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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Das russische Agrarproblem

andern Bahnen günstig gestellt. Sie wird ohne weiteres den nicht unbedeutenden
Nyassaverkehr an sich ziehen und wahrscheinlich die geplante portugiesisch-
englische Parallelbahn, die wesentlich länger ist, hintertreiben. Außerdem durch¬
quert sie auf ihrer ganzen Länge gutes Kulturland, besonders Baumwollland,
und würde sofort die geplante Baumwollkultur in großem Stil in verhältnis¬
mäßiger Küstennähe ermöglichen. Endlich findet sie an ihrem Endpunkte
brauchbare Kohlenlager vor, also billige Betriebsmittel, ein Umstand, der im
Hinblick auf die dortigen hohen Kohlcnpreise nicht unbedeutend bei der Ren¬
tabilität mitsprechen würde. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der sofortige
Bau der Südbahn einem spätern planmäßigen Vorgehen den Boden bereiten
würde. Gerade diese Bahn ist wie keine andre befähigt, der Öffentlichkeit die guten
Aussichten unsrer Kolonialbahnen vor Augen zu führen und der weitern Er¬
schließungstätigkeit einen moralischen und wirtschaftlichen Rückhalt zu schaffen.

Vor allem ist dringend zu raten, endlich bei der Stange zu bleiben und nicht
fort und fort von einem Projekt zum audern zu schwanken. Wir sind noch
keineswegs über den Berg. Ob die Kolonialfreundlichkeit der augenblicklichen
Reichstagsmehrheit allen Anforderungen der Kolonien standhalten wird, ist
noch nicht unbedingt sicher. Wir haben noch keine Garantie, ob die nationale
Linke im Reichstage nicht vor den Kosten eines großen Eisenbahnnetzes in
den Kolonien zurückschrecken wird. Die Regierung kann dem nur durch ge¬
wissenhafte, streng objektive Aufstellung ihrer Forderungen begegnen. Der
Reichstag muß den Eindruck gewinnen, daß die künftigen Eisenbahnvorlageu
ausschließlich nüchterner wirtschaftlicher Erwägung entspringen.

Jedenfalls sollte man nicht länger zögern. Die Lösung der kolonialen
Eisenbcchufrage ist unsre dringendste Aufgabe, und das neue Reichskolonialamt
könnte sich durch nichts besser einführen als durch Beschleunigung der Ent¬
scheidung. Es sollten sich doch wohl Mittel und Wege finden, die geplante
Reform vorzubereiten, ohne daß dadurch dringende Aufgaben liegen bleiben.
Die deutsche Industrie, das deutsche Kapital ist bereit, sich an der Erschließung
der Kolonien tätig zu beteiligen und wartet nur auf die Verkehrsmittel, um
geplante Unternehmungen verwirklichen zu können. Man sollte solchen Be¬
strebungen möglichst rasch entgegenkommen. Zeit ist Geld!




Das russische Agrarproblem

in 9. Heft haben wir die Leser auf die Beilage zum 23. Bande
von Brauns Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik auf¬
merksam gemacht, die Rußlands Übergang zum Schein-
konstitutionalisinus von Max Weber enthält. Der Band
(237 Seiten in engem kleinem Druck) ist keine Geschichte und
kann als Bericht über gegenwärtig Geschehendes, wie der Verfasser selbst sagt,
keine sein, sondern eine Chronik; freilich nicht im ältern Sinne des Wortes,


Das russische Agrarproblem

andern Bahnen günstig gestellt. Sie wird ohne weiteres den nicht unbedeutenden
Nyassaverkehr an sich ziehen und wahrscheinlich die geplante portugiesisch-
englische Parallelbahn, die wesentlich länger ist, hintertreiben. Außerdem durch¬
quert sie auf ihrer ganzen Länge gutes Kulturland, besonders Baumwollland,
und würde sofort die geplante Baumwollkultur in großem Stil in verhältnis¬
mäßiger Küstennähe ermöglichen. Endlich findet sie an ihrem Endpunkte
brauchbare Kohlenlager vor, also billige Betriebsmittel, ein Umstand, der im
Hinblick auf die dortigen hohen Kohlcnpreise nicht unbedeutend bei der Ren¬
tabilität mitsprechen würde. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der sofortige
Bau der Südbahn einem spätern planmäßigen Vorgehen den Boden bereiten
würde. Gerade diese Bahn ist wie keine andre befähigt, der Öffentlichkeit die guten
Aussichten unsrer Kolonialbahnen vor Augen zu führen und der weitern Er¬
schließungstätigkeit einen moralischen und wirtschaftlichen Rückhalt zu schaffen.

Vor allem ist dringend zu raten, endlich bei der Stange zu bleiben und nicht
fort und fort von einem Projekt zum audern zu schwanken. Wir sind noch
keineswegs über den Berg. Ob die Kolonialfreundlichkeit der augenblicklichen
Reichstagsmehrheit allen Anforderungen der Kolonien standhalten wird, ist
noch nicht unbedingt sicher. Wir haben noch keine Garantie, ob die nationale
Linke im Reichstage nicht vor den Kosten eines großen Eisenbahnnetzes in
den Kolonien zurückschrecken wird. Die Regierung kann dem nur durch ge¬
wissenhafte, streng objektive Aufstellung ihrer Forderungen begegnen. Der
Reichstag muß den Eindruck gewinnen, daß die künftigen Eisenbahnvorlageu
ausschließlich nüchterner wirtschaftlicher Erwägung entspringen.

