Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


(Line Ferienfahrt nach Brasilien
Präsident Dr. Egon "eins von1

>rotz meiner Vorliebe für die See war ich bisher niemals auf den
Gedanken gekommen, Urlaub für eine Reise nach fernen Erdteilen zu
erbitten, weil ich die dazu notwendige Zeit sehr überschätzt hatte.
>Jm Sommer 1905 hat sich mir jedoch unerwartet ein äußerer
Anlaß zu einer solchen Reise geboten, den ich nicht unbenutzt vorüber-
! gehn lassen mochte. Meine Frau und deren Mutter waren nämlich
Anfang April auf Besuch zu meinem Schwager nach Santos gefahren und hatten
mir in ihren Briefen sowohl die Seefahrt als auch, den Aufenthalt in Brasilien
so verlockend geschildert, daß ich mich nach kurzer Überlegung zu dem Entschluß
aufraffte, sie abzuholen und heimzugeleiten. In den folgenden Erinnerungs-
blüttern will ich nnn zeigen, daß entgegen meiner frühern Annahme schon eine
Spanne Zeit von elf Wochen genügt hat, mir wirklich eine "Neue Welt" des
schonen und des Interessanten zu eröffnen. Ebenso wie mir wird es aber
gewiß so manchem das eine oder das andre mal im Leben oder wenigstens
ein einziges mal möglich sein, eine etwas längere Zeit als die üblichen Ferien¬
wochen für eine Reise verwenden zu können oder sogar ans Gesundheitsrück¬
sichten verwenden zu müssen. Allen, die in diese Lage kommen, möchte ich
angelegentlich empfehlen, künftig nicht wie bisher nur die Alpen, Italien und
ähnliche Ziele ins Auge zu fassen, sondern auch ernstlich an Südamerika oder
an Westindien und an Afrika zu denken.

Insbesondre sind solche Reisen denen anzuraten, die -- ohne eigentlich
krank zu sein -- infolge längerer geistiger Anstrengung an Nervenabspannung
leiden und einer gründlichen Erholung bedürftig sind. Daß längere Seereisen
in geeigneten Fällen auf Körper und auf Gemüt äußerst wohltuend wirken,
wird heutzutage allgemein anerkannt. Ich brauche deshalb hierauf nicht weiter
einzugehn.

Aus verschiednen Gründen sind aber gerade die Fahrten auf den kleinern
oder richtiger gesagt auf den nicht ganz großen Schiffen, wie sie für die vor¬
geschlagnen Reisen ausschließlich in Betracht kommen, ganz besonders dazu an¬
getan, in den Teilnehmern das Gefühl völliger Ruhe hervorzurufen. Diese
Dampfer sind zunächst Frachtschiffe und dienen der Passagierbeförderung nur
nebenbei. Der der Hamburg-Amerika-Linie gehörende Prinz Sigismund, den
ich auf der Ausreise benutzte, ist nur für etwa sechzig Kajüts- und achthundert
Zwischendeckspassagiere, die derselben Reederei gehörende Dania, auf der wir
zurückgefahren sind, für etwa dreißig Kajüts- und siebenhundert Zwischendecks¬
passagiere eingerichtet. Mir ist auch das Leben und Treiben auf den größern
und ganz großen, in der Regel für die Newyorker Fahrt bestimmten Schiffen
wohlbekannt, da es mir vergönnt gewesen ist, im Jahre 1901 an der ersten
nach Bergen und Edinburg gerichteten Fahrt des Lloyddampfers Kronprinz




(Line Ferienfahrt nach Brasilien
Präsident Dr. Egon «eins von1

>rotz meiner Vorliebe für die See war ich bisher niemals auf den
Gedanken gekommen, Urlaub für eine Reise nach fernen Erdteilen zu
erbitten, weil ich die dazu notwendige Zeit sehr überschätzt hatte.
>Jm Sommer 1905 hat sich mir jedoch unerwartet ein äußerer
Anlaß zu einer solchen Reise geboten, den ich nicht unbenutzt vorüber-
! gehn lassen mochte. Meine Frau und deren Mutter waren nämlich
Anfang April auf Besuch zu meinem Schwager nach Santos gefahren und hatten
mir in ihren Briefen sowohl die Seefahrt als auch, den Aufenthalt in Brasilien
so verlockend geschildert, daß ich mich nach kurzer Überlegung zu dem Entschluß
aufraffte, sie abzuholen und heimzugeleiten. In den folgenden Erinnerungs-
blüttern will ich nnn zeigen, daß entgegen meiner frühern Annahme schon eine
Spanne Zeit von elf Wochen genügt hat, mir wirklich eine „Neue Welt" des
schonen und des Interessanten zu eröffnen. Ebenso wie mir wird es aber
gewiß so manchem das eine oder das andre mal im Leben oder wenigstens
ein einziges mal möglich sein, eine etwas längere Zeit als die üblichen Ferien¬
wochen für eine Reise verwenden zu können oder sogar ans Gesundheitsrück¬
sichten verwenden zu müssen. Allen, die in diese Lage kommen, möchte ich
angelegentlich empfehlen, künftig nicht wie bisher nur die Alpen, Italien und
ähnliche Ziele ins Auge zu fassen, sondern auch ernstlich an Südamerika oder
an Westindien und an Afrika zu denken.

