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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Politische Briefe aus Sachsen

einzelnen darzulegen. Nur will ich erst die Entscheidung über die jetzige Vor¬
lage abwarten, die, so fürchte ich, überhaupt dahin führen wird, daß die Vor¬
lage gänzlich zu Fall kommt.


Mit besten Grüßen und in alter Freundschaft Ihr ergebner
Germanicus
2

Verehrter Freund!

Leider habe ich meine Zusage nicht halten können, nach der ich Ihnen
recht bald wieder über die Entwicklung unsrer politischen Verhältnisse in Sachsen
meine eignen persönlichen Anschauungen mitteilen wollte. Sie haben aber in
Ihrem liebenswürdigen Briefe, den ich in den Osterfeiertagen recht mit Muße
genießen konnte, ganz mit Recht hervorgehoben, daß die mitten in der politischen
Arbeit stehenden oft den rechten Blick für die Verhältnismäßigkeit der Dinge
verlieren. Und doch ist es schließlich die größte Kunst im öffentlichen Leben,
jedem Dinge das richtige Maß seiner Bedeutung beizumessen. Wer das in der
Staatsverwaltung nicht kann, der soll die Hand davon lassen. Ganz im Gegen¬
satz zu Ihrer Auffassung komme ich aber dazu, es gar nicht als ein Unglück
für die Entwicklung unsers sächsischen Staatslebens zu betrachten, daß die
Ergänzung der ersten Kammer diesmal nicht Gesetz geworden ist. Ich glaube
vielmehr, daß wir unter einer neuen Regierung, auch wenn sie vielleicht noch
konservativer ist als die bisherige, doch zu gesunden Verhältnissen kommen
werden, weil ich hoffe, daß der neue Minister des Innern mehr dazu veran¬
lagt ist, selbst die Initiative zu ergreifen, und daß er vor allen Dingen mit
größerer Festigkeit an den einmal als gut und recht erkannten Wegen fest¬
halten wird.

Sie fragen: Was soll denn nun geschehen, was soll die Staatsregierung
nach diesem Ausgange der Kammerverhandlungen denn eigentlich für ein
Wahlrecht ausarbeiten? Ja, mein verehrter Freund, darüber Ihnen Aufschluß
zu geben, das bin ich ebensowenig imstande wie irgendein Mensch in der
Welt. Aber Sie werden mir doch Recht geben, daß die Regierung nicht den
Namen einer solchen verdiente, wollte sie bei ihren weitern Entschließungen
in bezug auf die wichtigste, unser Volksleben berührende Frage, der Aus¬
gestaltung der Volksvertretung, auf die Anregungen aus der Kammer warten
und sich gedulden, bis von dort ein gangbarer Weg gezeigt würde. Sie sind
eben ein unverbesserlicher Demokrat, der noch immer daran glaubt, daß die
Weisheit aus einem großen Parlament kommen müsse, während ich die feste
Überzeugung habe, daß ein einziger Mann, ein praktischer und kluger Kopf
schließlich aus den vielen Vorschlügen, die von allen Seiten gemacht worden
sind, das Rechte herausfinden, und daß man, wenn es einfach klar und logisch
richtig gestaltet ist, vor allen Dingen aber die geschichtliche Entwicklung unsrer
staatlichen Verhältnisse nicht außer acht läßt, ihm auch zustimmen wird.


Politische Briefe aus Sachsen

einzelnen darzulegen. Nur will ich erst die Entscheidung über die jetzige Vor¬
lage abwarten, die, so fürchte ich, überhaupt dahin führen wird, daß die Vor¬
lage gänzlich zu Fall kommt.


Mit besten Grüßen und in alter Freundschaft Ihr ergebner
Germanicus
2

Verehrter Freund!

Leider habe ich meine Zusage nicht halten können, nach der ich Ihnen
recht bald wieder über die Entwicklung unsrer politischen Verhältnisse in Sachsen
meine eignen persönlichen Anschauungen mitteilen wollte. Sie haben aber in
Ihrem liebenswürdigen Briefe, den ich in den Osterfeiertagen recht mit Muße
genießen konnte, ganz mit Recht hervorgehoben, daß die mitten in der politischen
Arbeit stehenden oft den rechten Blick für die Verhältnismäßigkeit der Dinge
verlieren. Und doch ist es schließlich die größte Kunst im öffentlichen Leben,
jedem Dinge das richtige Maß seiner Bedeutung beizumessen. Wer das in der
Staatsverwaltung nicht kann, der soll die Hand davon lassen. Ganz im Gegen¬
satz zu Ihrer Auffassung komme ich aber dazu, es gar nicht als ein Unglück
für die Entwicklung unsers sächsischen Staatslebens zu betrachten, daß die
Ergänzung der ersten Kammer diesmal nicht Gesetz geworden ist. Ich glaube
vielmehr, daß wir unter einer neuen Regierung, auch wenn sie vielleicht noch
konservativer ist als die bisherige, doch zu gesunden Verhältnissen kommen
werden, weil ich hoffe, daß der neue Minister des Innern mehr dazu veran¬
lagt ist, selbst die Initiative zu ergreifen, und daß er vor allen Dingen mit
größerer Festigkeit an den einmal als gut und recht erkannten Wegen fest¬
halten wird.

