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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Tante Hvons Gericht Clara Hohrath "Line Liebes- und lielligengeschichte ans der Bretagne von

en ganzen Tag war es stürmisch gewesen, jetzt endlich, mit dem
Schwinden des Tageslichts wurde es stiller draußen.

^M^^Wonne, die junge Frau des Fischers Kerbastiou, saß allein vor
dem großen Kamin, in dem ein Holzfeuer leise knisterte. Nun, wo
es dunkel geworden war, hatte sie es aufgegeben an den Strand
! hinunterzulaufen, um nach dem Boot ihres Mannes auszuspähen.
Es war das kleinste und älteste Boot der Flottille und trug nur zwei Leute an
Bord, den Patron Kerbastiou und Alan, seinen Matrosen. Mit Alan hatte sie als
Kind gespielt; er hatte in der Hütte, die sich an das Haus ihrer Eltern anlehnte,
gewohnt. Aus dem kleinen Alanik war ein starker und gewandter Bursche ge¬
worden, der bei dem reichsten Patron leicht einen Dienst gefunden hätte. Aber
er hatte es sich in den Kopf gesetzt, bei Jobik Kerbastiou Matrose und Knecht zu
werden, und was in seinem bretonischen Dickschädel einmal beschlossen worden war,
das ließ sich so leicht nicht wieder umstoßen.

Nun saß Uvonne am knisternden Kaminfeuer und wartete auf die Heimkehr
der beiden. Die "Crepes" standen fertig auf dem Tisch, die Speckseite lag
wartend in der eisernen Pfanne. Wenn Jobik Kerbastiou aus bösem Wetter heim¬
kam, pflegte er hungrig und verfroren und schlecht gelaunt zu sein. Sie sah ihm
das gleich beim Eintreten an: er hinkte dann auffälliger als gewöhnlich, und sein
übergroßer, häßlicher Kopf hing tief auf die Brust herab. Sie wußte dann auch,
daß Alan böse Stunden gehabt hatte. Aber Alan war nicht wehleidig, er trug
immer den Kopf hoch, mochte der Patron auch noch so wüst fluchen. Und immer,
wenn er im Gefolge ihres Mannes zur Tür hereintrat, rief er ihr sein frisches,
keckes: Guten Abend, Uvonne! entgegen. Dabei gleißten und glänzten seine schwarzen
Augen noch ebenso begehrlich wie einst, wenn sie dem immer habgierigen und
hungrigen Spielkameraden ein Stück Kuchen vorgehalten hatte.

So lange wie heute waren die beiden noch nie ausgeblieben. Obschon sie
eine Fischerstochter war, an langes, banges Warten von klein auf gewohnt, begann
ein heimliches Angstgefühl jetzt ihren Herzschlag zu beschleunigen.

Eine alte Frau steckte den Kopf zur Tür herein.

Jetzt sind sie alle da, bis auf deinen Alten, Uvvnne. Der wird nun wohl
auch bald ankomme", er ist ja meist der letzte. Ängstige dich nur nicht, Kindchen,
hörst du? Aber beten solltest du auf alle Fälle, das kann nicht schaden!

Die junge Frau nickte. Danke, Mann Gorvel, ich will tun, wie Ihr sagt.

Da verschwand das runzlige Gesicht der alten Nachbarin aus dem Türrahmen.

Ivonne aber stand auf, zündete die Kerze auf dem kleinen Wandaltar an
und kniete vor dem Bilde der Gottesmutter nieder. Doch je länger sie betete, desto
größer wurde das Angstgefühl, das ihr Herz zusammenkrampfte. Wie in einer
Vision sah sie das alte Boot deutlich vor sich, wie es vom Gipfel hoher Wogen-




Tante Hvons Gericht Clara Hohrath «Line Liebes- und lielligengeschichte ans der Bretagne von

en ganzen Tag war es stürmisch gewesen, jetzt endlich, mit dem
Schwinden des Tageslichts wurde es stiller draußen.

^M^^Wonne, die junge Frau des Fischers Kerbastiou, saß allein vor
dem großen Kamin, in dem ein Holzfeuer leise knisterte. Nun, wo
es dunkel geworden war, hatte sie es aufgegeben an den Strand
! hinunterzulaufen, um nach dem Boot ihres Mannes auszuspähen.
Es war das kleinste und älteste Boot der Flottille und trug nur zwei Leute an
Bord, den Patron Kerbastiou und Alan, seinen Matrosen. Mit Alan hatte sie als
Kind gespielt; er hatte in der Hütte, die sich an das Haus ihrer Eltern anlehnte,
gewohnt. Aus dem kleinen Alanik war ein starker und gewandter Bursche ge¬
worden, der bei dem reichsten Patron leicht einen Dienst gefunden hätte. Aber
er hatte es sich in den Kopf gesetzt, bei Jobik Kerbastiou Matrose und Knecht zu
werden, und was in seinem bretonischen Dickschädel einmal beschlossen worden war,
das ließ sich so leicht nicht wieder umstoßen.

