wird Kirchenpolitisches. Von Ernst Troeltsch darf man sagen, es gelinge <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0599" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311682"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2830" prev="#ID_2829"> ebenfalls nicht. In beiden Fragen bleibt zunächst alles beim alten. Nur wird<lb/> die preußische Regierung dann zweifellos den von den Liberalen abgelehnten<lb/> Sprachenparagraphen in das preußische Vereinsgesch aufnehmen lassen, was ihr<lb/> sicher gelingen wird. Den Liberalen wären dann glücklich alle Felle weg¬<lb/> geschwommen. Sie haben es aber leicht, die Situation ganz und gar zu ihren<lb/> Gunsten zu retten, wenn sie nur den törichten Widerstand gegen den Sprachen-<lb/> Paragraphen aufgeben. Damit wäre das Reichsvereinsgesetz unter Dach gebracht,<lb/> und es besteht weiter kein Zweifel, daß dann auch die Konservativen ihre Forderungen<lb/> zur Vörsengesetznovelle fallen lassen. Dadurch wären die liberalen Wünsche auch<lb/> in der andern Richtung erfüllt, und die Liberalen hätten mit dem Anfang der<lb/> Blockpolitik ein recht gutes Geschäft gemacht. Es fragt sich uur, ob der<lb/> Doktrinarismus und die Vergangenheit unsrer Linksliberalen zu dem kleinen Opfer<lb/> fähig sind</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="2"> <head> Kirchenpolitisches.</head> <p xml:id="ID_2831" next="#ID_2832"> Von Ernst Troeltsch darf man sagen, es gelinge<lb/> ihm, wie kaum einem andern, den Kern der religiös-kirchlichen Probleme zu er¬<lb/> fassen und sie mit leidenschaftsloser Unparteilichkeit zu erörtern. In einer bei<lb/> I. C. B. Mohr in Tübingen veröffentlichten Prorektoratsrede behandelt er die<lb/> Trennung von Staat und Kirche, den staatlichen Religionsunterricht<lb/> und die theologischen Fakultäten. Sein eigentlicher Gegenstand war die<lb/> Beantwortung der Frage: Ist die Theologie eine Wissenschaft, und ist sie berechtigt<lb/> innerhalb des Rahmens der Universität? Aber da der Unterricht in der Religion,<lb/> den die theologischen Fakultäten erteilen, nur die oberste Stufe des gesamten<lb/> Religionsunterrichts ist, so kaun die Frage uicht beantwortet werden ohne die Er¬<lb/> örterung der andern beiden Probleme. Deren endgiltige Lösung hängt bei jeden»<lb/> Volke von der Stellung ab, die es in seiner Gesamtheit oder überwiegenden<lb/> Mehrheit zur religiösen Wahrheit einnimmt, von seiner Weltanschauung. Die alte<lb/> Kirche glaubte im Besitze der eiuen, absoluten Wahrheit zu sein und erhob darum<lb/> folgerichtig den Anspruch, das gesamte Kulturleben einschließlich der Jugenderziehung<lb/> zu beherrschen. Die römische Kirche hält an dieser Auffassung heute noch fest und<lb/> sucht die daraus abgeleiteten Forderungen durchzusetzen, soweit es die Zeitumstände<lb/> gestatten. Aber nicht sie allein, sondern auch das orthodoxe Luthertum und jede<lb/> andre Partei, die naiverweise das Monopol der absoluten Wahrheit zu besitzen<lb/> glaubt: so die Sozialdemokratie und der Monismus, der sich „die moderne Wissen¬<lb/> schaft" nennt; sie alle streben nach der Alleinherrschaft über die Bildungsanstalten.<lb/> „Es sind nicht weniger Anathcmatismen im Namen der modernen Wissenschaft, des<lb/> Fortschritts und der Bildung ergangen als in dem der Kirche." Die bescheidnen<lb/> und unbefangnen Geister ziehen aus der Vielheit der einander bekämpfenden<lb/> „Wahrheiten" den Schluß, daß es für den irdischen Menschen keine absolute Wahr¬<lb/> heit, sondern nur relative Wahrheiten gibt. Die politische Folgerung daraus ist<lb/> die Verdrängung der vom Staate anerkannten oder ihn beherrschenden Einheits¬<lb/> kirche durch die Freikirchen. Wie grundverschieden sich dieses zweite System ge¬<lb/> stalten kann, zeigt Troeltsch besonders an dein Gegensatze der neusten französischen<lb/> Gesetzgebung, die aus dem Haß gegen Christentum und Kirche entsprungen ist,<lb/> und der nordamerikanischen Trennung von Kirche und Staat, die auf der Achtung<lb/> eines religiösen Volkes vor der religiösen Überzeugung aller Einzelnen beruht. Ein<lb/> drittes System, das des paritätischen Staates, der, mit den anerkannten Kirchen<lb/> Vielfach verflochten, diesen Schutz und Beistand und innerhalb gesetzlicher Schranken<lb/> Freiheit gewährt, ist in Deutschland historisch geworden. Troeltsch meint, der<lb/> Staat, die Kirchen, die Sekten, die Einzelnen befänden sich dabei im Augenblick<lb/> gar nicht schlecht, „Erträglich ist der Zustand anch für alle gegen das Kirchentum</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0599]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
