Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Haselnuß ihre lahmen Glieder und sonstigen Schäden irgendwelchen Bädern anvertrauen Ein andres lockendes Ziel kranker Almosensammler war das Hospital, das Wir haben die unabsehbare Schar des fahrenden Volkes, wie sie im sieb¬ Die Haselnuß Julius R. Haarhaus Ein Leipziger Märchen von (Fortsetzung) l üblich konnte tels Konzert beginnen. Der Löwe des Tages stimmte Nein, sagte der eine, dieses Flageolett! So etwas haben wir hier noch nicht Sein Pizzicato hat mir noch weit mehr gefallen, meinte ein andrer, ich habe Die Haselnuß ihre lahmen Glieder und sonstigen Schäden irgendwelchen Bädern anvertrauen Ein andres lockendes Ziel kranker Almosensammler war das Hospital, das Wir haben die unabsehbare Schar des fahrenden Volkes, wie sie im sieb¬ Die Haselnuß Julius R. Haarhaus Ein Leipziger Märchen von (Fortsetzung) l üblich konnte tels Konzert beginnen. Der Löwe des Tages stimmte Nein, sagte der eine, dieses Flageolett! So etwas haben wir hier noch nicht Sein Pizzicato hat mir noch weit mehr gefallen, meinte ein andrer, ich habe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302250"/> <fw type="header" place="top"> Die Haselnuß</fw><lb/> <p xml:id="ID_1129" prev="#ID_1128"> ihre lahmen Glieder und sonstigen Schäden irgendwelchen Bädern anvertrauen<lb/> wollen, sogar Geisteskranke sehen wir vertrauensvoll ins warme Bad wandern.<lb/> Starben sie dort, so bettelten sich ihre Frauen und Kinder wieder nach der<lb/> Heimat durch.</p><lb/> <p xml:id="ID_1130"> Ein andres lockendes Ziel kranker Almosensammler war das Hospital, das<lb/> sich allerdings auch nur in seltenen Ausnahmefällen unentgeltlich öffnete. Ein<lb/> Sattlergeselle aus Neundorf, ein Mann von Westerhausen, „der den fressenden<lb/> würm im schenkel gehabt", ein armes Pfarrweib mit zwei Kindern, „dessen<lb/> Manu im Haupte verrückt, daß er seines Dienstes nicht abwarten können",<lb/> suchen die Mittel zur Aufnahme ins Spital von den Leuten zu erbetteln.<lb/> Zuweilen sind auch hierunter solche, die sich mit einem geliehenen Kapital ins<lb/> Spital gekauft haben und nnn durch Almoscnsmnmelu das Geborgte zurück¬<lb/> zuerstatten suchen. Genau so war es bei vielen losgekauften Türkensklaven,<lb/> die nachträglich den Bedarf ihres Lösegeldes zusammenbettelten. Daß dies<lb/> überhaupt möglich war, beweist, wie reichlich und gern man den wandernden<lb/> Bettlern, in denen die damalige Zeit eben eine selbstverständliche Erscheinung<lb/> sah, gegeben haben muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_1131"> Wir haben die unabsehbare Schar des fahrenden Volkes, wie sie im sieb¬<lb/> zehnten Jahrhundert sogar einen unbedeutenden Ort wie Coswig durchzog, in<lb/> ihren flüchtigen Bestandteilen gemustert. Einer spätern Arbeit mag es vor¬<lb/> behalten bleiben, zu schildern, was diese flüchtigen Besucher von ihren Geschicken<lb/> zu erzählen wußten, und wie sie den Bewohnern des Städtchens manche neue<lb/> Zeitung von den Weltbegebenheiten aus nah und fern mitbrachten, sich auf<lb/> diese Weise für das empfangn? Almosen doch in etwas erkenntlich zeigend.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Die Haselnuß<lb/><note type="byline"> Julius R. Haarhaus</note> Ein Leipziger Märchen von<lb/> (Fortsetzung)</head><lb/> <p xml:id="ID_1132"> l üblich konnte tels Konzert beginnen. Der Löwe des Tages stimmte<lb/> mit großer Sorgfalt sein Instrument, erbat sich zu seiner Stärkung<lb/> noch ein Glas Portwein, placierte die alte Kommerzienrätin Möbins,<lb/> die in der dritten Reihe gesessen hatte, hinter eine Säule in der<lb/> sechsten und spielte das Quartett in M von Rode. Als er zu Ende<lb/> !war, wurde er mit rauschendem Beifall belohnt, aber er schien gar<lb/> nicht darauf zu achten, stützte den Kopf in seine Weiße, wvhlgevflegte Hand und<lb/> starrte wie geistesabwesend ins Publikum.M</p><lb/> <p xml:id="ID_1133"> Nein, sagte der eine, dieses Flageolett! So etwas haben wir hier noch nicht<lb/> zu hören bekommen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1134"> Sein Pizzicato hat mir noch weit mehr gefallen, meinte ein andrer, ich habe<lb/> vor zwei Jahren in Wien Paganini gehört, aber der machte es auch nicht besser!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0262]
Die Haselnuß
ihre lahmen Glieder und sonstigen Schäden irgendwelchen Bädern anvertrauen
wollen, sogar Geisteskranke sehen wir vertrauensvoll ins warme Bad wandern.
