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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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A>!l A'iarouis voll Carabas

Er hatte inzwischen auch seine Ansicht über Jürgens Verhältnis zu Pips und
über die Zukunft dieses Verhältnisses geändert. Er hatte erkannt und hatte den guten
Willen des Erkennenden, sich unverzagt selbst gegen seine eigne bisherige Meinung
zu erklären und überhaupt gegen alles, was feststehend in ihm wurde, mißtrauisch zu
sein. Das sei verdienstvoll, sagt Nietzsche. Und warum sollte nun nicht diesem Ge¬
danken folgen, nachdem doch hervorragende Köpfe herausgefunden hatten, daß Nietzsche
ein Wohlfahrtsmoralist und sogar ein solcher großen Stils war. Kalt selbst war
ebenfalls Wohlfahrtsmoralist, wenn auch kleinern Stils als Nietzsche.


Dritter Teil
Lrftes Kapitel

(der Verfasser verschwindet mit einer untertänigen Verbeugung und laßt die Töne reden)

Dies waren die Töne, die Jörgen Steenfelds Eintritt in ein vornehmes Haus
begleiteten, wo an diesem Abend -- es war ein Abend in der Hochsaison -- ein
glänzender Ball gegeben wurde. Es geschah nicht etwa ihm zu Ehren, daß die vollen
Töne erklangen, sondern zu Ehren andrer und vornehmerer Gäste.

Während ihm die Töne entgegenrauschten, eilte Jörgen die breite Treppe hinauf
und stand alsdann in einem hellen, festlich geschmückten Saale, wo sich das meiste
dessen, was im Lande Bedeutung hatte, vorfand. Das Licht der Kronleuchter an
der Decke schien auf strahlende Uniformen und weiße Hälse und blitzte in funkelnden
Geschmeiden wieder. Es blendete Jörgen ein wenig, und dieser suchte sich deshalb
einen Winkel aus, um sich von dort aus zu orientiere".

Mitten im Saale stand Onkel Emil in der Uniform des Hofjägermeisters mit
einem langen Stäbe in der Hand und einer Rosette an der einen Hüfte. Er
hatte die Aufgabe, die Jugend zu beaufsichtigen, und tat das mit großer Liebe
zur Sache. Wenn je ein Amt, so war dieses nach seinem Geschmack, umgab
ihn doch eine Menge junger Landfräuleiu in hellen niedrigen Kleidern mit
flatternden Bändern und frischen Blumen im Haar. Lächelnd und plaudernd
schwirrten sie umher und nahmen die Aufforderungen der männlichen Jugend zu
den Tänzen entgegen. Und hierzu war mehr nötig als, wie man denken sollte,
ein einfaches Ja, denn es galt für sie, den Auffordernden gleich auf seinen
persönlichen Wert und seine sonstigen Qualitäten richtig abzuschätzen. Welches
Unglück wäre es gewesen, wenn man einen so wichtigen Tanz wie den Kotillon oder
den ersten Tanz nach Tisch an einen gleich giltigen Herrn vergeben hätte, und wenn
dann später der "Richtige" gekommen wäre und den Tanz verlangt hätte! Im
Kotillon und im Tischtanz lagen die Schicksale der kleinen Wesen verborgen. Ja,
es gehörte Schneidigkeit dazu, doch diese hatten die Landfräuleins in reichem
Maße, und unter lustigem Lachen und mancherlei Wortgeplänkel vollzogen sie ihre
Wahl. Inmitten des Ganzen spreizte sich Onkel Emil wie ein Hahn in seinem
Hühnerhof.

In dem daneben liegenden Zimmer, in das die ältern Gäste von einem andern
Kammerherrn freundlich aber bestimmt gewiesen wurden, ging es ernsthafter zu.


A>!l A'iarouis voll Carabas

Er hatte inzwischen auch seine Ansicht über Jürgens Verhältnis zu Pips und
über die Zukunft dieses Verhältnisses geändert. Er hatte erkannt und hatte den guten
Willen des Erkennenden, sich unverzagt selbst gegen seine eigne bisherige Meinung
zu erklären und überhaupt gegen alles, was feststehend in ihm wurde, mißtrauisch zu
sein. Das sei verdienstvoll, sagt Nietzsche. Und warum sollte nun nicht diesem Ge¬
danken folgen, nachdem doch hervorragende Köpfe herausgefunden hatten, daß Nietzsche
ein Wohlfahrtsmoralist und sogar ein solcher großen Stils war. Kalt selbst war
ebenfalls Wohlfahrtsmoralist, wenn auch kleinern Stils als Nietzsche.


Dritter Teil
Lrftes Kapitel

(der Verfasser verschwindet mit einer untertänigen Verbeugung und laßt die Töne reden)

Dies waren die Töne, die Jörgen Steenfelds Eintritt in ein vornehmes Haus
begleiteten, wo an diesem Abend — es war ein Abend in der Hochsaison — ein
glänzender Ball gegeben wurde. Es geschah nicht etwa ihm zu Ehren, daß die vollen
Töne erklangen, sondern zu Ehren andrer und vornehmerer Gäste.

Während ihm die Töne entgegenrauschten, eilte Jörgen die breite Treppe hinauf
und stand alsdann in einem hellen, festlich geschmückten Saale, wo sich das meiste
dessen, was im Lande Bedeutung hatte, vorfand. Das Licht der Kronleuchter an
der Decke schien auf strahlende Uniformen und weiße Hälse und blitzte in funkelnden
Geschmeiden wieder. Es blendete Jörgen ein wenig, und dieser suchte sich deshalb
einen Winkel aus, um sich von dort aus zu orientiere«.