Nun saß Uvonne am knisternden Kaminfeuer und wartete auf die Heimkehr
der beiden. Die „Crepes" standen fertig auf dem Tisch, die Speckseite lag
wartend in der eisernen Pfanne. Wenn Jobik Kerbastiou aus bösem Wetter heim¬
kam, pflegte er hungrig und verfroren und schlecht gelaunt zu sein. Sie sah ihm
das gleich beim Eintreten an: er hinkte dann auffälliger als gewöhnlich, und sein
übergroßer, häßlicher Kopf hing tief auf die Brust herab. Sie wußte dann auch,
daß Alan böse Stunden gehabt hatte. Aber Alan war nicht wehleidig, er trug
immer den Kopf hoch, mochte der Patron auch noch so wüst fluchen. Und immer,
wenn er im Gefolge ihres Mannes zur Tür hereintrat, rief er ihr sein frisches,
keckes: Guten Abend, Uvonne! entgegen. Dabei gleißten und glänzten seine schwarzen
Augen noch ebenso begehrlich wie einst, wenn sie dem immer habgierigen und
hungrigen Spielkameraden ein Stück Kuchen vorgehalten hatte.

So lange wie heute waren die beiden noch nie ausgeblieben. Obschon sie
eine Fischerstochter war, an langes, banges Warten von klein auf gewohnt, begann
ein heimliches Angstgefühl jetzt ihren Herzschlag zu beschleunigen.

Eine alte Frau steckte den Kopf zur Tür herein.

Jetzt sind sie alle da, bis auf deinen Alten, Uvvnne. Der wird nun wohl
auch bald ankomme«, er ist ja meist der letzte. Ängstige dich nur nicht, Kindchen,
hörst du? Aber beten solltest du auf alle Fälle, das kann nicht schaden!

Die junge Frau nickte. Danke, Mann Gorvel, ich will tun, wie Ihr sagt.

Da verschwand das runzlige Gesicht der alten Nachbarin aus dem Türrahmen.

Ivonne aber stand auf, zündete die Kerze auf dem kleinen Wandaltar an
und kniete vor dem Bilde der Gottesmutter nieder. Doch je länger sie betete, desto
größer wurde das Angstgefühl, das ihr Herz zusammenkrampfte. Wie in einer
Vision sah sie das alte Boot deutlich vor sich, wie es vom Gipfel hoher Wogen-


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[0376] [Abbildung] Tante Hvons Gericht Clara Hohrath «Line Liebes- und lielligengeschichte ans der Bretagne von en ganzen Tag war es stürmisch gewesen, jetzt endlich, mit dem Schwinden des Tageslichts wurde es stiller draußen. ^M^^Wonne, die junge Frau des Fischers Kerbastiou, saß allein vor dem großen Kamin, in dem ein Holzfeuer leise knisterte. Nun, wo es dunkel geworden war, hatte sie es aufgegeben an den Strand ! hinunterzulaufen, um nach dem Boot ihres Mannes auszuspähen. Es war das kleinste und älteste Boot der Flottille und trug nur zwei Leute an Bord, den Patron Kerbastiou und Alan, seinen Matrosen. Mit Alan hatte sie als Kind gespielt; er hatte in der Hütte, die sich an das Haus ihrer Eltern anlehnte, gewohnt. Aus dem kleinen Alanik war ein starker und gewandter Bursche ge¬ worden, der bei dem reichsten Patron leicht einen Dienst gefunden hätte. Aber er hatte es sich in den Kopf gesetzt, bei Jobik Kerbastiou Matrose und Knecht zu werden, und was in seinem bretonischen Dickschädel einmal beschlossen worden war, das ließ sich so leicht nicht wieder umstoßen. Nun saß Uvonne am knisternden Kaminfeuer und wartete auf die Heimkehr der beiden. Die „Crepes" standen fertig auf dem Tisch, die Speckseite lag wartend in der eisernen Pfanne. Wenn Jobik Kerbastiou aus bösem Wetter heim¬ kam, pflegte er hungrig und verfroren und schlecht gelaunt zu sein. Sie sah ihm das gleich beim Eintreten an: er hinkte dann auffälliger als gewöhnlich, und sein übergroßer, häßlicher Kopf hing tief auf die Brust herab. Sie wußte dann auch, daß Alan böse Stunden gehabt hatte. Aber Alan war nicht wehleidig, er trug immer den Kopf hoch, mochte der Patron auch noch so wüst fluchen. Und immer, wenn er im Gefolge ihres Mannes zur Tür hereintrat, rief er ihr sein frisches, keckes: Guten Abend, Uvonne! entgegen. Dabei gleißten und glänzten seine schwarzen Augen noch ebenso begehrlich wie einst, wenn sie dem immer habgierigen und hungrigen Spielkameraden ein Stück Kuchen vorgehalten hatte. So lange wie heute waren die beiden noch nie ausgeblieben. Obschon sie eine Fischerstochter war, an langes, banges Warten von klein auf gewohnt, begann ein heimliches Angstgefühl jetzt ihren Herzschlag zu beschleunigen. Eine alte Frau steckte den Kopf zur Tür herein. Jetzt sind sie alle da, bis auf deinen Alten, Uvvnne. Der wird nun wohl auch bald ankomme«, er ist ja meist der letzte. Ängstige dich nur nicht, Kindchen, hörst du? Aber beten solltest du auf alle Fälle, das kann nicht schaden! Die junge Frau nickte. Danke, Mann Gorvel, ich will tun, wie Ihr sagt. Da verschwand das runzlige Gesicht der alten Nachbarin aus dem Türrahmen. Ivonne aber stand auf, zündete die Kerze auf dem kleinen Wandaltar an und kniete vor dem Bilde der Gottesmutter nieder. Doch je länger sie betete, desto größer wurde das Angstgefühl, das ihr Herz zusammenkrampfte. Wie in einer Vision sah sie das alte Boot deutlich vor sich, wie es vom Gipfel hoher Wogen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/376>, abgerufen am 05.02.2025.