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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Schaffung des deutschen Seekabelnetzes

Gunst gewonnen hätte. Was ihn zu einem Kinde des Glücks im heutigen
China gemacht hat, war sein Mut zur Pietütlosigkeit. Ihn umlauern jedoch
zahlreiche Neider und Feinde, denen es neuerdings gelungen ist, die Kaiserin¬
witwe zu bewegen, ihm einen großen Teil seiner Machtbefugnisse zu nehmen.

Nichts ist für China so sicher, als daß es unruhigen Zeiten entgegengeht.
Für eine gründliche Erneuerung fehlen noch alle Voraussetzungen. Unter den
Europäern, die China am gründlichsten kennen, glauben auch manche, daß sich
grundstürzende Reformen in China nur auf Kosten der Einheit des Reiches
durchführen lassen. Die Chinesen sind von Natur aus demokratisch, sogar
plump demokratisch angelegt. Ein Diktator, der sich in Petschili erhöbe, um
das Reformwerk gewaltsam durchzuführen, würde blutige Arbeit bekommen, um
seine Herrschaft im ganzen Lande aufzurichten. Die Mongolen hatten trotz ihres
gewaltigen Elaus von 1211 bis 1279 bestündig Krieg führen müssen, ehe China
erlag, fast siebzig Jahre lang. Und auch diesen schwer erkauften Erfolg hätten
die Mongolen nicht errungen, wenn ihnen nicht ein großer Teil der Chinesen
geholfen hätte, und wenn Kublai schließlich nicht erklärt Hütte, daß er ein
richtiger Chinesenkaiser nach chinesischer Art sein wolle.*) Fast ebensolange
wührte es, bis die Mandschus ihre Herrschaft befestigt hatten. Deren Macht
kann bald zusammenbrechen, wenn erst die willensstarke Frau, die heute die Ge¬
schicke des Reiches lenkt, durch den Tod von dem Schauplatz ihres Wirkens
abberufen sein wird. Den Begründer einer neuen Dynastie aber würde eine
Aufgabe erwarten, an der sich schon mancher seiner Vorgänger vergeblich ver¬
sucht hat, nämlich die, das chinesische Staatswesen auf völlig neue Grundlagen
zu stellen; dabei hätte er mit der erbitterten Gegnerschaft des gesamten in Amt
und Würden stehenden Literatentums zu rechnen. Alle Zeichen der Zeit in
China deuten für ein ungetrübtes Auge auf Sturm. Die gegenwärtigen Reform¬
bestrebungen sind in Wirklichkeit erst der Ausdruck der Sehnsucht nach einem
gelobten Lande, das in Wirklichkeit noch recht fern liegt.




Die Schaffung des deutschen seekabelnetzes
R. Mennig von in

>n einem Gesetzentwurf, der im November 1900 der französischen
Deputiertenkammer zuging, und der im Anschluß an die im Buren¬
krieg mit den englischen Afrikakabeln gemachten sehr trüben Er¬
fahrungen eine große Erweiterung des vorhandnen französischen
^ Seekabelnetzes befürwortete. hieß es u. a.: " England verdankt seinen
Einfluß in der Welt vielleicht mehr seinen Kabelverbindungen als seiner Marine.
Es beherrscht die Nachrichten und macht sie seiner Politik und seinen Geschäften



") Albrecht Wirth, Geschichte Asiens und Osteuropas, Seite 393.
Die Schaffung des deutschen Seekabelnetzes

Gunst gewonnen hätte. Was ihn zu einem Kinde des Glücks im heutigen
China gemacht hat, war sein Mut zur Pietütlosigkeit. Ihn umlauern jedoch
zahlreiche Neider und Feinde, denen es neuerdings gelungen ist, die Kaiserin¬
witwe zu bewegen, ihm einen großen Teil seiner Machtbefugnisse zu nehmen.

Nichts ist für China so sicher, als daß es unruhigen Zeiten entgegengeht.
Für eine gründliche Erneuerung fehlen noch alle Voraussetzungen. Unter den
Europäern, die China am gründlichsten kennen, glauben auch manche, daß sich
grundstürzende Reformen in China nur auf Kosten der Einheit des Reiches
durchführen lassen. Die Chinesen sind von Natur aus demokratisch, sogar
plump demokratisch angelegt. Ein Diktator, der sich in Petschili erhöbe, um
das Reformwerk gewaltsam durchzuführen, würde blutige Arbeit bekommen, um
seine Herrschaft im ganzen Lande aufzurichten. Die Mongolen hatten trotz ihres
gewaltigen Elaus von 1211 bis 1279 bestündig Krieg führen müssen, ehe China
erlag, fast siebzig Jahre lang. Und auch diesen schwer erkauften Erfolg hätten
die Mongolen nicht errungen, wenn ihnen nicht ein großer Teil der Chinesen
geholfen hätte, und wenn Kublai schließlich nicht erklärt Hütte, daß er ein
richtiger Chinesenkaiser nach chinesischer Art sein wolle.*) Fast ebensolange
wührte es, bis die Mandschus ihre Herrschaft befestigt hatten. Deren Macht
kann bald zusammenbrechen, wenn erst die willensstarke Frau, die heute die Ge¬
schicke des Reiches lenkt, durch den Tod von dem Schauplatz ihres Wirkens
abberufen sein wird. Den Begründer einer neuen Dynastie aber würde eine
Aufgabe erwarten, an der sich schon mancher seiner Vorgänger vergeblich ver¬
sucht hat, nämlich die, das chinesische Staatswesen auf völlig neue Grundlagen
zu stellen; dabei hätte er mit der erbitterten Gegnerschaft des gesamten in Amt
und Würden stehenden Literatentums zu rechnen. Alle Zeichen der Zeit in
China deuten für ein ungetrübtes Auge auf Sturm. Die gegenwärtigen Reform¬
bestrebungen sind in Wirklichkeit erst der Ausdruck der Sehnsucht nach einem
gelobten Lande, das in Wirklichkeit noch recht fern liegt.




