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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Line Sommerfahrt in das Erzgebirge

alle in ihrem Kreise zum Besten der Sache wirken. Die Arbeiterfrau, einmal
über das Wesen der Sache aufgeklärt, wird sich kaum mehr von dem Raten-
Händler den niederträchtigen Schund anhängen lassen, der trotz der Billigkeit
noch immer sündhaft teuer ist. Die wohlsituierte Frau wird durch ihre An¬
sprüche an edle Arbeit bewirken, daß sich der Geist der Schönheit, der mit
edler und gediegner Arbeit gleichbedeutend ist, an den fernsten Arbeitsstätten
wird entfalten können, und daß tüchtige Arbeit endlich ihren verdienten Markt¬
wert erhält. Es wird dann kaum möglich sein, daß Schmutz und Verwahr¬
losung als das Nachtstück unsrer gefirnißten Scheinkultur der Armut zur Ent¬
schuldigung dient, denn gerade durch die Arbeitserhöhung soll der Armut diese
Peinlichste und betrübendste Erscheinung genommen werden. Es liegt natürlich
nicht alles, was in dieser Art gutzumachen ist, bei den Frauen, sondern es
liegt zu einem schweren Teil auch bei den Männern, und gerade bei den so¬
genannten "Gebildeten", die von der Kunst als sozialer Macht kein Ver¬
ständnis haben wollen. Wenn aber der Vorwurf einer großen Unterlassungs¬
sünde die Frauen schärfer treffen muß, so liegt es daran, daß sie als die
Hüterinnen der Ideale erscheinen, und daß sie bei ihren Männern und über
diese Männer hinaus die gerechte Sache befestigen und verwirklichen könnten,
Joseph Aug. lux wenn sie nur wollten.




Eine Sommerfahrt in das Erzgebirge
August Lingke i vonn
2

nnaberg ist die wichtigste Stadt des Obererzgebirges, an dem der
Schina zugekehrten AbHange des Pöhlberges ziemlich abschüssig
gelegen, mit 16800 Einwohnern. Einst hieß diese Gegend die
"wilde Ecke" und war wüst und einsam. Da geschah es, daß im
Schreckenberge im Jahre 1492 ein gewaltiger Silberreichtum
entdeckt wurde. Die "wilde Ecke" zog nun viel Bergleute, Abenteurer und
Händler herbei, und schon 1496 verwandelte Herzog Georg der Bärtige die
Ansiedlung in eine Stadt, die erst "Neustadt am Schreckenberge" hieß und später
Annaberg genannt wurde. Die Silberausbeute war namentlich im sechzehnten
Jahrhundert, wo eine Grube nach der andern angelegt wurde, ganz enorm -- von
1496 bis 1594 betrug sie 3737839 Gulden --, und die Üppigkeit der Berg¬
herren wuchs mit ihrem Reichtum. Die Annaberger Münze, die die sogenannten
Schreckenberger oder Engelsgroschen prägte, war nicht imstande, das gewonnene
Silber ganz auszumünzen, sodaß das meiste ungemünzt in Silberkuchen aus¬
gegeben werden mußte. Aber wie anderwärts, so hielt auch bei Annaberg der
reiche Bergsegen nicht aus. Der Bergbau Annabergs hat seit dem siebzehnten


Line Sommerfahrt in das Erzgebirge

alle in ihrem Kreise zum Besten der Sache wirken. Die Arbeiterfrau, einmal
über das Wesen der Sache aufgeklärt, wird sich kaum mehr von dem Raten-
Händler den niederträchtigen Schund anhängen lassen, der trotz der Billigkeit
noch immer sündhaft teuer ist. Die wohlsituierte Frau wird durch ihre An¬
sprüche an edle Arbeit bewirken, daß sich der Geist der Schönheit, der mit
edler und gediegner Arbeit gleichbedeutend ist, an den fernsten Arbeitsstätten
wird entfalten können, und daß tüchtige Arbeit endlich ihren verdienten Markt¬
wert erhält. Es wird dann kaum möglich sein, daß Schmutz und Verwahr¬
losung als das Nachtstück unsrer gefirnißten Scheinkultur der Armut zur Ent¬
schuldigung dient, denn gerade durch die Arbeitserhöhung soll der Armut diese
Peinlichste und betrübendste Erscheinung genommen werden. Es liegt natürlich
nicht alles, was in dieser Art gutzumachen ist, bei den Frauen, sondern es
liegt zu einem schweren Teil auch bei den Männern, und gerade bei den so¬
genannten „Gebildeten", die von der Kunst als sozialer Macht kein Ver¬
ständnis haben wollen. Wenn aber der Vorwurf einer großen Unterlassungs¬
sünde die Frauen schärfer treffen muß, so liegt es daran, daß sie als die
Hüterinnen der Ideale erscheinen, und daß sie bei ihren Männern und über
diese Männer hinaus die gerechte Sache befestigen und verwirklichen könnten,
Joseph Aug. lux wenn sie nur wollten.




