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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Der alte Maler

sie in ihre Heimat zurück, für die sie keinen Ersatz in der Welt finden. Die
wettergebräunten Gesichter der Männer scheinen ernst drein; denn wenn der
Fischer am Abend auf die See fährt, weiß er nicht, ob er wieder glücklich heim¬
kehre" werde, und schon mancher fand im feuchten Wasserbette einen früh¬
zeitigen Tod.




Der alte Maler
Ilse Leskieil von

le ganze Nacht hatte ein schwerer Nebel auf den Höhen gelegen.
Nun hatte sich die Sonne durchgekämpft und rang den Dunst sieg¬
reich zu Boden.

Nur über die Wiesen der Lichtung hin und zwischen dem hohen,
herbstlich gelbe" Waldgras schlichen noch eine Weile weißliche Nebel¬
streifen, hingen sich dann als schwere Tropfen an Halm und Busch¬
werk und wurden endlich auch da von den hüpfenden Sonnenstrahlen aufgefunden
und Vertrieben. So eine kräftige Herbstsonne vermag viel!

Nun flimmerte die Luft von Glanz und Wärme.

Die Platanen auf der breiten Waldstraße standen leuchtend in Gelb und Rot
gegen den schwärzlichen Waldgrund, und die blauen Schieferdächer des Preisler¬
hofes oben ans der Lichtung schimmerten in der sonnigen Luft wie die Schnppen-
rücken glänzender Fische im Teich.

Von Burgstedt herauf, wo sie eben die Kirche ausläuteten, kam langsam ein
schwächlicher Mann. Er hielt sich etwas vornüber, und seine Augen hingen am
Boden. Zuweilen aber hob er das stille, sehr schmale Gesicht und sah mit dankbar
genießenden Blick nach der farbigen Herbstpracht hin oder empor nach den waldigen
Höhen, deren dunkle Häupter geradeaus sichtbar wurden.

Er war nicht mehr jung, das verriet die matte Haut und manches feine
Fiiltchen tu dem bartlosen Gesicht, obgleich das Haar an den Schläfen noch braun
war. Und er war nicht gesund. Die schlichten Kleider hingen um die magere
Gestalt, und sein Schritt hatte etwas langsames, zögerndes-

Gerade als er so still vor sich niedersehend dahinging, bedachte er, wieviel
mehr ihm heute die Steigung bis zum Pachthof zu schaffen machte als im
letzten Jahre.

Das hatte ja Wohl nicht viel zu bedeuten. Der Stärkste war er nie gewesen.
Als er damals von der Akademie weg hier in die Berge ging, hatten alle gesagt,
das wäre das beste für ihn, in der Stadt würde er es kaum lange machen. Sie
hatten Wohl recht gehabt.

Wie lange war das nun her, daß er alles hatte aufgeben müssen -- Aka¬
demie, Künstlertum, den ganzen schönen Traum! Dreißig Jahre ungefähr, dreißig
Jahre! Er blieb stehn, Atem zu holen.

Und beim Aufblicken verlor er den Faden seiner Gedanken. Das war ein
Herbst diesmal, wie sie hier oben lange keinen gehabt hatten. Wie warm die
Sonne ihm auf den Rücken brannte, und wie bunt und fröhlich das Buschwerk
zwischen den Fichtenstcimmen hervorsah -- und die Platanen erst am Wege!

Er ging zu einem der Stämme, bückte sich ein wenig mühsam und las eines
der farbenleuchtender Blätter auf, das er im Weitergehn aufmerksam betrachtete.


Der alte Maler

sie in ihre Heimat zurück, für die sie keinen Ersatz in der Welt finden. Die
wettergebräunten Gesichter der Männer scheinen ernst drein; denn wenn der
Fischer am Abend auf die See fährt, weiß er nicht, ob er wieder glücklich heim¬
kehre» werde, und schon mancher fand im feuchten Wasserbette einen früh¬
zeitigen Tod.




Der alte Maler
Ilse Leskieil von

le ganze Nacht hatte ein schwerer Nebel auf den Höhen gelegen.
Nun hatte sich die Sonne durchgekämpft und rang den Dunst sieg¬
reich zu Boden.

Nur über die Wiesen der Lichtung hin und zwischen dem hohen,
herbstlich gelbe» Waldgras schlichen noch eine Weile weißliche Nebel¬
streifen, hingen sich dann als schwere Tropfen an Halm und Busch¬
werk und wurden endlich auch da von den hüpfenden Sonnenstrahlen aufgefunden
und Vertrieben. So eine kräftige Herbstsonne vermag viel!

Nun flimmerte die Luft von Glanz und Wärme.

Die Platanen auf der breiten Waldstraße standen leuchtend in Gelb und Rot
gegen den schwärzlichen Waldgrund, und die blauen Schieferdächer des Preisler¬
hofes oben ans der Lichtung schimmerten in der sonnigen Luft wie die Schnppen-
rücken glänzender Fische im Teich.

Von Burgstedt herauf, wo sie eben die Kirche ausläuteten, kam langsam ein
schwächlicher Mann. Er hielt sich etwas vornüber, und seine Augen hingen am
Boden. Zuweilen aber hob er das stille, sehr schmale Gesicht und sah mit dankbar
genießenden Blick nach der farbigen Herbstpracht hin oder empor nach den waldigen
Höhen, deren dunkle Häupter geradeaus sichtbar wurden.