ebenfalls nicht. In beiden Fragen bleibt zunächst alles beim alten. Nur wird
die preußische Regierung dann zweifellos den von den Liberalen abgelehnten
Sprachenparagraphen in das preußische Vereinsgesch aufnehmen lassen, was ihr
sicher gelingen wird. Den Liberalen wären dann glücklich alle Felle weg¬
geschwommen. Sie haben es aber leicht, die Situation ganz und gar zu ihren
Gunsten zu retten, wenn sie nur den törichten Widerstand gegen den Sprachen-
Paragraphen aufgeben. Damit wäre das Reichsvereinsgesetz unter Dach gebracht,
und es besteht weiter kein Zweifel, daß dann auch die Konservativen ihre Forderungen
zur Vörsengesetznovelle fallen lassen. Dadurch wären die liberalen Wünsche auch
in der andern Richtung erfüllt, und die Liberalen hätten mit dem Anfang der
Blockpolitik ein recht gutes Geschäft gemacht. Es fragt sich uur, ob der
Doktrinarismus und die Vergangenheit unsrer Linksliberalen zu dem kleinen Opfer
fähig sind
Kirchenpolitisches. Von Ernst Troeltsch darf man sagen, es gelinge
ihm, wie kaum einem andern, den Kern der religiös-kirchlichen Probleme zu er¬
fassen und sie mit leidenschaftsloser Unparteilichkeit zu erörtern. In einer bei
I. C. B. Mohr in Tübingen veröffentlichten Prorektoratsrede behandelt er die
Trennung von Staat und Kirche, den staatlichen Religionsunterricht
und die theologischen Fakultäten. Sein eigentlicher Gegenstand war die
Beantwortung der Frage: Ist die Theologie eine Wissenschaft, und ist sie berechtigt
innerhalb des Rahmens der Universität? Aber da der Unterricht in der Religion,
den die theologischen Fakultäten erteilen, nur die oberste Stufe des gesamten
Religionsunterrichts ist, so kaun die Frage uicht beantwortet werden ohne die Er¬
örterung der andern beiden Probleme. Deren endgiltige Lösung hängt bei jeden»
Volke von der Stellung ab, die es in seiner Gesamtheit oder überwiegenden
Mehrheit zur religiösen Wahrheit einnimmt, von seiner Weltanschauung. Die alte
Kirche glaubte im Besitze der eiuen, absoluten Wahrheit zu sein und erhob darum
folgerichtig den Anspruch, das gesamte Kulturleben einschließlich der Jugenderziehung
zu beherrschen. Die römische Kirche hält an dieser Auffassung heute noch fest und
sucht die daraus abgeleiteten Forderungen durchzusetzen, soweit es die Zeitumstände
gestatten. Aber nicht sie allein, sondern auch das orthodoxe Luthertum und jede
andre Partei, die naiverweise das Monopol der absoluten Wahrheit zu besitzen
glaubt: so die Sozialdemokratie und der Monismus, der sich „die moderne Wissen¬
schaft" nennt; sie alle streben nach der Alleinherrschaft über die Bildungsanstalten.
„Es sind nicht weniger Anathcmatismen im Namen der modernen Wissenschaft, des
Fortschritts und der Bildung ergangen als in dem der Kirche." Die bescheidnen
und unbefangnen Geister ziehen aus der Vielheit der einander bekämpfenden
„Wahrheiten" den Schluß, daß es für den irdischen Menschen keine absolute Wahr¬
heit, sondern nur relative Wahrheiten gibt. Die politische Folgerung daraus ist
die Verdrängung der vom Staate anerkannten oder ihn beherrschenden Einheits¬
kirche durch die Freikirchen. Wie grundverschieden sich dieses zweite System ge¬
stalten kann, zeigt Troeltsch besonders an dein Gegensatze der neusten französischen
Gesetzgebung, die aus dem Haß gegen Christentum und Kirche entsprungen ist,
und der nordamerikanischen Trennung von Kirche und Staat, die auf der Achtung
eines religiösen Volkes vor der religiösen Überzeugung aller Einzelnen beruht. Ein
drittes System, das des paritätischen Staates, der, mit den anerkannten Kirchen
Vielfach verflochten, diesen Schutz und Beistand und innerhalb gesetzlicher Schranken
Freiheit gewährt, ist in Deutschland historisch geworden. Troeltsch meint, der
Staat, die Kirchen, die Sekten, die Einzelnen befänden sich dabei im Augenblick
gar nicht schlecht, „Erträglich ist der Zustand anch für alle gegen das Kirchentum
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