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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Politische Briefe aus Sachsen

recht dies tut, grundsätzlich, weil mit ihnen im praktischen Staatsleben nichts
anzufangen ist.

Ich will aber, um Ihnen gleich auf einmal einen kurzen Abriß meines
gesamten Wahlrechtsprogramms zu geben, hinzufügen, daß ich empfehlen würde,
zugleich auch die Ergänzung der ersten Kammer durchzuführen. Hier müßte,
abgesehen von dem allenthalben gutgeheißnen Vorschlage, einen Vertreter der
Technischen Hochschule neu in die Kammer zu bringen, lediglich die Zahl der
nach gänzlich freiem Ermessen der Krone zu wühlenden Mitglieder sachgemäß
erhöht werden, und zwar nicht, wie man bisher versucht hatte, um vier oder
fünf, sondern um zehn Mitglieder, sodaß die Krone im ganzen fünfzehn Mit¬
glieder nach freiem Ermessen in die erste Kammer zu entsenden hätte. Diese
Wahlen müssen allenthalben, wie die bisherigen, auf Lebenszeit erfolgen, und
ich möchte nicht empfehlen, daran irgendeine Beschränkung in bezug auf deu
Stand und die Stellung der Betreffenden in die Verfassung aufzunehmen, da
dies nur wieder zu Schwierigkeiten dann führt, wenn sich jemand von diesen
Mitgliedern aus dem Erwerbsstande, dem er angehört, ins Privatleben zurück
zieht. Es ist durchaus nicht erwünscht, daß solche Leute dann aus der Kammer
auszuscheiden haben, im Gegenteil, sie repräsentieren die größte Summe von
Erfahrungen und sind von allen Konkurrenzrücksichten und dergleichen frei.
Es versteht sich aber von selbst, daß in der Begründung der Vorlage aus¬
drücklich zum Ausdruck zu bringen wäre, daß diese Zahl die Möglichkeit bieten
soll, vor allem Industrie, Handel und Gewerbe zu sachgemäßer Vertretung in
der ersten Kammer zu berufen und auch andern wichtigen Ständen, wie zum
Beispiel Ärzten, Lehrern, Kttustlern, die an dem Ausbau des Staates mitzuwirken
bereit sind, eine Vertretung in der Kammer zu sichern. Übrigens ist eine solche
Vermehrung der ersten Kammer auch der Vermehrung der Bevölkerung seit
der letzten Verfassungsänderung nur entsprechend, und da die Versuche, einzelnen
Berufsständen ein Präsentations- oder Wahlrecht zur ersten Kammer einzu¬
räumen, schon an der Schwierigkeit der Organisation der Wühler bisher ge¬
scheitert sind und zweifellos auch künftig scheitern müssen, so bleibt für die Art
der Berufung nur die königliche Ernennung, die übrigens die sicherste Gewähr
völliger Unabhängigkeit des Berufnen bietet.

Hoffentlich haben wir bald Gelegenheit, uns einmal mündlich über diese
schwierigen Fragen auszusprechen. Ihr ergebenster


Germanicus
4

Verehrter Freund!

Ganz wie ich es vorausgesehen hatte, halten Sie meine Vorschläge über
das Wahlrecht zur zweiten Kammer für "ungeeignet zur Erfüllung der gegen¬
wärtigen Bedürfnisse unsers Volkslebens" und meine Ansichten über die Er¬
gänzung der ersten Kammer für "nahezu undiskutierbar". Mit Ihrer Be¬
gründung haben Sie mich aber nicht nur nicht überzeugt, daß ich auf falschen


Politische Briefe aus Sachsen

recht dies tut, grundsätzlich, weil mit ihnen im praktischen Staatsleben nichts
anzufangen ist.

Ich will aber, um Ihnen gleich auf einmal einen kurzen Abriß meines
gesamten Wahlrechtsprogramms zu geben, hinzufügen, daß ich empfehlen würde,
zugleich auch die Ergänzung der ersten Kammer durchzuführen. Hier müßte,
abgesehen von dem allenthalben gutgeheißnen Vorschlage, einen Vertreter der
Technischen Hochschule neu in die Kammer zu bringen, lediglich die Zahl der
nach gänzlich freiem Ermessen der Krone zu wühlenden Mitglieder sachgemäß
erhöht werden, und zwar nicht, wie man bisher versucht hatte, um vier oder
fünf, sondern um zehn Mitglieder, sodaß die Krone im ganzen fünfzehn Mit¬
glieder nach freiem Ermessen in die erste Kammer zu entsenden hätte. Diese
Wahlen müssen allenthalben, wie die bisherigen, auf Lebenszeit erfolgen, und
ich möchte nicht empfehlen, daran irgendeine Beschränkung in bezug auf deu
Stand und die Stellung der Betreffenden in die Verfassung aufzunehmen, da
dies nur wieder zu Schwierigkeiten dann führt, wenn sich jemand von diesen
Mitgliedern aus dem Erwerbsstande, dem er angehört, ins Privatleben zurück
zieht. Es ist durchaus nicht erwünscht, daß solche Leute dann aus der Kammer
auszuscheiden haben, im Gegenteil, sie repräsentieren die größte Summe von
Erfahrungen und sind von allen Konkurrenzrücksichten und dergleichen frei.
Es versteht sich aber von selbst, daß in der Begründung der Vorlage aus¬
drücklich zum Ausdruck zu bringen wäre, daß diese Zahl die Möglichkeit bieten
soll, vor allem Industrie, Handel und Gewerbe zu sachgemäßer Vertretung in
der ersten Kammer zu berufen und auch andern wichtigen Ständen, wie zum
Beispiel Ärzten, Lehrern, Kttustlern, die an dem Ausbau des Staates mitzuwirken
bereit sind, eine Vertretung in der Kammer zu sichern. Übrigens ist eine solche
Vermehrung der ersten Kammer auch der Vermehrung der Bevölkerung seit
der letzten Verfassungsänderung nur entsprechend, und da die Versuche, einzelnen
Berufsständen ein Präsentations- oder Wahlrecht zur ersten Kammer einzu¬
räumen, schon an der Schwierigkeit der Organisation der Wühler bisher ge¬
scheitert sind und zweifellos auch künftig scheitern müssen, so bleibt für die Art
der Berufung nur die königliche Ernennung, die übrigens die sicherste Gewähr
völliger Unabhängigkeit des Berufnen bietet.

Hoffentlich haben wir bald Gelegenheit, uns einmal mündlich über diese
schwierigen Fragen auszusprechen. Ihr ergebenster


Germanicus
4

Verehrter Freund!

Ganz wie ich es vorausgesehen hatte, halten Sie meine Vorschläge über
das Wahlrecht zur zweiten Kammer für „ungeeignet zur Erfüllung der gegen¬
wärtigen Bedürfnisse unsers Volkslebens" und meine Ansichten über die Er¬
gänzung der ersten Kammer für „nahezu undiskutierbar". Mit Ihrer Be¬
gründung haben Sie mich aber nicht nur nicht überzeugt, daß ich auf falschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/190>, abgerufen am 24.07.2024.