Jedenfalls sollte man nicht länger zögern. Die Lösung der kolonialen
Eisenbcchufrage ist unsre dringendste Aufgabe, und das neue Reichskolonialamt
könnte sich durch nichts besser einführen als durch Beschleunigung der Ent¬
scheidung. Es sollten sich doch wohl Mittel und Wege finden, die geplante
Reform vorzubereiten, ohne daß dadurch dringende Aufgaben liegen bleiben.
Die deutsche Industrie, das deutsche Kapital ist bereit, sich an der Erschließung
der Kolonien tätig zu beteiligen und wartet nur auf die Verkehrsmittel, um
geplante Unternehmungen verwirklichen zu können. Man sollte solchen Be¬
strebungen möglichst rasch entgegenkommen. Zeit ist Geld!




Das russische Agrarproblem

in 9. Heft haben wir die Leser auf die Beilage zum 23. Bande
von Brauns Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik auf¬
merksam gemacht, die Rußlands Übergang zum Schein-
konstitutionalisinus von Max Weber enthält. Der Band
(237 Seiten in engem kleinem Druck) ist keine Geschichte und
kann als Bericht über gegenwärtig Geschehendes, wie der Verfasser selbst sagt,
keine sein, sondern eine Chronik; freilich nicht im ältern Sinne des Wortes,


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[0396] Das russische Agrarproblem andern Bahnen günstig gestellt. Sie wird ohne weiteres den nicht unbedeutenden Nyassaverkehr an sich ziehen und wahrscheinlich die geplante portugiesisch- englische Parallelbahn, die wesentlich länger ist, hintertreiben. Außerdem durch¬ quert sie auf ihrer ganzen Länge gutes Kulturland, besonders Baumwollland, und würde sofort die geplante Baumwollkultur in großem Stil in verhältnis¬ mäßiger Küstennähe ermöglichen. Endlich findet sie an ihrem Endpunkte brauchbare Kohlenlager vor, also billige Betriebsmittel, ein Umstand, der im Hinblick auf die dortigen hohen Kohlcnpreise nicht unbedeutend bei der Ren¬ tabilität mitsprechen würde. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der sofortige Bau der Südbahn einem spätern planmäßigen Vorgehen den Boden bereiten würde. Gerade diese Bahn ist wie keine andre befähigt, der Öffentlichkeit die guten Aussichten unsrer Kolonialbahnen vor Augen zu führen und der weitern Er¬ schließungstätigkeit einen moralischen und wirtschaftlichen Rückhalt zu schaffen. Vor allem ist dringend zu raten, endlich bei der Stange zu bleiben und nicht fort und fort von einem Projekt zum audern zu schwanken. Wir sind noch keineswegs über den Berg. Ob die Kolonialfreundlichkeit der augenblicklichen Reichstagsmehrheit allen Anforderungen der Kolonien standhalten wird, ist noch nicht unbedingt sicher. Wir haben noch keine Garantie, ob die nationale Linke im Reichstage nicht vor den Kosten eines großen Eisenbahnnetzes in den Kolonien zurückschrecken wird. Die Regierung kann dem nur durch ge¬ wissenhafte, streng objektive Aufstellung ihrer Forderungen begegnen. Der Reichstag muß den Eindruck gewinnen, daß die künftigen Eisenbahnvorlageu ausschließlich nüchterner wirtschaftlicher Erwägung entspringen. Jedenfalls sollte man nicht länger zögern. Die Lösung der kolonialen Eisenbcchufrage ist unsre dringendste Aufgabe, und das neue Reichskolonialamt könnte sich durch nichts besser einführen als durch Beschleunigung der Ent¬ scheidung. Es sollten sich doch wohl Mittel und Wege finden, die geplante Reform vorzubereiten, ohne daß dadurch dringende Aufgaben liegen bleiben. Die deutsche Industrie, das deutsche Kapital ist bereit, sich an der Erschließung der Kolonien tätig zu beteiligen und wartet nur auf die Verkehrsmittel, um geplante Unternehmungen verwirklichen zu können. Man sollte solchen Be¬ strebungen möglichst rasch entgegenkommen. Zeit ist Geld! Das russische Agrarproblem in 9. Heft haben wir die Leser auf die Beilage zum 23. Bande von Brauns Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik auf¬ merksam gemacht, die Rußlands Übergang zum Schein- konstitutionalisinus von Max Weber enthält. Der Band (237 Seiten in engem kleinem Druck) ist keine Geschichte und kann als Bericht über gegenwärtig Geschehendes, wie der Verfasser selbst sagt, keine sein, sondern eine Chronik; freilich nicht im ältern Sinne des Wortes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/396>, abgerufen am 05.02.2025.