Starben sie dort, so bettelten sich ihre Frauen und Kinder wieder nach der
Heimat durch.
Ein andres lockendes Ziel kranker Almosensammler war das Hospital, das
sich allerdings auch nur in seltenen Ausnahmefällen unentgeltlich öffnete. Ein
Sattlergeselle aus Neundorf, ein Mann von Westerhausen, „der den fressenden
würm im schenkel gehabt", ein armes Pfarrweib mit zwei Kindern, „dessen
Manu im Haupte verrückt, daß er seines Dienstes nicht abwarten können",
suchen die Mittel zur Aufnahme ins Spital von den Leuten zu erbetteln.
Zuweilen sind auch hierunter solche, die sich mit einem geliehenen Kapital ins
Spital gekauft haben und nnn durch Almoscnsmnmelu das Geborgte zurück¬
zuerstatten suchen. Genau so war es bei vielen losgekauften Türkensklaven,
die nachträglich den Bedarf ihres Lösegeldes zusammenbettelten. Daß dies
überhaupt möglich war, beweist, wie reichlich und gern man den wandernden
Bettlern, in denen die damalige Zeit eben eine selbstverständliche Erscheinung
sah, gegeben haben muß.
Wir haben die unabsehbare Schar des fahrenden Volkes, wie sie im sieb¬
zehnten Jahrhundert sogar einen unbedeutenden Ort wie Coswig durchzog, in
ihren flüchtigen Bestandteilen gemustert. Einer spätern Arbeit mag es vor¬
behalten bleiben, zu schildern, was diese flüchtigen Besucher von ihren Geschicken
zu erzählen wußten, und wie sie den Bewohnern des Städtchens manche neue
Zeitung von den Weltbegebenheiten aus nah und fern mitbrachten, sich auf
diese Weise für das empfangn? Almosen doch in etwas erkenntlich zeigend.
Die Haselnuß
Julius R. Haarhaus Ein Leipziger Märchen von
(Fortsetzung)
l üblich konnte tels Konzert beginnen. Der Löwe des Tages stimmte
mit großer Sorgfalt sein Instrument, erbat sich zu seiner Stärkung
noch ein Glas Portwein, placierte die alte Kommerzienrätin Möbins,
die in der dritten Reihe gesessen hatte, hinter eine Säule in der
sechsten und spielte das Quartett in M von Rode. Als er zu Ende
!war, wurde er mit rauschendem Beifall belohnt, aber er schien gar
nicht darauf zu achten, stützte den Kopf in seine Weiße, wvhlgevflegte Hand und
starrte wie geistesabwesend ins Publikum.M
Nein, sagte der eine, dieses Flageolett! So etwas haben wir hier noch nicht
zu hören bekommen!
Sein Pizzicato hat mir noch weit mehr gefallen, meinte ein andrer, ich habe
vor zwei Jahren in Wien Paganini gehört, aber der machte es auch nicht besser!
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