Mitten im Saale stand Onkel Emil in der Uniform des Hofjägermeisters mit
einem langen Stäbe in der Hand und einer Rosette an der einen Hüfte. Er
hatte die Aufgabe, die Jugend zu beaufsichtigen, und tat das mit großer Liebe
zur Sache. Wenn je ein Amt, so war dieses nach seinem Geschmack, umgab
ihn doch eine Menge junger Landfräuleiu in hellen niedrigen Kleidern mit
flatternden Bändern und frischen Blumen im Haar. Lächelnd und plaudernd
schwirrten sie umher und nahmen die Aufforderungen der männlichen Jugend zu
den Tänzen entgegen. Und hierzu war mehr nötig als, wie man denken sollte,
ein einfaches Ja, denn es galt für sie, den Auffordernden gleich auf seinen
persönlichen Wert und seine sonstigen Qualitäten richtig abzuschätzen. Welches
Unglück wäre es gewesen, wenn man einen so wichtigen Tanz wie den Kotillon oder
den ersten Tanz nach Tisch an einen gleich giltigen Herrn vergeben hätte, und wenn
dann später der „Richtige" gekommen wäre und den Tanz verlangt hätte! Im
Kotillon und im Tischtanz lagen die Schicksale der kleinen Wesen verborgen. Ja,
es gehörte Schneidigkeit dazu, doch diese hatten die Landfräuleins in reichem
Maße, und unter lustigem Lachen und mancherlei Wortgeplänkel vollzogen sie ihre
Wahl. Inmitten des Ganzen spreizte sich Onkel Emil wie ein Hahn in seinem
Hühnerhof.

In dem daneben liegenden Zimmer, in das die ältern Gäste von einem andern
Kammerherrn freundlich aber bestimmt gewiesen wurden, ging es ernsthafter zu.


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[0390] A>!l A'iarouis voll Carabas Er hatte inzwischen auch seine Ansicht über Jürgens Verhältnis zu Pips und über die Zukunft dieses Verhältnisses geändert. Er hatte erkannt und hatte den guten Willen des Erkennenden, sich unverzagt selbst gegen seine eigne bisherige Meinung zu erklären und überhaupt gegen alles, was feststehend in ihm wurde, mißtrauisch zu sein. Das sei verdienstvoll, sagt Nietzsche. Und warum sollte nun nicht diesem Ge¬ danken folgen, nachdem doch hervorragende Köpfe herausgefunden hatten, daß Nietzsche ein Wohlfahrtsmoralist und sogar ein solcher großen Stils war. Kalt selbst war ebenfalls Wohlfahrtsmoralist, wenn auch kleinern Stils als Nietzsche. Dritter Teil Lrftes Kapitel (der Verfasser verschwindet mit einer untertänigen Verbeugung und laßt die Töne reden) Dies waren die Töne, die Jörgen Steenfelds Eintritt in ein vornehmes Haus begleiteten, wo an diesem Abend — es war ein Abend in der Hochsaison — ein glänzender Ball gegeben wurde. Es geschah nicht etwa ihm zu Ehren, daß die vollen Töne erklangen, sondern zu Ehren andrer und vornehmerer Gäste. Während ihm die Töne entgegenrauschten, eilte Jörgen die breite Treppe hinauf und stand alsdann in einem hellen, festlich geschmückten Saale, wo sich das meiste dessen, was im Lande Bedeutung hatte, vorfand. Das Licht der Kronleuchter an der Decke schien auf strahlende Uniformen und weiße Hälse und blitzte in funkelnden Geschmeiden wieder. Es blendete Jörgen ein wenig, und dieser suchte sich deshalb einen Winkel aus, um sich von dort aus zu orientiere«. Mitten im Saale stand Onkel Emil in der Uniform des Hofjägermeisters mit einem langen Stäbe in der Hand und einer Rosette an der einen Hüfte. Er hatte die Aufgabe, die Jugend zu beaufsichtigen, und tat das mit großer Liebe zur Sache. Wenn je ein Amt, so war dieses nach seinem Geschmack, umgab ihn doch eine Menge junger Landfräuleiu in hellen niedrigen Kleidern mit flatternden Bändern und frischen Blumen im Haar. Lächelnd und plaudernd schwirrten sie umher und nahmen die Aufforderungen der männlichen Jugend zu den Tänzen entgegen. Und hierzu war mehr nötig als, wie man denken sollte, ein einfaches Ja, denn es galt für sie, den Auffordernden gleich auf seinen persönlichen Wert und seine sonstigen Qualitäten richtig abzuschätzen. Welches Unglück wäre es gewesen, wenn man einen so wichtigen Tanz wie den Kotillon oder den ersten Tanz nach Tisch an einen gleich giltigen Herrn vergeben hätte, und wenn dann später der „Richtige" gekommen wäre und den Tanz verlangt hätte! Im Kotillon und im Tischtanz lagen die Schicksale der kleinen Wesen verborgen. Ja, es gehörte Schneidigkeit dazu, doch diese hatten die Landfräuleins in reichem Maße, und unter lustigem Lachen und mancherlei Wortgeplänkel vollzogen sie ihre Wahl. Inmitten des Ganzen spreizte sich Onkel Emil wie ein Hahn in seinem Hühnerhof. In dem daneben liegenden Zimmer, in das die ältern Gäste von einem andern Kammerherrn freundlich aber bestimmt gewiesen wurden, ging es ernsthafter zu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/390>, abgerufen am 22.07.2024.