Die Schaffung des deutschen seekabelnetzes
R. Mennig von in

>n einem Gesetzentwurf, der im November 1900 der französischen
Deputiertenkammer zuging, und der im Anschluß an die im Buren¬
krieg mit den englischen Afrikakabeln gemachten sehr trüben Er¬
fahrungen eine große Erweiterung des vorhandnen französischen
^ Seekabelnetzes befürwortete. hieß es u. a.: „ England verdankt seinen
Einfluß in der Welt vielleicht mehr seinen Kabelverbindungen als seiner Marine.
Es beherrscht die Nachrichten und macht sie seiner Politik und seinen Geschäften



") Albrecht Wirth, Geschichte Asiens und Osteuropas, Seite 393.
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[0019] Die Schaffung des deutschen Seekabelnetzes Gunst gewonnen hätte. Was ihn zu einem Kinde des Glücks im heutigen China gemacht hat, war sein Mut zur Pietütlosigkeit. Ihn umlauern jedoch zahlreiche Neider und Feinde, denen es neuerdings gelungen ist, die Kaiserin¬ witwe zu bewegen, ihm einen großen Teil seiner Machtbefugnisse zu nehmen. Nichts ist für China so sicher, als daß es unruhigen Zeiten entgegengeht. Für eine gründliche Erneuerung fehlen noch alle Voraussetzungen. Unter den Europäern, die China am gründlichsten kennen, glauben auch manche, daß sich grundstürzende Reformen in China nur auf Kosten der Einheit des Reiches durchführen lassen. Die Chinesen sind von Natur aus demokratisch, sogar plump demokratisch angelegt. Ein Diktator, der sich in Petschili erhöbe, um das Reformwerk gewaltsam durchzuführen, würde blutige Arbeit bekommen, um seine Herrschaft im ganzen Lande aufzurichten. Die Mongolen hatten trotz ihres gewaltigen Elaus von 1211 bis 1279 bestündig Krieg führen müssen, ehe China erlag, fast siebzig Jahre lang. Und auch diesen schwer erkauften Erfolg hätten die Mongolen nicht errungen, wenn ihnen nicht ein großer Teil der Chinesen geholfen hätte, und wenn Kublai schließlich nicht erklärt Hütte, daß er ein richtiger Chinesenkaiser nach chinesischer Art sein wolle.*) Fast ebensolange wührte es, bis die Mandschus ihre Herrschaft befestigt hatten. Deren Macht kann bald zusammenbrechen, wenn erst die willensstarke Frau, die heute die Ge¬ schicke des Reiches lenkt, durch den Tod von dem Schauplatz ihres Wirkens abberufen sein wird. Den Begründer einer neuen Dynastie aber würde eine Aufgabe erwarten, an der sich schon mancher seiner Vorgänger vergeblich ver¬ sucht hat, nämlich die, das chinesische Staatswesen auf völlig neue Grundlagen zu stellen; dabei hätte er mit der erbitterten Gegnerschaft des gesamten in Amt und Würden stehenden Literatentums zu rechnen. Alle Zeichen der Zeit in China deuten für ein ungetrübtes Auge auf Sturm. Die gegenwärtigen Reform¬ bestrebungen sind in Wirklichkeit erst der Ausdruck der Sehnsucht nach einem gelobten Lande, das in Wirklichkeit noch recht fern liegt. Die Schaffung des deutschen seekabelnetzes R. Mennig von in >n einem Gesetzentwurf, der im November 1900 der französischen Deputiertenkammer zuging, und der im Anschluß an die im Buren¬ krieg mit den englischen Afrikakabeln gemachten sehr trüben Er¬ fahrungen eine große Erweiterung des vorhandnen französischen ^ Seekabelnetzes befürwortete. hieß es u. a.: „ England verdankt seinen Einfluß in der Welt vielleicht mehr seinen Kabelverbindungen als seiner Marine. Es beherrscht die Nachrichten und macht sie seiner Politik und seinen Geschäften ") Albrecht Wirth, Geschichte Asiens und Osteuropas, Seite 393.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/19>, abgerufen am 05.02.2025.