Er war nicht mehr jung, das verriet die matte Haut und manches feine
Fiiltchen tu dem bartlosen Gesicht, obgleich das Haar an den Schläfen noch braun
war. Und er war nicht gesund. Die schlichten Kleider hingen um die magere
Gestalt, und sein Schritt hatte etwas langsames, zögerndes-

Gerade als er so still vor sich niedersehend dahinging, bedachte er, wieviel
mehr ihm heute die Steigung bis zum Pachthof zu schaffen machte als im
letzten Jahre.

Das hatte ja Wohl nicht viel zu bedeuten. Der Stärkste war er nie gewesen.
Als er damals von der Akademie weg hier in die Berge ging, hatten alle gesagt,
das wäre das beste für ihn, in der Stadt würde er es kaum lange machen. Sie
hatten Wohl recht gehabt.

Wie lange war das nun her, daß er alles hatte aufgeben müssen — Aka¬
demie, Künstlertum, den ganzen schönen Traum! Dreißig Jahre ungefähr, dreißig
Jahre! Er blieb stehn, Atem zu holen.

Und beim Aufblicken verlor er den Faden seiner Gedanken. Das war ein
Herbst diesmal, wie sie hier oben lange keinen gehabt hatten. Wie warm die
Sonne ihm auf den Rücken brannte, und wie bunt und fröhlich das Buschwerk
zwischen den Fichtenstcimmen hervorsah — und die Platanen erst am Wege!

Er ging zu einem der Stämme, bückte sich ein wenig mühsam und las eines
der farbenleuchtender Blätter auf, das er im Weitergehn aufmerksam betrachtete.


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[0636] Der alte Maler sie in ihre Heimat zurück, für die sie keinen Ersatz in der Welt finden. Die wettergebräunten Gesichter der Männer scheinen ernst drein; denn wenn der Fischer am Abend auf die See fährt, weiß er nicht, ob er wieder glücklich heim¬ kehre» werde, und schon mancher fand im feuchten Wasserbette einen früh¬ zeitigen Tod. Der alte Maler Ilse Leskieil von le ganze Nacht hatte ein schwerer Nebel auf den Höhen gelegen. Nun hatte sich die Sonne durchgekämpft und rang den Dunst sieg¬ reich zu Boden. Nur über die Wiesen der Lichtung hin und zwischen dem hohen, herbstlich gelbe» Waldgras schlichen noch eine Weile weißliche Nebel¬ streifen, hingen sich dann als schwere Tropfen an Halm und Busch¬ werk und wurden endlich auch da von den hüpfenden Sonnenstrahlen aufgefunden und Vertrieben. So eine kräftige Herbstsonne vermag viel! Nun flimmerte die Luft von Glanz und Wärme. Die Platanen auf der breiten Waldstraße standen leuchtend in Gelb und Rot gegen den schwärzlichen Waldgrund, und die blauen Schieferdächer des Preisler¬ hofes oben ans der Lichtung schimmerten in der sonnigen Luft wie die Schnppen- rücken glänzender Fische im Teich. Von Burgstedt herauf, wo sie eben die Kirche ausläuteten, kam langsam ein schwächlicher Mann. Er hielt sich etwas vornüber, und seine Augen hingen am Boden. Zuweilen aber hob er das stille, sehr schmale Gesicht und sah mit dankbar genießenden Blick nach der farbigen Herbstpracht hin oder empor nach den waldigen Höhen, deren dunkle Häupter geradeaus sichtbar wurden. Er war nicht mehr jung, das verriet die matte Haut und manches feine Fiiltchen tu dem bartlosen Gesicht, obgleich das Haar an den Schläfen noch braun war. Und er war nicht gesund. Die schlichten Kleider hingen um die magere Gestalt, und sein Schritt hatte etwas langsames, zögerndes- Gerade als er so still vor sich niedersehend dahinging, bedachte er, wieviel mehr ihm heute die Steigung bis zum Pachthof zu schaffen machte als im letzten Jahre. Das hatte ja Wohl nicht viel zu bedeuten. Der Stärkste war er nie gewesen. Als er damals von der Akademie weg hier in die Berge ging, hatten alle gesagt, das wäre das beste für ihn, in der Stadt würde er es kaum lange machen. Sie hatten Wohl recht gehabt. Wie lange war das nun her, daß er alles hatte aufgeben müssen — Aka¬ demie, Künstlertum, den ganzen schönen Traum! Dreißig Jahre ungefähr, dreißig Jahre! Er blieb stehn, Atem zu holen. Und beim Aufblicken verlor er den Faden seiner Gedanken. Das war ein Herbst diesmal, wie sie hier oben lange keinen gehabt hatten. Wie warm die Sonne ihm auf den Rücken brannte, und wie bunt und fröhlich das Buschwerk zwischen den Fichtenstcimmen hervorsah — und die Platanen erst am Wege! Er ging zu einem der Stämme, bückte sich ein wenig mühsam und las eines der farbenleuchtender Blätter auf, das er im Weitergehn aufmerksam betrachtete.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/636>, abgerufen am 05.02.2025.