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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Wedelt-Usedomsche Beschwerde über den Minister Manteuffel

Versuche scheitern sollten, mehr Kapitulanten unter den Kaporalen und Gemeinen
zu gewinnen, ist eine schwer zu entscheidende Frage. Unter Umständen wird
nichts andres übrig bleiben, als neue Zugeständnisse zu machen oder durch
Gesetz die bedingungsweise Verlängerung der Dienstpflicht für einen Teil des
ältesten Jahreskontingents durchzusetzen. Denn so weit gehen auch die fana¬
tischsten Anhänger des Abrüstungsgedankens in Frankreich nicht, daß sie eine
Verminderung der eignen Wehrkraft wünschen.




Die Wedell-Usedomsche Beschwerde über den Minister
Manteuffel
Heinrich von poschinger von 1

us den Werken, die die preußische auswärtige Politik während
! des Krimkrieges beleuchten, ist hinlänglich bekannt, daß der
König Friedrich Wilhelm der Vierte durch die Nichteinladung
Preußens zu den Wiener Konferenzen äußerst nervös geworden,
! und daß er auf die, wie sich später herausstellte, wenig glückliche
Idee gekommen war, um das Ende des Jahres 1864 den damals nicht im
Dienst stehenden Wirklichen Geheimrat von Usedom und den Generalleutnant
von Wedelt nach London und Paris zu entsenden. Der König hatte bei
dieser besondern Mission, von der ihm der Minister des Auswärtigen Freiherr
von Manteuffel entschieden abgeraten hatte, nicht die Absicht, dem sogenannten
Dezembervertrage beizutreten; immerhin wollte er sich aber damit den West¬
mächten Frankreich und England in andrer Form etwas nähern.

Als bei der Sache absolut nichts herausgekommen war, war der Ärger
der Unterhändler groß, besonders der Usedoms, nachdem Graf Hatzfeldt, der
preußische Gesandte in Paris, einem seiner Bekannten dort gesagt hatte, die
ganze Mission sei von Anfang an eine Mystifikation gewesen, der König sei
durch und durch Russe und habe niemals die leiseste Absicht gehabt, mit den
Westmächten einen Vertrag abzuschließen; Hatzfeldt und der preußische Gesandte
in London, Graf Bernstorff, hätten immer entgegengesetzte, geheime Instruk¬
tionen von Berlin erhalten, entgegengesetzt den Weisungen, die der König
direkt Wedelt und Usedom erteilt hatte, die somit oft nicht gewußt hätten, wie
sie sich helfen sollten.

Usedom, ein Mann von 30000 bis 40000 Talern Revenuen, der seit
Jahren zumeist im Auslande lebte und nur das Prädikat Exzellenz und den
Kammerherrnschlüssel zu verlieren hatte, setzte sich nach Empfang dieses


Die Wedelt-Usedomsche Beschwerde über den Minister Manteuffel

Versuche scheitern sollten, mehr Kapitulanten unter den Kaporalen und Gemeinen
zu gewinnen, ist eine schwer zu entscheidende Frage. Unter Umständen wird
nichts andres übrig bleiben, als neue Zugeständnisse zu machen oder durch
Gesetz die bedingungsweise Verlängerung der Dienstpflicht für einen Teil des
ältesten Jahreskontingents durchzusetzen. Denn so weit gehen auch die fana¬
tischsten Anhänger des Abrüstungsgedankens in Frankreich nicht, daß sie eine
Verminderung der eignen Wehrkraft wünschen.




Die Wedell-Usedomsche Beschwerde über den Minister
Manteuffel
Heinrich von poschinger von 1

us den Werken, die die preußische auswärtige Politik während
! des Krimkrieges beleuchten, ist hinlänglich bekannt, daß der
König Friedrich Wilhelm der Vierte durch die Nichteinladung
Preußens zu den Wiener Konferenzen äußerst nervös geworden,
! und daß er auf die, wie sich später herausstellte, wenig glückliche
Idee gekommen war, um das Ende des Jahres 1864 den damals nicht im
Dienst stehenden Wirklichen Geheimrat von Usedom und den Generalleutnant
von Wedelt nach London und Paris zu entsenden. Der König hatte bei
dieser besondern Mission, von der ihm der Minister des Auswärtigen Freiherr
von Manteuffel entschieden abgeraten hatte, nicht die Absicht, dem sogenannten
Dezembervertrage beizutreten; immerhin wollte er sich aber damit den West¬
mächten Frankreich und England in andrer Form etwas nähern.

Als bei der Sache absolut nichts herausgekommen war, war der Ärger
der Unterhändler groß, besonders der Usedoms, nachdem Graf Hatzfeldt, der
preußische Gesandte in Paris, einem seiner Bekannten dort gesagt hatte, die
ganze Mission sei von Anfang an eine Mystifikation gewesen, der König sei
durch und durch Russe und habe niemals die leiseste Absicht gehabt, mit den
Westmächten einen Vertrag abzuschließen; Hatzfeldt und der preußische Gesandte
in London, Graf Bernstorff, hätten immer entgegengesetzte, geheime Instruk¬
tionen von Berlin erhalten, entgegengesetzt den Weisungen, die der König
direkt Wedelt und Usedom erteilt hatte, die somit oft nicht gewußt hätten, wie
sie sich helfen sollten.

Usedom, ein Mann von 30000 bis 40000 Talern Revenuen, der seit
Jahren zumeist im Auslande lebte und nur das Prädikat Exzellenz und den
Kammerherrnschlüssel zu verlieren hatte, setzte sich nach Empfang dieses


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/126>, abgerufen am 05.02.2025.