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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Gnadenfest der heiligen Anna

dann auch die Unschuld der Hedwig R. herausgestellt, da die Brosche bei einem
andern Mädchen vorgefunden wurde.

Die Ehre von Hedwig R. war gerettet, und wäre die Schuldige nur vier¬
undzwanzig Stunden früher entdeckt worden, so wäre der unselige Entschluß nicht
zur Ausführung gekommen.

Jahre sind darüber hingegangen, und langsam ist die tiefe Erschütterung über
dies traurige Geschick von mir gewichen, aber immer wieder steigt die Erinnerung
auf in mir an diese Menschenblute, die im Begriff war, sich zu entfalten, und die
ein rauhes Schicksal vorzeitig zum Welken brachte.

Möchte diese auf Wahrheit beruhende Geschichte doch auch dazu beitragen,
das Interesse weiterer Kreise auf die armen Unglücklichen zu lenken, die vielfach
nur durch ein widriges Geschick dem Verbrechen und dem Laster in die Arme
geworfen und nicht imstande sind, aus eigner Kraft ihr Leben wieder in andre
Bahnen zu lenken.




^)as Gnadenfest der heiligen Anna
Llara Hohrath von(Schluß)

le farblos ging das Gnadenfest diesmal vorüber, wie häßlich klang
der rauhe Ruf der Bettler, wie traurig sahen sich die vielen Kranken
an. Wie erschreckend groß war diesmal der Zug der Witwen des
Meeres -- oder erschien es nur den beiden einsamen Frauen der Palude
so, die ihn zitternden Herzens an sich vorüberziehen ließen, um sich
dann' den letzten demütigster Betern der Prozession anzuschließen?

Wie schlich der Winter so langsam hin. Der alte Lolz saß nun des Abends
allein auf der Herdbank und sah den zwei stillen Frauen zu, wie sie spannen. Er
nickte vor sich hin. Er wollte sein Bestes tun, den abwesenden Gildas zu ersetzen.
In zwei Jahren bin ich wieder hier, hatte der bei seinem hastigen Abschied zu ihm
gesagt, wenn du bis dahin treu aufhältst und mir das Gut und die Frauen un¬
versehrt bewahrst, so soll es dein Schaden nicht sein!

Nun tat er ja, was er konnte, der alte Lenz, aber es ging ihm wie den Frauen:
er wußte, daß es wenig Bedeutung hat, wenn ein Seefahrer einen Termin für
seine Heimkehr angibt. In zwei Jahren? Wenn er nur überhaupt heimkehrte, der
törichte Ausreißer!

Das Zubettgehn der beiden Frauen ging jetzt schneller vonstatten als früher,
Nolas Haare brauchten nicht mehr gekämmt und geflochten zu werden, sie hatte sie
sich dicht am Kopfe abgeschnitten. Die blonde Haarmähne hing jetzt drüben in der
Kirche an demselben Nagel wie die rote Korallenkette aus ihren Kindertagen.

Das Frühjahr kam, aber es brachte keine Nachricht von Gildas. Warm und
trocken wurde der Sommer, er machte die Körper und die Herzen müde. Das Meer
schien zu schlafen. Es lächelte in ewiger Bläue. Aus dem Bangen und Hoffen der
Menschen wurde ein mattes Träumen, ein müdes Sichzufriedengeben.... Die Zeit
schlich ja herum----

Nun war er schon anderthalb Jahre fort! Wenn er Wort hielt, so mußte er
in wenigen Monaten -- nein, in wenigen Wochen zurücksein, der große schreib¬
faule Gildas. Ließ sich das ausdenken? Nein! Sie wußten ja nicht einmal, auf


Das Gnadenfest der heiligen Anna

dann auch die Unschuld der Hedwig R. herausgestellt, da die Brosche bei einem
andern Mädchen vorgefunden wurde.

Die Ehre von Hedwig R. war gerettet, und wäre die Schuldige nur vier¬
undzwanzig Stunden früher entdeckt worden, so wäre der unselige Entschluß nicht
zur Ausführung gekommen.

Jahre sind darüber hingegangen, und langsam ist die tiefe Erschütterung über
dies traurige Geschick von mir gewichen, aber immer wieder steigt die Erinnerung
auf in mir an diese Menschenblute, die im Begriff war, sich zu entfalten, und die
ein rauhes Schicksal vorzeitig zum Welken brachte.

Möchte diese auf Wahrheit beruhende Geschichte doch auch dazu beitragen,
das Interesse weiterer Kreise auf die armen Unglücklichen zu lenken, die vielfach
nur durch ein widriges Geschick dem Verbrechen und dem Laster in die Arme
geworfen und nicht imstande sind, aus eigner Kraft ihr Leben wieder in andre
Bahnen zu lenken.




^)as Gnadenfest der heiligen Anna
Llara Hohrath von(Schluß)

le farblos ging das Gnadenfest diesmal vorüber, wie häßlich klang
der rauhe Ruf der Bettler, wie traurig sahen sich die vielen Kranken
an. Wie erschreckend groß war diesmal der Zug der Witwen des
Meeres — oder erschien es nur den beiden einsamen Frauen der Palude
so, die ihn zitternden Herzens an sich vorüberziehen ließen, um sich
dann' den letzten demütigster Betern der Prozession anzuschließen?

Wie schlich der Winter so langsam hin. Der alte Lolz saß nun des Abends
allein auf der Herdbank und sah den zwei stillen Frauen zu, wie sie spannen. Er
nickte vor sich hin. Er wollte sein Bestes tun, den abwesenden Gildas zu ersetzen.
In zwei Jahren bin ich wieder hier, hatte der bei seinem hastigen Abschied zu ihm
gesagt, wenn du bis dahin treu aufhältst und mir das Gut und die Frauen un¬
versehrt bewahrst, so soll es dein Schaden nicht sein!

Nun tat er ja, was er konnte, der alte Lenz, aber es ging ihm wie den Frauen:
er wußte, daß es wenig Bedeutung hat, wenn ein Seefahrer einen Termin für
seine Heimkehr angibt. In zwei Jahren? Wenn er nur überhaupt heimkehrte, der
törichte Ausreißer!

Das Zubettgehn der beiden Frauen ging jetzt schneller vonstatten als früher,
Nolas Haare brauchten nicht mehr gekämmt und geflochten zu werden, sie hatte sie
sich dicht am Kopfe abgeschnitten. Die blonde Haarmähne hing jetzt drüben in der
Kirche an demselben Nagel wie die rote Korallenkette aus ihren Kindertagen.

Das Frühjahr kam, aber es brachte keine Nachricht von Gildas. Warm und
trocken wurde der Sommer, er machte die Körper und die Herzen müde. Das Meer
schien zu schlafen. Es lächelte in ewiger Bläue. Aus dem Bangen und Hoffen der
Menschen wurde ein mattes Träumen, ein müdes Sichzufriedengeben.... Die Zeit
schlich ja herum----

Nun war er schon anderthalb Jahre fort! Wenn er Wort hielt, so mußte er
in wenigen Monaten — nein, in wenigen Wochen zurücksein, der große schreib¬
faule Gildas. Ließ sich das ausdenken? Nein! Sie wußten ja nicht einmal, auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/654>, abgerufen am 22.07.2024.