Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches (Der Militäretat im Reichstage. Justizreform. Der Fall Reichsspiegel. Puttkamer und die Kolonialskandale. Zur liberalen Schulpolitik in Preußen.) Wenn verschiedne Anzeichen nicht trügen, scheint die Nervosität, die sich eines Viel hat freilich zu dem soeben gekennzeichneten Verlauf der Debatten die Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches (Der Militäretat im Reichstage. Justizreform. Der Fall Reichsspiegel. Puttkamer und die Kolonialskandale. Zur liberalen Schulpolitik in Preußen.) Wenn verschiedne Anzeichen nicht trügen, scheint die Nervosität, die sich eines Viel hat freilich zu dem soeben gekennzeichneten Verlauf der Debatten die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0272" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302260"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <note type="argument"> (Der Militäretat im Reichstage. Justizreform. Der Fall</note><lb/> <div n="2"> <head> Reichsspiegel.</head><lb/> <note type="argument"> Puttkamer und die Kolonialskandale. 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Ist der befriedigende Verlauf<lb/> dieser Beratung die Folge der inzwischen zurückgekehrten richtigen Empfindung, daß<lb/> wir in unsrer Haltung dem Auslande gegenüber etwas gut zu machen hatten?<lb/> Vielleicht ist beides richtig, und es hat eine Wechselwirkung stattgefunden. Wie<lb/> es sich aber auch damit Verhalten mag, die Hauptsache bleibt der Eindruck, den<lb/> die würdige Haltung der deutschen Volksvertretung gerade in diesen Tagen nach<lb/> außen hin machen mußte, als die uus unfreundlich gesinnte ausländische Presse sich<lb/> eben anschickte, unsre „Nervosität" zu verspotten und sie als Zeichen einer innern<lb/> Unsicherheit zu deuten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1220" next="#ID_1221"> Viel hat freilich zu dem soeben gekennzeichneten Verlauf der Debatten die<lb/> Persönlichkeit des Kriegsministers von Einem beigetragen, der durch die ruhige,<lb/> feste und vornehme Art seines Auftretens und seiner Ausführungen alle bürger¬<lb/> lichen Parteien zu einem Ausdruck ihres Vertrauens nötigte und die Kritik in ver¬<lb/> ständigen Grenzen hielt. Von sozialdemokratischer Seite wurde er zwar angegriffen<lb/> und des „Säbelrasselns" beschuldigt, aber diese vom Parteikatechismus geforderten<lb/> Augriffe entbehrten diesmal gänzlich der Wucht und Leidenschaft, womit sie früher<lb/> geführt wurden. Sogar der grimme Bebel hielt es für angebracht, zu bezeugen,<lb/> daß der Kriegsminister sich alle Mühe gebe, die Soldntenmißhandlungen zu beseitigen,<lb/> und daß sie in der Tat jetzt als Ausnahmeerscheinungen anzusehen seien. Das<lb/> wurde auch von den ausländischen Beurteilern sehr bemerkt, und der Pariser Isinx«<lb/> nahm daraus sogar Veranlassung, Bebel, „vel sxLsIIsnt ^IlsmÄQtl", dem fran¬<lb/> zösischen Sozialistenführer Gustav Hero6 als Muster von Patriotismus in miki-<lb/> ls-ribus vorzuhalten. Wir wissen ja nun freilich, daß der Wein dieser sozialdemo¬<lb/> kratischen Begeisterung für unsre Wehrmacht viel Wasser enthält, vielleicht bei vielen<lb/> auch nichts andres ist als gefärbtes Wasser. Aber wenn einer dergleichen vor¬<lb/> täuscht, so muß er einen Zweck damit verfolgen, und wenn der Mann, der bisher<lb/> niemals dnrch vaterländische Rücksichten bewogen werden konnte, seine Todfeindschaft<lb/> gegen die bürgerliche Gesellschaft auch nur einen Augenblick zurückzustellen, der sich<lb/> nicht schämte, vor einer ausländischen Zuhörerschaft die Hoffnung auszusprechen, daß<lb/> Deutschland durch ein ihm bereitetes Sedan zur Republik gelangen werde, der die<lb/> mordbrennerischen Herero verherrlichte, um unsre braven, unter unsäglichen Müh¬<lb/> salen kämpfenden Südwestafrikakrieger zu beschimpfen — wenn sich dieser Mann<lb/> plötzlich ein Maßhalten auferlegt, das er früher nie gekannt hat, so muß ihm doch<lb/> recht stark zum Bewußtsein gekommen sein, daß das entgegengesetzte Verhalten ihm<lb/> in den Augen der eignen Parteigenossen mehr Schaden als Vorteil bringen werde.<lb/> Und in Wahrheit wird augenscheinlich die wüste und sinnlose Hetze gegen die ein¬<lb/> fachsten und klarsten vaterländischen Interessen allmählich auch dem deutschen sozial¬<lb/> demokratischen Arbeiter zum Überdruß. Denn soviel Urteilskraft haben sich auch<lb/> diese beständig zum Klassenhaß aufgepeitschten Gemüter immer noch bewahrt, daß</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0272]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Maßgebliches und Unmaßgebliches
(Der Militäretat im Reichstage. Justizreform. Der Fall
Reichsspiegel.