Insbesondre sind solche Reisen denen anzuraten, die — ohne eigentlich
krank zu sein — infolge längerer geistiger Anstrengung an Nervenabspannung
leiden und einer gründlichen Erholung bedürftig sind. Daß längere Seereisen
in geeigneten Fällen auf Körper und auf Gemüt äußerst wohltuend wirken,
wird heutzutage allgemein anerkannt. Ich brauche deshalb hierauf nicht weiter
einzugehn.

Aus verschiednen Gründen sind aber gerade die Fahrten auf den kleinern
oder richtiger gesagt auf den nicht ganz großen Schiffen, wie sie für die vor¬
geschlagnen Reisen ausschließlich in Betracht kommen, ganz besonders dazu an¬
getan, in den Teilnehmern das Gefühl völliger Ruhe hervorzurufen. Diese
Dampfer sind zunächst Frachtschiffe und dienen der Passagierbeförderung nur
nebenbei. Der der Hamburg-Amerika-Linie gehörende Prinz Sigismund, den
ich auf der Ausreise benutzte, ist nur für etwa sechzig Kajüts- und achthundert
Zwischendeckspassagiere, die derselben Reederei gehörende Dania, auf der wir
zurückgefahren sind, für etwa dreißig Kajüts- und siebenhundert Zwischendecks¬
passagiere eingerichtet. Mir ist auch das Leben und Treiben auf den größern
und ganz großen, in der Regel für die Newyorker Fahrt bestimmten Schiffen
wohlbekannt, da es mir vergönnt gewesen ist, im Jahre 1901 an der ersten
nach Bergen und Edinburg gerichteten Fahrt des Lloyddampfers Kronprinz


