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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Technik als Kulturmacht

'-G^^vmeer diesem Titel hat Ulrich Wendt, der frühere Präsident der
Reichsdruckerei, kürzlich bei Georg Reimer el" Buch veröffentlicht,
das ein allgemeines und lebhaftes Interesse erregen muß. Der
Verfasser hat sein Werk bescheiden eine "Studie" genannt; in
Wahrheit aber enthält dieses eine ebenso geistvolle wie vollständige
Zusammenfassung der gesamten menschlichen Kulturgeschichte von einem neuen,
überaus glücklichen und im besten Sinne modernen Standpunkte.

Die außerordentliche Bedeutung der Industrie im Leben der meisten Völker,
namentlich auch für unser Vaterland, wird ja allgemein anerkannt; aber diese
Anerkennung beschränkt sich im allgemeinen darauf, daß man die Mehrung des
Wohlstandes hervorhebt und mit Zahlen nachweist, wie sehr sowohl die großen
Vermögen wie der Lebensstand der Arbeiter gewachsen sind. Wendt hat diese
Tatsachen und deren Folgen sehr viel tiefer erfaßt und den Nachweis geführt,
daß die Technik nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die gesamten geistigen
und sozialen Verhältnisse jedes Volkes auf das tiefgreifendste beeinflußt, ja
geradezu als grundlegende Macht gestaltet und hierdurch zur wichtigste" Kultur¬
macht im Leben der Völker geworden ist. Das Wort "Technik" bedeutet zwar
zunächst nur eine Fertigkeit, deren Betätigung die mechanische Arbeit ist; aber
wir müssen den Begriff der Technik etwas höher und schärfer als das geistige
Element der Arbeit auffassen, oder als das Denken, das die stoffliche Arbeit
beseelt und die mechanischen Arbeitsvorgänge leitet. Während alle diese Arbeit
in der Einwirkung des Menschen auf den leblosen Stoff besteht, ist es die Auf¬
gabe der Technik, diese Tätigkeit geistig zu erfassen und in der Weise zu ver¬
vollkommnen, daß die Umgestaltung der Rohstoffe für die Zwecke der Kultur
überall auf dem Wege des kleinsten Widerstandes erfolgt. Bei diesem Bestreben
bewaffnete der Techniker bald die menschliche Hand mit Werkzeugen aller Art,
bald ließ er die mannigfachen Kräfte der Natur selbständig aufeinander wirken,
wodurch die wissenschaftliche Mechanik und die chemische Wissenschaft entstand.
Es ist deshalb falsch, wenn man häufig umgekehrt die Technik als ein Er¬
zeugnis der Naturwissenschaft bezeichnet; die Entwicklungsgeschichte beider zeigt
uns, daß es sich gerade umgekehrt verhält, indem erst eine hochstehende Technik
die viel jüngere Naturwissenschaft erzeugt hat. Gegenwärtig fördern und stärken
sich beide Mächte gegenseitig zum größten Segen der Kultur. Denn die hohe
und ideale Aufgabe der Technik bestand von Beginn an darin, die menschliche




Die Technik als Kulturmacht

'-G^^vmeer diesem Titel hat Ulrich Wendt, der frühere Präsident der
Reichsdruckerei, kürzlich bei Georg Reimer el» Buch veröffentlicht,
das ein allgemeines und lebhaftes Interesse erregen muß. Der
Verfasser hat sein Werk bescheiden eine „Studie" genannt; in
Wahrheit aber enthält dieses eine ebenso geistvolle wie vollständige
Zusammenfassung der gesamten menschlichen Kulturgeschichte von einem neuen,
überaus glücklichen und im besten Sinne modernen Standpunkte.