Sie fragen: Was soll denn nun geschehen, was soll die Staatsregierung
nach diesem Ausgange der Kammerverhandlungen denn eigentlich für ein
Wahlrecht ausarbeiten? Ja, mein verehrter Freund, darüber Ihnen Aufschluß
zu geben, das bin ich ebensowenig imstande wie irgendein Mensch in der
Welt. Aber Sie werden mir doch Recht geben, daß die Regierung nicht den
Namen einer solchen verdiente, wollte sie bei ihren weitern Entschließungen
in bezug auf die wichtigste, unser Volksleben berührende Frage, der Aus¬
gestaltung der Volksvertretung, auf die Anregungen aus der Kammer warten
und sich gedulden, bis von dort ein gangbarer Weg gezeigt würde. Sie sind
eben ein unverbesserlicher Demokrat, der noch immer daran glaubt, daß die
Weisheit aus einem großen Parlament kommen müsse, während ich die feste
Überzeugung habe, daß ein einziger Mann, ein praktischer und kluger Kopf
schließlich aus den vielen Vorschlügen, die von allen Seiten gemacht worden
sind, das Rechte herausfinden, und daß man, wenn es einfach klar und logisch
richtig gestaltet ist, vor allen Dingen aber die geschichtliche Entwicklung unsrer
staatlichen Verhältnisse nicht außer acht läßt, ihm auch zustimmen wird.


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[0087] Politische Briefe aus Sachsen einzelnen darzulegen. Nur will ich erst die Entscheidung über die jetzige Vor¬ lage abwarten, die, so fürchte ich, überhaupt dahin führen wird, daß die Vor¬ lage gänzlich zu Fall kommt. Mit besten Grüßen und in alter Freundschaft Ihr ergebner Germanicus 2 Verehrter Freund! Leider habe ich meine Zusage nicht halten können, nach der ich Ihnen recht bald wieder über die Entwicklung unsrer politischen Verhältnisse in Sachsen meine eignen persönlichen Anschauungen mitteilen wollte. Sie haben aber in Ihrem liebenswürdigen Briefe, den ich in den Osterfeiertagen recht mit Muße genießen konnte, ganz mit Recht hervorgehoben, daß die mitten in der politischen Arbeit stehenden oft den rechten Blick für die Verhältnismäßigkeit der Dinge verlieren. Und doch ist es schließlich die größte Kunst im öffentlichen Leben, jedem Dinge das richtige Maß seiner Bedeutung beizumessen. Wer das in der Staatsverwaltung nicht kann, der soll die Hand davon lassen. Ganz im Gegen¬ satz zu Ihrer Auffassung komme ich aber dazu, es gar nicht als ein Unglück für die Entwicklung unsers sächsischen Staatslebens zu betrachten, daß die Ergänzung der ersten Kammer diesmal nicht Gesetz geworden ist. Ich glaube vielmehr, daß wir unter einer neuen Regierung, auch wenn sie vielleicht noch konservativer ist als die bisherige, doch zu gesunden Verhältnissen kommen werden, weil ich hoffe, daß der neue Minister des Innern mehr dazu veran¬ lagt ist, selbst die Initiative zu ergreifen, und daß er vor allen Dingen mit größerer Festigkeit an den einmal als gut und recht erkannten Wegen fest¬ halten wird. Sie fragen: Was soll denn nun geschehen, was soll die Staatsregierung nach diesem Ausgange der Kammerverhandlungen denn eigentlich für ein Wahlrecht ausarbeiten? Ja, mein verehrter Freund, darüber Ihnen Aufschluß zu geben, das bin ich ebensowenig imstande wie irgendein Mensch in der Welt. Aber Sie werden mir doch Recht geben, daß die Regierung nicht den Namen einer solchen verdiente, wollte sie bei ihren weitern Entschließungen in bezug auf die wichtigste, unser Volksleben berührende Frage, der Aus¬ gestaltung der Volksvertretung, auf die Anregungen aus der Kammer warten und sich gedulden, bis von dort ein gangbarer Weg gezeigt würde. Sie sind eben ein unverbesserlicher Demokrat, der noch immer daran glaubt, daß die Weisheit aus einem großen Parlament kommen müsse, während ich die feste Überzeugung habe, daß ein einziger Mann, ein praktischer und kluger Kopf schließlich aus den vielen Vorschlügen, die von allen Seiten gemacht worden sind, das Rechte herausfinden, und daß man, wenn es einfach klar und logisch richtig gestaltet ist, vor allen Dingen aber die geschichtliche Entwicklung unsrer staatlichen Verhältnisse nicht außer acht läßt, ihm auch zustimmen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/87>, abgerufen am 27.06.2024.