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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Vinetasage
Wilhelm von Massow von
3

n Dänemark hatte man schon im zehntel? Jahrhundert ein starkes
Interesse daran, die Herrschaft auf beiden Seiten der Ostsee zu
gewinnen. Görms des Alten Sohn und Nachfolger, König
Harald Blauzahn, hatte aus den schon erwähnten Gründen an
der slawischen Ostseeküste festen Fuß gefaßt und als Stützpunkt
dort eine Burg angelegt. Bestimmte Angaben über die Lage dieser Burg sind
uns nicht überliefert; es kann aber nach allem, was wir darüber wissen, und
was uns die Landkarte lehrt, nur eine der Odermündungen in Betracht kommen,
und zwar weder die versandete Dievenow noch die für die heransegelnden
Dänen ungünstig gelegne Peene, sondern nur die leicht erreichbare Swine,
deren Mündung sich vom Meer aus deutlich markiert.

Die Dänen nannten das ganze Gebiet der Odermündungen mit einem
Namen, der uns in den deutschen Berichten jener Zeiten in der Form "Innre"
oder "Jumine" überliefert wird, während die nordischen Quellen andre ähnliche
Formen wie "Jon" aufweisen. Der Name ist noch nicht genügend erklärt,
doch hängt er vielleicht mit dem alten, vorslawischen Namen der Oder, die
bei den alten Geographen als Viaclus, -laenis, ,7g.cwg.8 bezeichnet wird, zu¬
sammen. Hiernach würde das Wort "Innre" die verstümmelte und zur
Slawenzeit schon nicht mehr verstaudne Form einer Wortbildung sein, die
etwa "Jade-Mund" bedeutete, das heißt das Land an der Odermündung.
Vielleicht ist auf diesen uralten, später unverständlich gewordnen sprachlichen
Zusammenhang die Überlieferung zurückzuführen, wonach die von Harald
Blauzahn gegründete Burg bei dem alten Dorfe Jamund in der Nähe der
hinterpommerschen Küste unweit Kostin gelegen haben sollte. Jamund liegt
an einem haffartigen Küstensee, der durch zwei kleine Küstenflüsse gespeist wird,
deren alter historischer Name verloren gegangen ist; heute führen sie die Namen
Mühlenbach und Nestbach, es ist aber möglich, daß einer von ihnen ursprünglich
den öfter wiederkehrenden Flußnamen "Jade" führte. Deshalb führte dann
die Örtlichkeit denselben Namen wie das Land an der Odermündung. Die
alte dänische Burg, die "Jomsburg", wie sie nachher in den Sagen der jüngern
Edda heißt, kann natürlich nicht dort an der hinterpommerschen Küste ge¬
legen haben.


Grenzboten I 1903 23


Die Vinetasage
Wilhelm von Massow von
3

n Dänemark hatte man schon im zehntel? Jahrhundert ein starkes
Interesse daran, die Herrschaft auf beiden Seiten der Ostsee zu
gewinnen. Görms des Alten Sohn und Nachfolger, König
Harald Blauzahn, hatte aus den schon erwähnten Gründen an
der slawischen Ostseeküste festen Fuß gefaßt und als Stützpunkt
dort eine Burg angelegt. Bestimmte Angaben über die Lage dieser Burg sind
uns nicht überliefert; es kann aber nach allem, was wir darüber wissen, und
was uns die Landkarte lehrt, nur eine der Odermündungen in Betracht kommen,
und zwar weder die versandete Dievenow noch die für die heransegelnden
Dänen ungünstig gelegne Peene, sondern nur die leicht erreichbare Swine,
deren Mündung sich vom Meer aus deutlich markiert.

