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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Ssamarkand

sagen, womit soll man sie ködern? Man wird nicht viel erreichen, wenn man
ihnen sagt, im nächsten Dorfe wäre nächstens Kirmes.

Wenn nun aber auch die wenigen Großen eine eigne Meinung haben, so
brauchen trotzdem die vielen Kleinen, die keine eigne Meinung haben können,
nicht traurig zu werden. Denn nicht nur das Werden, sondern auch das Ge-
wordne hat volle Daseinsberechtigung. Wenn es keine breite Masse gäbe, könnte
es auch keine großen Geister geben, die sich aus dieser Masse hervorheben.
Wenn man von der Entwicklung der Menschheit spricht, so denkt man immer an
die Entwicklung der Allgemeinheit, nicht an die Entwicklung des Einzelnen. Das
ist für die Kleinen ein Trost und für die Großen ein Dämpfer. Und wenn
die Geschichte für die Großen einzutreten pflegt und ihre Taten verherrlicht,
wenn die Geschichte begeisternd ans diese Großen hinweist und zu ihrer Nach¬
eiferung auffordert, dann tritt die moderne Wirtschaftslehre doch auch für die
Kleinen ein und lehrt uns: auch die breite Masse ist für sich da, ist voll be¬
rechtigt und entwickelt sich nach bestimmten Gesetzen, sie soll nicht mehr das
Piedestal der Großen sein.




Hsamarkand
l> Toepfer Reiseerinnerniigen vo"
1

elbst die Hilfe des gefälligen Stationsvorstandes von Neu-Buchara
hatte uns im gemischten Zuge, der nur ein paar Personenwagen
dritter und nur einen zweiter Klasse führt, keine gentlemanmäßige
Unterbringung sichern können. Staub und Hitze und üble Gerüche
verdarben darum die Nachtruhe, die vielleicht noch mäßiger aus¬
gefallen wäre, wenn das Abenddunkel nicht mitleidig die Unsauberkeit verhüllt
hätte, die uns am Morgen entgegengrinste. Aber draußen hinter den fest ver¬
nagelten Wagenfenstern zeigte sich beim Erwachen ein fast heimatlich berührendes
Landschaftsbild, Getreidefelder mit keimender Saat, Bäume, Wege, und im
Hintergrund rechts ein Mittelgebirge, das mit frisch gefallnen Schnee bedeckt
war. Zum Glück fuhr der Zug ziemlich früh in die Station Ssamarkcmd el".
Frische Morgenluft, ein wenig feucht, verscheuchte die letzten Gedanken an das
eben Durchlebte.

In Erwartung des als gelobtes Land geschilderten guten Gasthauses lohnten
wir auch die unaufgeforderten Gepäckträger reichlich und rollten hoffnungsfroh
die 5 Kilometer zur Stadt. Aber die Unterbringung enttäuschte uns gründlich.
Nach einigen Irrfahrten von einem der Nomerähüuser zum andern mußten wir
uns schließlich teilen und wir beiden ältern zwei bis drei Stunden in einem


Ssamarkand

sagen, womit soll man sie ködern? Man wird nicht viel erreichen, wenn man
ihnen sagt, im nächsten Dorfe wäre nächstens Kirmes.

Wenn nun aber auch die wenigen Großen eine eigne Meinung haben, so
brauchen trotzdem die vielen Kleinen, die keine eigne Meinung haben können,
nicht traurig zu werden. Denn nicht nur das Werden, sondern auch das Ge-
wordne hat volle Daseinsberechtigung. Wenn es keine breite Masse gäbe, könnte
es auch keine großen Geister geben, die sich aus dieser Masse hervorheben.
Wenn man von der Entwicklung der Menschheit spricht, so denkt man immer an
die Entwicklung der Allgemeinheit, nicht an die Entwicklung des Einzelnen. Das
ist für die Kleinen ein Trost und für die Großen ein Dämpfer. Und wenn
die Geschichte für die Großen einzutreten pflegt und ihre Taten verherrlicht,
wenn die Geschichte begeisternd ans diese Großen hinweist und zu ihrer Nach¬
eiferung auffordert, dann tritt die moderne Wirtschaftslehre doch auch für die
Kleinen ein und lehrt uns: auch die breite Masse ist für sich da, ist voll be¬
rechtigt und entwickelt sich nach bestimmten Gesetzen, sie soll nicht mehr das
Piedestal der Großen sein.




