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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Kolonien Blumenau und Hansa

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WMenden im brasilianischen Bundesstaate Santa Catharina das
deutsche Kapital dem Bahnbau Blumenau-Hammonia näher ge¬
treten ist, hat sich die Aufmerksamkeit weiterer Kreise jener zukunfts¬
reichen Region zugewandt. Es ist deshalb mit Freuden zu be¬
grüßen, daß ein genauer Kenner der Gegend, Dr. xnil. Wettstein,
Oberleutnant a. D., darüber ein mit großem Fleiß zusammengetragnes umfang¬
reiches Material veröffentlicht hat, das geeignet ist, dem Publikum ein im
allgemeinen zuverlässiges Bild der dortigen Verhältnisse zu gewähren. Dieses
Werk führt den Titel: Blumenau und Brasilien und ist im Verlage von
Friedrich Engelmann (Leipzig, 1907) erschienen.

Die Kolonie Blumenau wurde im Jahre 1850 vou Dr. Blumenau ge¬
gründet. Der Stadtplatz und Ausstrahlungspunkt der Siedlung liegt am Rio
Jtajahy, und zwar nicht weit von dem Punkte, wo dieser Küsteufluß aufhört
schiffbar zu sein. Die deutschen Ansiedlungen wurden im allgemeinen längs
der Täter des Hauptflusses und seiner Nebenflüsse vorgeschoben, weil diese in
der gebirgigen Landschaft am leichtesten zugänglich waren. Die Einwandrer
gediehen gesundheitlich vorzüglich in der mit klimatischen Vorzügen aus¬
gestatteten Gegend. Das dem Urwald abgerungne Land war fruchtbar. Der
neue Ansiedler, der erst einmal die erste reichliche Ernte eingeheimst hatte, war
von Nahrungssorgen befreit. Und da der Deutsche nichts mehr liebt, als Herr
auf eignem Grund und Boden zu sein, wozu hier selbst dem Unbemittelten
Gelegenheit geboten war, so ist leicht begreiflich, daß sich eine durch Zu-
wandrung mehr und mehr stärkende große deutsche Kolonie herausbildete, deren
Bewohner, obwohl deutsch nach Gesinnung, Sitten und Sprache, doch größten¬
teils die brasilianische Nationalität annahmen und einen Lokalpatriotismus
gewannen, der auch für Brasilien ein günstiges Zeugnis ablegt. Dazu trug
auch der Umstand bei, daß damals die preußische Auswandrung nach Brasilien
durch das v. d. Heydtsche Reskript verboten war, daß sich also die deutschen
Auswandrer gegen den Willen ihrer Regierung dorthin begeben hatten.

War, nach Überwindung des für Unbemittelte natürlich recht schwierigen
und entbehrungsreichen Anfangs, späterhin von Nahrungssorgen keine Rede,
so war doch in bezug auf Gelderwerb die Kolonie recht ungünstig gestellt.
Blumenau liegt in einer Sackgasse des Verkehrs, zu der nur ein für kleinere
Fahrzeuge schiffbarer Strom den Eingang öffnete. Der Verkehr mit der Mit¬
welt blieb jahrzehntelang mangelhaft. Der Produktenabsatz war umstündlich




Die Kolonien Blumenau und Hansa

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WMenden im brasilianischen Bundesstaate Santa Catharina das
deutsche Kapital dem Bahnbau Blumenau-Hammonia näher ge¬
treten ist, hat sich die Aufmerksamkeit weiterer Kreise jener zukunfts¬
reichen Region zugewandt. Es ist deshalb mit Freuden zu be¬
grüßen, daß ein genauer Kenner der Gegend, Dr. xnil. Wettstein,
Oberleutnant a. D., darüber ein mit großem Fleiß zusammengetragnes umfang¬
reiches Material veröffentlicht hat, das geeignet ist, dem Publikum ein im
allgemeinen zuverlässiges Bild der dortigen Verhältnisse zu gewähren. Dieses
Werk führt den Titel: Blumenau und Brasilien und ist im Verlage von
Friedrich Engelmann (Leipzig, 1907) erschienen.

Die Kolonie Blumenau wurde im Jahre 1850 vou Dr. Blumenau ge¬
gründet. Der Stadtplatz und Ausstrahlungspunkt der Siedlung liegt am Rio
Jtajahy, und zwar nicht weit von dem Punkte, wo dieser Küsteufluß aufhört
schiffbar zu sein. Die deutschen Ansiedlungen wurden im allgemeinen längs
der Täter des Hauptflusses und seiner Nebenflüsse vorgeschoben, weil diese in
der gebirgigen Landschaft am leichtesten zugänglich waren. Die Einwandrer
gediehen gesundheitlich vorzüglich in der mit klimatischen Vorzügen aus¬
gestatteten Gegend. Das dem Urwald abgerungne Land war fruchtbar. Der
neue Ansiedler, der erst einmal die erste reichliche Ernte eingeheimst hatte, war
von Nahrungssorgen befreit. Und da der Deutsche nichts mehr liebt, als Herr
auf eignem Grund und Boden zu sein, wozu hier selbst dem Unbemittelten
Gelegenheit geboten war, so ist leicht begreiflich, daß sich eine durch Zu-
wandrung mehr und mehr stärkende große deutsche Kolonie herausbildete, deren
Bewohner, obwohl deutsch nach Gesinnung, Sitten und Sprache, doch größten¬
teils die brasilianische Nationalität annahmen und einen Lokalpatriotismus
gewannen, der auch für Brasilien ein günstiges Zeugnis ablegt. Dazu trug
auch der Umstand bei, daß damals die preußische Auswandrung nach Brasilien
durch das v. d. Heydtsche Reskript verboten war, daß sich also die deutschen
Auswandrer gegen den Willen ihrer Regierung dorthin begeben hatten.

War, nach Überwindung des für Unbemittelte natürlich recht schwierigen
und entbehrungsreichen Anfangs, späterhin von Nahrungssorgen keine Rede,
so war doch in bezug auf Gelderwerb die Kolonie recht ungünstig gestellt.
Blumenau liegt in einer Sackgasse des Verkehrs, zu der nur ein für kleinere
Fahrzeuge schiffbarer Strom den Eingang öffnete. Der Verkehr mit der Mit¬
welt blieb jahrzehntelang mangelhaft. Der Produktenabsatz war umstündlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/513>, abgerufen am 22.07.2024.