Eine Sommerfahrt in das Erzgebirge
August Lingke i vonn
2

nnaberg ist die wichtigste Stadt des Obererzgebirges, an dem der
Schina zugekehrten AbHange des Pöhlberges ziemlich abschüssig
gelegen, mit 16800 Einwohnern. Einst hieß diese Gegend die
„wilde Ecke" und war wüst und einsam. Da geschah es, daß im
Schreckenberge im Jahre 1492 ein gewaltiger Silberreichtum
entdeckt wurde. Die „wilde Ecke" zog nun viel Bergleute, Abenteurer und
Händler herbei, und schon 1496 verwandelte Herzog Georg der Bärtige die
Ansiedlung in eine Stadt, die erst „Neustadt am Schreckenberge" hieß und später
Annaberg genannt wurde. Die Silberausbeute war namentlich im sechzehnten
Jahrhundert, wo eine Grube nach der andern angelegt wurde, ganz enorm — von
1496 bis 1594 betrug sie 3737839 Gulden —, und die Üppigkeit der Berg¬
herren wuchs mit ihrem Reichtum. Die Annaberger Münze, die die sogenannten
Schreckenberger oder Engelsgroschen prägte, war nicht imstande, das gewonnene
Silber ganz auszumünzen, sodaß das meiste ungemünzt in Silberkuchen aus¬
gegeben werden mußte. Aber wie anderwärts, so hielt auch bei Annaberg der
reiche Bergsegen nicht aus. Der Bergbau Annabergs hat seit dem siebzehnten


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[0687] Line Sommerfahrt in das Erzgebirge alle in ihrem Kreise zum Besten der Sache wirken. Die Arbeiterfrau, einmal über das Wesen der Sache aufgeklärt, wird sich kaum mehr von dem Raten- Händler den niederträchtigen Schund anhängen lassen, der trotz der Billigkeit noch immer sündhaft teuer ist. Die wohlsituierte Frau wird durch ihre An¬ sprüche an edle Arbeit bewirken, daß sich der Geist der Schönheit, der mit edler und gediegner Arbeit gleichbedeutend ist, an den fernsten Arbeitsstätten wird entfalten können, und daß tüchtige Arbeit endlich ihren verdienten Markt¬ wert erhält. Es wird dann kaum möglich sein, daß Schmutz und Verwahr¬ losung als das Nachtstück unsrer gefirnißten Scheinkultur der Armut zur Ent¬ schuldigung dient, denn gerade durch die Arbeitserhöhung soll der Armut diese Peinlichste und betrübendste Erscheinung genommen werden. Es liegt natürlich nicht alles, was in dieser Art gutzumachen ist, bei den Frauen, sondern es liegt zu einem schweren Teil auch bei den Männern, und gerade bei den so¬ genannten „Gebildeten", die von der Kunst als sozialer Macht kein Ver¬ ständnis haben wollen. Wenn aber der Vorwurf einer großen Unterlassungs¬ sünde die Frauen schärfer treffen muß, so liegt es daran, daß sie als die Hüterinnen der Ideale erscheinen, und daß sie bei ihren Männern und über diese Männer hinaus die gerechte Sache befestigen und verwirklichen könnten, Joseph Aug. lux wenn sie nur wollten. Eine Sommerfahrt in das Erzgebirge August Lingke i vonn 2 nnaberg ist die wichtigste Stadt des Obererzgebirges, an dem der Schina zugekehrten AbHange des Pöhlberges ziemlich abschüssig gelegen, mit 16800 Einwohnern. Einst hieß diese Gegend die „wilde Ecke" und war wüst und einsam. Da geschah es, daß im Schreckenberge im Jahre 1492 ein gewaltiger Silberreichtum entdeckt wurde. Die „wilde Ecke" zog nun viel Bergleute, Abenteurer und Händler herbei, und schon 1496 verwandelte Herzog Georg der Bärtige die Ansiedlung in eine Stadt, die erst „Neustadt am Schreckenberge" hieß und später Annaberg genannt wurde. Die Silberausbeute war namentlich im sechzehnten Jahrhundert, wo eine Grube nach der andern angelegt wurde, ganz enorm — von 1496 bis 1594 betrug sie 3737839 Gulden —, und die Üppigkeit der Berg¬ herren wuchs mit ihrem Reichtum. Die Annaberger Münze, die die sogenannten Schreckenberger oder Engelsgroschen prägte, war nicht imstande, das gewonnene Silber ganz auszumünzen, sodaß das meiste ungemünzt in Silberkuchen aus¬ gegeben werden mußte. Aber wie anderwärts, so hielt auch bei Annaberg der reiche Bergsegen nicht aus. Der Bergbau Annabergs hat seit dem siebzehnten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/687>, abgerufen am 05.02.2025.