Die Dänen nannten das ganze Gebiet der Odermündungen mit einem
Namen, der uns in den deutschen Berichten jener Zeiten in der Form „Innre"
oder „Jumine" überliefert wird, während die nordischen Quellen andre ähnliche
Formen wie „Jon" aufweisen. Der Name ist noch nicht genügend erklärt,
doch hängt er vielleicht mit dem alten, vorslawischen Namen der Oder, die
bei den alten Geographen als Viaclus, -laenis, ,7g.cwg.8 bezeichnet wird, zu¬
sammen. Hiernach würde das Wort „Innre" die verstümmelte und zur
Slawenzeit schon nicht mehr verstaudne Form einer Wortbildung sein, die
etwa „Jade-Mund" bedeutete, das heißt das Land an der Odermündung.
Vielleicht ist auf diesen uralten, später unverständlich gewordnen sprachlichen
Zusammenhang die Überlieferung zurückzuführen, wonach die von Harald
Blauzahn gegründete Burg bei dem alten Dorfe Jamund in der Nähe der
hinterpommerschen Küste unweit Kostin gelegen haben sollte. Jamund liegt
an einem haffartigen Küstensee, der durch zwei kleine Küstenflüsse gespeist wird,
deren alter historischer Name verloren gegangen ist; heute führen sie die Namen
Mühlenbach und Nestbach, es ist aber möglich, daß einer von ihnen ursprünglich
den öfter wiederkehrenden Flußnamen „Jade" führte. Deshalb führte dann
die Örtlichkeit denselben Namen wie das Land an der Odermündung. Die
alte dänische Burg, die „Jomsburg", wie sie nachher in den Sagen der jüngern
Edda heißt, kann natürlich nicht dort an der hinterpommerschen Küste ge¬
legen haben.


Grenzboten I 1903 23
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[0177] [Abbildung] Die Vinetasage Wilhelm von Massow von 3 n Dänemark hatte man schon im zehntel? Jahrhundert ein starkes Interesse daran, die Herrschaft auf beiden Seiten der Ostsee zu gewinnen. Görms des Alten Sohn und Nachfolger, König Harald Blauzahn, hatte aus den schon erwähnten Gründen an der slawischen Ostseeküste festen Fuß gefaßt und als Stützpunkt dort eine Burg angelegt. Bestimmte Angaben über die Lage dieser Burg sind uns nicht überliefert; es kann aber nach allem, was wir darüber wissen, und was uns die Landkarte lehrt, nur eine der Odermündungen in Betracht kommen, und zwar weder die versandete Dievenow noch die für die heransegelnden Dänen ungünstig gelegne Peene, sondern nur die leicht erreichbare Swine, deren Mündung sich vom Meer aus deutlich markiert. Die Dänen nannten das ganze Gebiet der Odermündungen mit einem Namen, der uns in den deutschen Berichten jener Zeiten in der Form „Innre" oder „Jumine" überliefert wird, während die nordischen Quellen andre ähnliche Formen wie „Jon" aufweisen. Der Name ist noch nicht genügend erklärt, doch hängt er vielleicht mit dem alten, vorslawischen Namen der Oder, die bei den alten Geographen als Viaclus, -laenis, ,7g.cwg.8 bezeichnet wird, zu¬ sammen. Hiernach würde das Wort „Innre" die verstümmelte und zur Slawenzeit schon nicht mehr verstaudne Form einer Wortbildung sein, die etwa „Jade-Mund" bedeutete, das heißt das Land an der Odermündung. Vielleicht ist auf diesen uralten, später unverständlich gewordnen sprachlichen Zusammenhang die Überlieferung zurückzuführen, wonach die von Harald Blauzahn gegründete Burg bei dem alten Dorfe Jamund in der Nähe der hinterpommerschen Küste unweit Kostin gelegen haben sollte. Jamund liegt an einem haffartigen Küstensee, der durch zwei kleine Küstenflüsse gespeist wird, deren alter historischer Name verloren gegangen ist; heute führen sie die Namen Mühlenbach und Nestbach, es ist aber möglich, daß einer von ihnen ursprünglich den öfter wiederkehrenden Flußnamen „Jade" führte. Deshalb führte dann die Örtlichkeit denselben Namen wie das Land an der Odermündung. Die alte dänische Burg, die „Jomsburg", wie sie nachher in den Sagen der jüngern Edda heißt, kann natürlich nicht dort an der hinterpommerschen Küste ge¬ legen haben. Grenzboten I 1903 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/177>, abgerufen am 22.07.2024.