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301305"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341885_301253/figures/grenzboten_341885_301253_301305_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> (Line Ferienfahrt nach Brasilien<lb/><note type="byline"> Präsident Dr. Egon «eins</note> von1</head><lb/>
          <p xml:id="ID_135"> &gt;rotz meiner Vorliebe für die See war ich bisher niemals auf den<lb/>
Gedanken gekommen, Urlaub für eine Reise nach fernen Erdteilen zu<lb/>
erbitten, weil ich die dazu notwendige Zeit sehr überschätzt hatte.<lb/>
&gt;Jm Sommer 1905 hat sich mir jedoch unerwartet ein äußerer<lb/>
Anlaß zu einer solchen Reise geboten, den ich nicht unbenutzt vorüber-<lb/>
! gehn lassen mochte. Meine Frau und deren Mutter waren nämlich<lb/>
Anfang April auf Besuch zu meinem Schwager nach Santos gefahren und hatten<lb/>
mir in ihren Briefen sowohl die Seefahrt als auch, den Aufenthalt in Brasilien<lb/>
so verlockend geschildert, daß ich mich nach kurzer Überlegung zu dem Entschluß<lb/>
aufraffte, sie abzuholen und heimzugeleiten. In den folgenden Erinnerungs-<lb/>
blüttern will ich nnn zeigen, daß entgegen meiner frühern Annahme schon eine<lb/>
Spanne Zeit von elf Wochen genügt hat, mir wirklich eine &#x201E;Neue Welt" des<lb/>
schonen und des Interessanten zu eröffnen. Ebenso wie mir wird es aber<lb/>
gewiß so manchem das eine oder das andre mal im Leben oder wenigstens<lb/>
ein einziges mal möglich sein, eine etwas längere Zeit als die üblichen Ferien¬<lb/>
wochen für eine Reise verwenden zu können oder sogar ans Gesundheitsrück¬<lb/>
sichten verwenden zu müssen. Allen, die in diese Lage kommen, möchte ich<lb/>
angelegentlich empfehlen, künftig nicht wie bisher nur die Alpen, Italien und<lb/>
ähnliche Ziele ins Auge zu fassen, sondern auch ernstlich an Südamerika oder<lb/>
an Westindien und an Afrika zu denken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_136"> Insbesondre sind solche Reisen denen anzuraten, die &#x2014; ohne eigentlich<lb/>
krank zu sein &#x2014; infolge längerer geistiger Anstrengung an Nervenabspannung<lb/>
leiden und einer gründlichen Erholung bedürftig sind. Daß längere Seereisen<lb/>
in geeigneten Fällen auf Körper und auf Gemüt äußerst wohltuend wirken,<lb/>
wird heutzutage allgemein anerkannt. Ich brauche deshalb hierauf nicht weiter<lb/>
einzugehn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_137" next="#ID_138"> Aus verschiednen Gründen sind aber gerade die Fahrten auf den kleinern<lb/>
oder richtiger gesagt auf den nicht ganz großen Schiffen, wie sie für die vor¬<lb/>
geschlagnen Reisen ausschließlich in Betracht kommen, ganz besonders dazu an¬<lb/>
getan, in den Teilnehmern das Gefühl völliger Ruhe hervorzurufen. Diese<lb/>
Dampfer sind zunächst Frachtschiffe und dienen der Passagierbeförderung nur<lb/>
nebenbei. Der der Hamburg-Amerika-Linie gehörende Prinz Sigismund, den<lb/>
ich auf der Ausreise benutzte, ist nur für etwa sechzig Kajüts- und achthundert<lb/>
Zwischendeckspassagiere, die derselben Reederei gehörende Dania, auf der wir<lb/>
zurückgefahren sind, für etwa dreißig Kajüts- und siebenhundert Zwischendecks¬<lb/>
passagiere eingerichtet. Mir ist auch das Leben und Treiben auf den größern<lb/>
und ganz großen, in der Regel für die Newyorker Fahrt bestimmten Schiffen<lb/>
wohlbekannt, da es mir vergönnt gewesen ist, im Jahre 1901 an der ersten<lb/>
nach Bergen und Edinburg gerichteten Fahrt des Lloyddampfers Kronprinz</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0051] [Abbildung] (Line Ferienfahrt nach Brasilien Präsident Dr. Egon «eins von1 >rotz meiner Vorliebe für die See war ich bisher niemals auf den Gedanken gekommen, Urlaub für eine Reise nach fernen Erdteilen zu erbitten, weil ich die dazu notwendige Zeit sehr überschätzt hatte. >Jm Sommer 1905 hat sich mir jedoch unerwartet ein äußerer Anlaß zu einer solchen Reise geboten, den ich nicht unbenutzt vorüber- ! gehn lassen mochte. Meine Frau und deren Mutter waren nämlich Anfang April auf Besuch zu meinem Schwager nach Santos gefahren und hatten mir in ihren Briefen sowohl die Seefahrt als auch, den Aufenthalt in Brasilien so verlockend geschildert, daß ich mich nach kurzer Überlegung zu dem Entschluß aufraffte, sie abzuholen und heimzugeleiten. In den folgenden Erinnerungs- blüttern will ich nnn zeigen, daß entgegen meiner frühern Annahme schon eine Spanne Zeit von elf Wochen genügt hat, mir wirklich eine „Neue Welt" des schonen und des Interessanten zu eröffnen. Ebenso wie mir wird es aber gewiß so manchem das eine oder das andre mal im Leben oder wenigstens ein einziges mal möglich sein, eine etwas längere Zeit als die üblichen Ferien¬ wochen für eine Reise verwenden zu können oder sogar ans Gesundheitsrück¬ sichten verwenden zu müssen. Allen, die in diese Lage kommen, möchte ich angelegentlich empfehlen, künftig nicht wie bisher nur die Alpen, Italien und ähnliche Ziele ins Auge zu fassen, sondern auch ernstlich an Südamerika oder an Westindien und an Afrika zu denken. Insbesondre sind solche Reisen denen anzuraten, die — ohne eigentlich krank zu sein — infolge längerer geistiger Anstrengung an Nervenabspannung leiden und einer gründlichen Erholung bedürftig sind. Daß längere Seereisen in geeigneten Fällen auf Körper und auf Gemüt äußerst wohltuend wirken, wird heutzutage allgemein anerkannt. Ich brauche deshalb hierauf nicht weiter einzugehn. Aus verschiednen Gründen sind aber gerade die Fahrten auf den kleinern oder richtiger gesagt auf den nicht ganz großen Schiffen, wie sie für die vor¬ geschlagnen Reisen ausschließlich in Betracht kommen, ganz besonders dazu an¬ getan, in den Teilnehmern das Gefühl völliger Ruhe hervorzurufen. Diese Dampfer sind zunächst Frachtschiffe und dienen der Passagierbeförderung nur nebenbei. Der der Hamburg-Amerika-Linie gehörende Prinz Sigismund, den ich auf der Ausreise benutzte, ist nur für etwa sechzig Kajüts- und achthundert Zwischendeckspassagiere, die derselben Reederei gehörende Dania, auf der wir zurückgefahren sind, für etwa dreißig Kajüts- und siebenhundert Zwischendecks¬ passagiere eingerichtet. Mir ist auch das Leben und Treiben auf den größern und ganz großen, in der Regel für die Newyorker Fahrt bestimmten Schiffen wohlbekannt, da es mir vergönnt gewesen ist, im Jahre 1901 an der ersten nach Bergen und Edinburg gerichteten Fahrt des Lloyddampfers Kronprinz

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/51
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/51>, abgerufen am 04.07.2024.