Hsamarkand
l> Toepfer Reiseerinnerniigen vo»
1

elbst die Hilfe des gefälligen Stationsvorstandes von Neu-Buchara
hatte uns im gemischten Zuge, der nur ein paar Personenwagen
dritter und nur einen zweiter Klasse führt, keine gentlemanmäßige
Unterbringung sichern können. Staub und Hitze und üble Gerüche
verdarben darum die Nachtruhe, die vielleicht noch mäßiger aus¬
gefallen wäre, wenn das Abenddunkel nicht mitleidig die Unsauberkeit verhüllt
hätte, die uns am Morgen entgegengrinste. Aber draußen hinter den fest ver¬
nagelten Wagenfenstern zeigte sich beim Erwachen ein fast heimatlich berührendes
Landschaftsbild, Getreidefelder mit keimender Saat, Bäume, Wege, und im
Hintergrund rechts ein Mittelgebirge, das mit frisch gefallnen Schnee bedeckt
war. Zum Glück fuhr der Zug ziemlich früh in die Station Ssamarkcmd el».
Frische Morgenluft, ein wenig feucht, verscheuchte die letzten Gedanken an das
eben Durchlebte.

In Erwartung des als gelobtes Land geschilderten guten Gasthauses lohnten
wir auch die unaufgeforderten Gepäckträger reichlich und rollten hoffnungsfroh
die 5 Kilometer zur Stadt. Aber die Unterbringung enttäuschte uns gründlich.
Nach einigen Irrfahrten von einem der Nomerähüuser zum andern mußten wir
uns schließlich teilen und wir beiden ältern zwei bis drei Stunden in einem


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[0422] Ssamarkand sagen, womit soll man sie ködern? Man wird nicht viel erreichen, wenn man ihnen sagt, im nächsten Dorfe wäre nächstens Kirmes. Wenn nun aber auch die wenigen Großen eine eigne Meinung haben, so brauchen trotzdem die vielen Kleinen, die keine eigne Meinung haben können, nicht traurig zu werden. Denn nicht nur das Werden, sondern auch das Ge- wordne hat volle Daseinsberechtigung. Wenn es keine breite Masse gäbe, könnte es auch keine großen Geister geben, die sich aus dieser Masse hervorheben. Wenn man von der Entwicklung der Menschheit spricht, so denkt man immer an die Entwicklung der Allgemeinheit, nicht an die Entwicklung des Einzelnen. Das ist für die Kleinen ein Trost und für die Großen ein Dämpfer. Und wenn die Geschichte für die Großen einzutreten pflegt und ihre Taten verherrlicht, wenn die Geschichte begeisternd ans diese Großen hinweist und zu ihrer Nach¬ eiferung auffordert, dann tritt die moderne Wirtschaftslehre doch auch für die Kleinen ein und lehrt uns: auch die breite Masse ist für sich da, ist voll be¬ rechtigt und entwickelt sich nach bestimmten Gesetzen, sie soll nicht mehr das Piedestal der Großen sein. Hsamarkand l> Toepfer Reiseerinnerniigen vo» 1 elbst die Hilfe des gefälligen Stationsvorstandes von Neu-Buchara hatte uns im gemischten Zuge, der nur ein paar Personenwagen dritter und nur einen zweiter Klasse führt, keine gentlemanmäßige Unterbringung sichern können. Staub und Hitze und üble Gerüche verdarben darum die Nachtruhe, die vielleicht noch mäßiger aus¬ gefallen wäre, wenn das Abenddunkel nicht mitleidig die Unsauberkeit verhüllt hätte, die uns am Morgen entgegengrinste. Aber draußen hinter den fest ver¬ nagelten Wagenfenstern zeigte sich beim Erwachen ein fast heimatlich berührendes Landschaftsbild, Getreidefelder mit keimender Saat, Bäume, Wege, und im Hintergrund rechts ein Mittelgebirge, das mit frisch gefallnen Schnee bedeckt war. Zum Glück fuhr der Zug ziemlich früh in die Station Ssamarkcmd el». Frische Morgenluft, ein wenig feucht, verscheuchte die letzten Gedanken an das eben Durchlebte. In Erwartung des als gelobtes Land geschilderten guten Gasthauses lohnten wir auch die unaufgeforderten Gepäckträger reichlich und rollten hoffnungsfroh die 5 Kilometer zur Stadt. Aber die Unterbringung enttäuschte uns gründlich. Nach einigen Irrfahrten von einem der Nomerähüuser zum andern mußten wir uns schließlich teilen und wir beiden ältern zwei bis drei Stunden in einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/422>, abgerufen am 05.02.2025.