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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen

gesunkenen Teil, dessen einstige Erbauung man den Wenden zuschreibt, und einem
neuern, noch wohlerhaltnen besteht. Der Schloßfelsen enthält Amethystgänge, in
seiner Umgebung findet sich Jaspis, Onixachat, Bergkristall und nach alten Berichten
sogar Rubin. Den Namen hat das Schloß von seinem mutmaßlichen Erbauer,
Bolko von Waldenburg, erhalten, weshalb es eigentlich Wollenstein heißen müßte.
Im fünfzehnten Jahrhundert kam es an die Landesherren, und Herzog Albrecht
hatte hier 1493 sein Hoflager, ebenso Herzog Heinrich der Fromme, der sich in
seinem geliebten Wollenstein am meisten um Küche und Keller, seine edeln Pferde
und Kanonen und seinen neu angelegten Tiergarten kümmerte. Zugleich war
er ein so großer Freund des Bergbaues und der Bergleute, daß er in schlichtem
Bergkittel oft selbst mit anfuhr. Auch Kurfürst August und sein Enkel Johann
Georg hielten sich in Wolkenstein oft wegen der Jagd auf; doch von all diesem
glänzenden Hofleben ist nicht die geringste Spur zurückgeblieben; es ist jetzt
das Gerichtsamt in den Räumen des Schlosses untergebracht. Wir verfügen
uns um nach dem im Zschopautal liegenden Bahnhof und fahren mit dem
Abendzug nach Annaberg, wo wir im "Museum" Nachtquartier nehmen.




Russische Skizzen
M. Horsten von
l. Wie man zu seinem Rechte kommt

s kann etwa zwölf Jahre her sein, daß ich als Gast des Barons P-
für einige Wochen ini russischen Litauen weilte. Wir hatten eine
kleine Jagd mit Bracken abgehalten, und in besonders angeregter
Stimmung versammelte sich die Familie zur abendlichen Teestunde.
Diese Teestunden waren das Behaglichste, was man sich denken kann.
Sie begannen um sechs Uhr Nachmittags, aber ein Zwang bestand
weder für das Erscheinen überhaupt, noch war man dabei an eine Zeit gebunden.
Jeder Hausgenosse kam vielmehr, wann und wie es ihm beliebte, setzte sich an den
großen, länglich-runden Tisch mit der freundlichen Hängelampe darüber, empfing
seine Tasse Tee aus den Händen des Dieners, der lautlos am Serviertisch in der
Ecke des Samowars waltete, und sprach der kalten Küche zu, die in Gestalt von
Wildbret, jungen Hühnchen und kräftigem Landbrot auf dem Tische stand, oder er
schälte sich einen von den roten Blutäpseln, die in Kristallschalen den Tisch zierten.
Der Duft des Knrawanentees erfüllte das ganze Zimmer rin einem aromatischen
Geruch, wie ich ihn in dieser Stärke sonst nirgends wieder bemerkt habe, und bei
diesem herrlichen Getränk konnte man es verstehn, daß in dessen Konsum kaum
weniger geleistet wurde, als etwa bei uns an einem soliden Stammtisch im Pilsener
oder Spatenbräu. Die Herren rauchten ihre Zigarette, die Damen Selekten oder
musizierten, füllten Wohl auch gelegentlich mit der reizenden Grazie, die die vor¬
nehme Slawin auszeichnet, dem Gast die Tasse neu, und bei munterm Geplauder


Russische Skizzen

gesunkenen Teil, dessen einstige Erbauung man den Wenden zuschreibt, und einem
neuern, noch wohlerhaltnen besteht. Der Schloßfelsen enthält Amethystgänge, in
seiner Umgebung findet sich Jaspis, Onixachat, Bergkristall und nach alten Berichten
sogar Rubin. Den Namen hat das Schloß von seinem mutmaßlichen Erbauer,
Bolko von Waldenburg, erhalten, weshalb es eigentlich Wollenstein heißen müßte.
Im fünfzehnten Jahrhundert kam es an die Landesherren, und Herzog Albrecht
hatte hier 1493 sein Hoflager, ebenso Herzog Heinrich der Fromme, der sich in
seinem geliebten Wollenstein am meisten um Küche und Keller, seine edeln Pferde
und Kanonen und seinen neu angelegten Tiergarten kümmerte. Zugleich war
er ein so großer Freund des Bergbaues und der Bergleute, daß er in schlichtem
Bergkittel oft selbst mit anfuhr. Auch Kurfürst August und sein Enkel Johann
Georg hielten sich in Wolkenstein oft wegen der Jagd auf; doch von all diesem
glänzenden Hofleben ist nicht die geringste Spur zurückgeblieben; es ist jetzt
das Gerichtsamt in den Räumen des Schlosses untergebracht. Wir verfügen
uns um nach dem im Zschopautal liegenden Bahnhof und fahren mit dem
Abendzug nach Annaberg, wo wir im „Museum" Nachtquartier nehmen.




Russische Skizzen
M. Horsten von
l. Wie man zu seinem Rechte kommt

s kann etwa zwölf Jahre her sein, daß ich als Gast des Barons P-
für einige Wochen ini russischen Litauen weilte. Wir hatten eine
kleine Jagd mit Bracken abgehalten, und in besonders angeregter
Stimmung versammelte sich die Familie zur abendlichen Teestunde.
Diese Teestunden waren das Behaglichste, was man sich denken kann.
Sie begannen um sechs Uhr Nachmittags, aber ein Zwang bestand
weder für das Erscheinen überhaupt, noch war man dabei an eine Zeit gebunden.
Jeder Hausgenosse kam vielmehr, wann und wie es ihm beliebte, setzte sich an den
großen, länglich-runden Tisch mit der freundlichen Hängelampe darüber, empfing
seine Tasse Tee aus den Händen des Dieners, der lautlos am Serviertisch in der
Ecke des Samowars waltete, und sprach der kalten Küche zu, die in Gestalt von
Wildbret, jungen Hühnchen und kräftigem Landbrot auf dem Tische stand, oder er
schälte sich einen von den roten Blutäpseln, die in Kristallschalen den Tisch zierten.
Der Duft des Knrawanentees erfüllte das ganze Zimmer rin einem aromatischen
Geruch, wie ich ihn in dieser Stärke sonst nirgends wieder bemerkt habe, und bei
diesem herrlichen Getränk konnte man es verstehn, daß in dessen Konsum kaum
weniger geleistet wurde, als etwa bei uns an einem soliden Stammtisch im Pilsener
oder Spatenbräu. Die Herren rauchten ihre Zigarette, die Damen Selekten oder
musizierten, füllten Wohl auch gelegentlich mit der reizenden Grazie, die die vor¬
nehme Slawin auszeichnet, dem Gast die Tasse neu, und bei munterm Geplauder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/580>, abgerufen am 05.02.2025.