Puttkamer und die Kolonialskandale. Zur liberalen Schulpolitik in Preußen.)
Wenn verschiedne Anzeichen nicht trügen, scheint die Nervosität, die sich eines
Teils unsrer öffentlichen Meinung bei den Erörterungen über die Reisen und Be¬
suche König Eduards bemächtigt hatte, allmählich zu weichen und dem wachsamen,
aber äußerlich ruhigen Selbstbewußtsein Platz zu machen, das allein eines gesunden
und tüchtigen Volks von sechzig Millionen würdig ist und zugleich auch den Tat¬
sachen entspricht. Und dabei müssen wir zu unsrer Frende feststellen, daß die letzten
Neichstagsvcrhandlungen über den Militäretat zu dieser erfreulichen Wandlung ihr
Teil beigetragen haben. Oder ist es umgekehrt? Ist der befriedigende Verlauf
dieser Beratung die Folge der inzwischen zurückgekehrten richtigen Empfindung, daß
wir in unsrer Haltung dem Auslande gegenüber etwas gut zu machen hatten?
Vielleicht ist beides richtig, und es hat eine Wechselwirkung stattgefunden. Wie
es sich aber auch damit Verhalten mag, die Hauptsache bleibt der Eindruck, den
die würdige Haltung der deutschen Volksvertretung gerade in diesen Tagen nach
außen hin machen mußte, als die uus unfreundlich gesinnte ausländische Presse sich
eben anschickte, unsre „Nervosität" zu verspotten und sie als Zeichen einer innern
Unsicherheit zu deuten.
Viel hat freilich zu dem soeben gekennzeichneten Verlauf der Debatten die
Persönlichkeit des Kriegsministers von Einem beigetragen, der durch die ruhige,
feste und vornehme Art seines Auftretens und seiner Ausführungen alle bürger¬
lichen Parteien zu einem Ausdruck ihres Vertrauens nötigte und die Kritik in ver¬
ständigen Grenzen hielt. Von sozialdemokratischer Seite wurde er zwar angegriffen
und des „Säbelrasselns" beschuldigt, aber diese vom Parteikatechismus geforderten
Augriffe entbehrten diesmal gänzlich der Wucht und Leidenschaft, womit sie früher
geführt wurden. Sogar der grimme Bebel hielt es für angebracht, zu bezeugen,
daß der Kriegsminister sich alle Mühe gebe, die Soldntenmißhandlungen zu beseitigen,
und daß sie in der Tat jetzt als Ausnahmeerscheinungen anzusehen seien. Das
wurde auch von den ausländischen Beurteilern sehr bemerkt, und der Pariser Isinx«
nahm daraus sogar Veranlassung, Bebel, „vel sxLsIIsnt ^IlsmÄQtl", dem fran¬
zösischen Sozialistenführer Gustav Hero6 als Muster von Patriotismus in miki-
ls-ribus vorzuhalten. Wir wissen ja nun freilich, daß der Wein dieser sozialdemo¬
kratischen Begeisterung für unsre Wehrmacht viel Wasser enthält, vielleicht bei vielen
auch nichts andres ist als gefärbtes Wasser. Aber wenn einer dergleichen vor¬
täuscht, so muß er einen Zweck damit verfolgen, und wenn der Mann, der bisher
niemals dnrch vaterländische Rücksichten bewogen werden konnte, seine Todfeindschaft
gegen die bürgerliche Gesellschaft auch nur einen Augenblick zurückzustellen, der sich
nicht schämte, vor einer ausländischen Zuhörerschaft die Hoffnung auszusprechen, daß
Deutschland durch ein ihm bereitetes Sedan zur Republik gelangen werde, der die
mordbrennerischen Herero verherrlichte, um unsre braven, unter unsäglichen Müh¬
salen kämpfenden Südwestafrikakrieger zu beschimpfen — wenn sich dieser Mann
plötzlich ein Maßhalten auferlegt, das er früher nie gekannt hat, so muß ihm doch
recht stark zum Bewußtsein gekommen sein, daß das entgegengesetzte Verhalten ihm
in den Augen der eignen Parteigenossen mehr Schaden als Vorteil bringen werde.
Und in Wahrheit wird augenscheinlich die wüste und sinnlose Hetze gegen die ein¬
fachsten und klarsten vaterländischen Interessen allmählich auch dem deutschen sozial¬
demokratischen Arbeiter zum Überdruß. Denn soviel Urteilskraft haben sich auch
diese beständig zum Klassenhaß aufgepeitschten Gemüter immer noch bewahrt, daß
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