Die außerordentliche Bedeutung der Industrie im Leben der meisten Völker,
namentlich auch für unser Vaterland, wird ja allgemein anerkannt; aber diese
Anerkennung beschränkt sich im allgemeinen darauf, daß man die Mehrung des
Wohlstandes hervorhebt und mit Zahlen nachweist, wie sehr sowohl die großen
Vermögen wie der Lebensstand der Arbeiter gewachsen sind. Wendt hat diese
Tatsachen und deren Folgen sehr viel tiefer erfaßt und den Nachweis geführt,
daß die Technik nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die gesamten geistigen
und sozialen Verhältnisse jedes Volkes auf das tiefgreifendste beeinflußt, ja
geradezu als grundlegende Macht gestaltet und hierdurch zur wichtigste» Kultur¬
macht im Leben der Völker geworden ist. Das Wort „Technik" bedeutet zwar
zunächst nur eine Fertigkeit, deren Betätigung die mechanische Arbeit ist; aber
wir müssen den Begriff der Technik etwas höher und schärfer als das geistige
Element der Arbeit auffassen, oder als das Denken, das die stoffliche Arbeit
beseelt und die mechanischen Arbeitsvorgänge leitet. Während alle diese Arbeit
in der Einwirkung des Menschen auf den leblosen Stoff besteht, ist es die Auf¬
gabe der Technik, diese Tätigkeit geistig zu erfassen und in der Weise zu ver¬
vollkommnen, daß die Umgestaltung der Rohstoffe für die Zwecke der Kultur
überall auf dem Wege des kleinsten Widerstandes erfolgt. Bei diesem Bestreben
bewaffnete der Techniker bald die menschliche Hand mit Werkzeugen aller Art,
bald ließ er die mannigfachen Kräfte der Natur selbständig aufeinander wirken,
wodurch die wissenschaftliche Mechanik und die chemische Wissenschaft entstand.
Es ist deshalb falsch, wenn man häufig umgekehrt die Technik als ein Er¬
zeugnis der Naturwissenschaft bezeichnet; die Entwicklungsgeschichte beider zeigt
uns, daß es sich gerade umgekehrt verhält, indem erst eine hochstehende Technik
die viel jüngere Naturwissenschaft erzeugt hat. Gegenwärtig fördern und stärken
sich beide Mächte gegenseitig zum größten Segen der Kultur. Denn die hohe
und ideale Aufgabe der Technik bestand von Beginn an darin, die menschliche


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[0018] [Abbildung] Die Technik als Kulturmacht '-G^^vmeer diesem Titel hat Ulrich Wendt, der frühere Präsident der Reichsdruckerei, kürzlich bei Georg Reimer el» Buch veröffentlicht, das ein allgemeines und lebhaftes Interesse erregen muß. Der Verfasser hat sein Werk bescheiden eine „Studie" genannt; in Wahrheit aber enthält dieses eine ebenso geistvolle wie vollständige Zusammenfassung der gesamten menschlichen Kulturgeschichte von einem neuen, überaus glücklichen und im besten Sinne modernen Standpunkte. Die außerordentliche Bedeutung der Industrie im Leben der meisten Völker, namentlich auch für unser Vaterland, wird ja allgemein anerkannt; aber diese Anerkennung beschränkt sich im allgemeinen darauf, daß man die Mehrung des Wohlstandes hervorhebt und mit Zahlen nachweist, wie sehr sowohl die großen Vermögen wie der Lebensstand der Arbeiter gewachsen sind. Wendt hat diese Tatsachen und deren Folgen sehr viel tiefer erfaßt und den Nachweis geführt, daß die Technik nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die gesamten geistigen und sozialen Verhältnisse jedes Volkes auf das tiefgreifendste beeinflußt, ja geradezu als grundlegende Macht gestaltet und hierdurch zur wichtigste» Kultur¬ macht im Leben der Völker geworden ist. Das Wort „Technik" bedeutet zwar zunächst nur eine Fertigkeit, deren Betätigung die mechanische Arbeit ist; aber wir müssen den Begriff der Technik etwas höher und schärfer als das geistige Element der Arbeit auffassen, oder als das Denken, das die stoffliche Arbeit beseelt und die mechanischen Arbeitsvorgänge leitet. Während alle diese Arbeit in der Einwirkung des Menschen auf den leblosen Stoff besteht, ist es die Auf¬ gabe der Technik, diese Tätigkeit geistig zu erfassen und in der Weise zu ver¬ vollkommnen, daß die Umgestaltung der Rohstoffe für die Zwecke der Kultur überall auf dem Wege des kleinsten Widerstandes erfolgt. Bei diesem Bestreben bewaffnete der Techniker bald die menschliche Hand mit Werkzeugen aller Art, bald ließ er die mannigfachen Kräfte der Natur selbständig aufeinander wirken, wodurch die wissenschaftliche Mechanik und die chemische Wissenschaft entstand. Es ist deshalb falsch, wenn man häufig umgekehrt die Technik als ein Er¬ zeugnis der Naturwissenschaft bezeichnet; die Entwicklungsgeschichte beider zeigt uns, daß es sich gerade umgekehrt verhält, indem erst eine hochstehende Technik die viel jüngere Naturwissenschaft erzeugt hat. Gegenwärtig fördern und stärken sich beide Mächte gegenseitig zum größten Segen der Kultur. Denn die hohe und ideale Aufgabe der Technik bestand von Beginn an darin, die menschliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/18>, abgerufen am 27.06.2024.