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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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höchsten Damen, die Schleppe, den inWtsg,u, wie ihr offizieller Name ist,
beizubehalten wünschte. Die über den Arm geworfne Untertaninnenschleppe
entbehrt, das ist leider nicht zu leugnen, jeder Majestät. Souveräne und
Prinzeß-Schleppen erheischen, wenn sie wirken sollen, einen Schleppenträger,
und zu diesem Amte eignet sich niemand besser als ein Page. Also -- ganz
abgeschafft sollten die Pagen nicht werden. Die Idee, auf die frühere gelb
und blaue Galalivree zurückzukommen, hatte einen Haken. Es widersprach dem
militärischen Gefühl, daß einem jungen Menschen, der sich für die Offiziers-
karriere vorbereitet, in unsern Zeiten die etwas verfeinerte und reichere Livree
der königlichen Lakaien angezogen werden sollte.

Es blieb sonach nur die dritte Möglichkeit: ein Phantasiekostüm zu
wühlen, das dadurch, daß der Degen dazu gehören sollte, jedes Bedenken von
militärischer Seite erledigte. Man entschied sich für die Farben rot und weiß,
wodurch man mit dem Berliner Hof konform wurde, und die an die Kadetten¬
uniform der frühesten Zeit anknüpften. Eine gelb und blaue Achselschleife
sollte an die Wettiner Hausfarben erinnern.

Wenn man auf der einen Seite mit der Neuerung von 1872 der An¬
nahme aus dem Wege gehen wollte, es werde Offiziersaspiranten ein lakaien¬
artiges Aufwarten zugemutet, so war man sich an maßgebender Stelle auch
andrerseits klar, wie erfreulich und in jeder Beziehung ersprießlich es war,
wenn eine Anzahl Kadetten mit den Mitgliedern der Königlichen Familie als
deren Leibpagen in Berührung kam in einem Alter, in dem das Herz für
Beweise von Huld und Wohlwollen noch volle und wärmste Aufnahmefähigkeit
hat, in dem es sich ganz und fürs Leben schenkt. Wo sich infolge frühester
Eindrücke zu der Loyalität, die uns allen gemeinsam ist, und die der Soldat
wie der Offizier in noch erhöhtem Maße für seinen Kriegsherrn, dessen Thron
und dessen Haus empfindet, noch persönliche Begeisterung, Verehrung und
Liebe hinzugesellen, ist die Brust gegen alle feindlichen Einflüsse mit dreifachem
Erze umpanzert.




Leben und Treiben in Alt-Buchara
y. Toexfer Reiseerinnerungen von

>er zweite Tag in Buchara brachte Regen, sodaß wir vorzogen,
diesesmal mit der Eisenbahn zu fahren und möglichst schnell unter
die überkuppelten oder mattenüberdachten Straßen des Basars zu
gelangen, in dessen Straßengewirr wir tags zuvor nur einen ganz
flüchtig neugierigen Blick hatten werfen können. Hier in der heiligen
>Stadt, in der die religiöse Unduldsamkeit des faulenzenden geist¬
lichen Proletariats dem Christen den flüchtigsten Einblick in seine Moschee mi߬
gönnt, hat sich der europäische Kaufmann doch Bürgerrecht erworben. Nur
neben der Kaljan-Moschee und dem Henkerturm ist der eingeborne KaufmannWss
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Grenzboten II 1907 26
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höchsten Damen, die Schleppe, den inWtsg,u, wie ihr offizieller Name ist,
beizubehalten wünschte. Die über den Arm geworfne Untertaninnenschleppe
entbehrt, das ist leider nicht zu leugnen, jeder Majestät. Souveräne und
Prinzeß-Schleppen erheischen, wenn sie wirken sollen, einen Schleppenträger,
und zu diesem Amte eignet sich niemand besser als ein Page. Also — ganz
abgeschafft sollten die Pagen nicht werden. Die Idee, auf die frühere gelb
und blaue Galalivree zurückzukommen, hatte einen Haken. Es widersprach dem
militärischen Gefühl, daß einem jungen Menschen, der sich für die Offiziers-
karriere vorbereitet, in unsern Zeiten die etwas verfeinerte und reichere Livree
der königlichen Lakaien angezogen werden sollte.

Es blieb sonach nur die dritte Möglichkeit: ein Phantasiekostüm zu
wühlen, das dadurch, daß der Degen dazu gehören sollte, jedes Bedenken von
militärischer Seite erledigte. Man entschied sich für die Farben rot und weiß,
wodurch man mit dem Berliner Hof konform wurde, und die an die Kadetten¬
uniform der frühesten Zeit anknüpften. Eine gelb und blaue Achselschleife
sollte an die Wettiner Hausfarben erinnern.

Wenn man auf der einen Seite mit der Neuerung von 1872 der An¬
nahme aus dem Wege gehen wollte, es werde Offiziersaspiranten ein lakaien¬
artiges Aufwarten zugemutet, so war man sich an maßgebender Stelle auch
andrerseits klar, wie erfreulich und in jeder Beziehung ersprießlich es war,
wenn eine Anzahl Kadetten mit den Mitgliedern der Königlichen Familie als
deren Leibpagen in Berührung kam in einem Alter, in dem das Herz für
Beweise von Huld und Wohlwollen noch volle und wärmste Aufnahmefähigkeit
hat, in dem es sich ganz und fürs Leben schenkt. Wo sich infolge frühester
Eindrücke zu der Loyalität, die uns allen gemeinsam ist, und die der Soldat
wie der Offizier in noch erhöhtem Maße für seinen Kriegsherrn, dessen Thron
und dessen Haus empfindet, noch persönliche Begeisterung, Verehrung und
Liebe hinzugesellen, ist die Brust gegen alle feindlichen Einflüsse mit dreifachem
Erze umpanzert.




Leben und Treiben in Alt-Buchara
y. Toexfer Reiseerinnerungen von

>er zweite Tag in Buchara brachte Regen, sodaß wir vorzogen,
diesesmal mit der Eisenbahn zu fahren und möglichst schnell unter
die überkuppelten oder mattenüberdachten Straßen des Basars zu
gelangen, in dessen Straßengewirr wir tags zuvor nur einen ganz
flüchtig neugierigen Blick hatten werfen können. Hier in der heiligen
>Stadt, in der die religiöse Unduldsamkeit des faulenzenden geist¬
lichen Proletariats dem Christen den flüchtigsten Einblick in seine Moschee mi߬
gönnt, hat sich der europäische Kaufmann doch Bürgerrecht erworben. Nur
neben der Kaljan-Moschee und dem Henkerturm ist der eingeborne KaufmannWss
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[0201] Lebe» n»d Treiben in Alt-Buchara höchsten Damen, die Schleppe, den inWtsg,u, wie ihr offizieller Name ist, beizubehalten wünschte. Die über den Arm geworfne Untertaninnenschleppe entbehrt, das ist leider nicht zu leugnen, jeder Majestät. Souveräne und Prinzeß-Schleppen erheischen, wenn sie wirken sollen, einen Schleppenträger, und zu diesem Amte eignet sich niemand besser als ein Page. Also — ganz abgeschafft sollten die Pagen nicht werden. Die Idee, auf die frühere gelb und blaue Galalivree zurückzukommen, hatte einen Haken. Es widersprach dem militärischen Gefühl, daß einem jungen Menschen, der sich für die Offiziers- karriere vorbereitet, in unsern Zeiten die etwas verfeinerte und reichere Livree der königlichen Lakaien angezogen werden sollte. Es blieb sonach nur die dritte Möglichkeit: ein Phantasiekostüm zu wühlen, das dadurch, daß der Degen dazu gehören sollte, jedes Bedenken von militärischer Seite erledigte. Man entschied sich für die Farben rot und weiß, wodurch man mit dem Berliner Hof konform wurde, und die an die Kadetten¬ uniform der frühesten Zeit anknüpften. Eine gelb und blaue Achselschleife sollte an die Wettiner Hausfarben erinnern. Wenn man auf der einen Seite mit der Neuerung von 1872 der An¬ nahme aus dem Wege gehen wollte, es werde Offiziersaspiranten ein lakaien¬ artiges Aufwarten zugemutet, so war man sich an maßgebender Stelle auch andrerseits klar, wie erfreulich und in jeder Beziehung ersprießlich es war, wenn eine Anzahl Kadetten mit den Mitgliedern der Königlichen Familie als deren Leibpagen in Berührung kam in einem Alter, in dem das Herz für Beweise von Huld und Wohlwollen noch volle und wärmste Aufnahmefähigkeit hat, in dem es sich ganz und fürs Leben schenkt. Wo sich infolge frühester Eindrücke zu der Loyalität, die uns allen gemeinsam ist, und die der Soldat wie der Offizier in noch erhöhtem Maße für seinen Kriegsherrn, dessen Thron und dessen Haus empfindet, noch persönliche Begeisterung, Verehrung und Liebe hinzugesellen, ist die Brust gegen alle feindlichen Einflüsse mit dreifachem Erze umpanzert. Leben und Treiben in Alt-Buchara y. Toexfer Reiseerinnerungen von >er zweite Tag in Buchara brachte Regen, sodaß wir vorzogen, diesesmal mit der Eisenbahn zu fahren und möglichst schnell unter die überkuppelten oder mattenüberdachten Straßen des Basars zu gelangen, in dessen Straßengewirr wir tags zuvor nur einen ganz flüchtig neugierigen Blick hatten werfen können. Hier in der heiligen >Stadt, in der die religiöse Unduldsamkeit des faulenzenden geist¬ lichen Proletariats dem Christen den flüchtigsten Einblick in seine Moschee mi߬ gönnt, hat sich der europäische Kaufmann doch Bürgerrecht erworben. Nur neben der Kaljan-Moschee und dem Henkerturm ist der eingeborne KaufmannWss <^,»>G . ß--. Grenzboten II 1907 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/201>, abgerufen am 05.02.2025.