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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Russische Briefe

publiziert, der Staatsrat erst zum 14. einberufen, sondern von dem Kronrat
um 24. Januar; wenn Hohenlohe die Einladungen zur internationalen Arbeiter¬
schutzkonferenz meint, die am 1. März ausgingen, dann hat er sich nicht klar
ausgedrückt. Den Konflikt über die Kabinettsorder von 1852 erzählt er ausführ¬
licher. Daß der Großherzog von Baden zu den Gegnern Bismarcks gehörte und
auf dessen Rücktritt hingearbeitet habe, erwähnt Hohenlohe mehrmals, einmal
nach dem, was ihm Bismarck selbst am 27. März davon gesagt hat (II, 465), ein
andermal nach den Erklärungen des Großherzogs selbst (in Karlsruhe am
21. April, II, 466 f.). Beidemale war dieser der Ansicht, es habe sich bei dein
Konflikt um eine Machtfrage gehandelt. Diesen Eindruck nahm aus einer Unter¬
haltung mit dem Großherzog auch König Albert von Sachsen mit hinweg, als
er im Frühjahr 1890 auf der Rückreise von der Riviera in Karlsruhe vorsprach,
um Näheres über die Katastrophe zu erfahren, und er faßte diesen Eindruck
unmittelbar danach gegenüber einem hervorragenden Mitgliede seines Landtags
in die Worte zusammen: "Ich habe mich überzeugt, der Kaiser konnte nicht
anders, wenn er die Zügel in der Hand behalten wollte." Dieses Urteil eines
so besonnenen, klarschauenden und erfahrnen Herrn und eines so aufrichtigen
Bewunderers der Größe Bismarcks, von dem er einmal gesagt hat: "Er ist ein
sehr großer Mann, denn er hat im vollsten Glücke Maß gehalten", könnte auch
die Verehrer des eisernen Kanzlers beruhigen, die ihren Schmerz und Groll
über seinen Sturz uoch heute nicht verwunden haben. Ob freilich in der
Behandlung der Sozialdemokratie Bismarck schließlich nicht Recht gehabt hat,
das ist immer noch die Frage.


Veto Aaemmel


Russische Briefe
George Lleinow von4

ach vielem Zögern ist die russische Regierung wieder einmal an
eine eingehende Prüfung der Polenfrage herangetreten. Diese
Frage wurde immer akut, sobald Rußland irgendwie in Schwierig¬
keiten geriet. Es ist darum interessant und politisch wertvoll, sich
leinmal zu vergegenwärtigen, welche Stellung die Regierung, in¬
sonderheit der Zar in den verschiednen kritischen Augenblicken den Polen gegen¬
über eingenommen hat. Das Herzogtum Warschau als Teilergebnis des Wiener
Kongresses (1814 bis 1815) wurde Rußland zugesprochen. Unter der Benennung
"Zartum Polen" wurde es mit Rußland durch Realunion verbunden und erhielt
am 27. November 1815 durch Kaiser Alexander den Ersten eine Konstitution.

Es muß hier bemerkt werden, daß Alexanders Absichten bezüglich Polens
früher viel weiter gingen. Im Jahre 1811 fanden Verhandlungen mit Adam


Russische Briefe

publiziert, der Staatsrat erst zum 14. einberufen, sondern von dem Kronrat
um 24. Januar; wenn Hohenlohe die Einladungen zur internationalen Arbeiter¬
schutzkonferenz meint, die am 1. März ausgingen, dann hat er sich nicht klar
ausgedrückt. Den Konflikt über die Kabinettsorder von 1852 erzählt er ausführ¬
licher. Daß der Großherzog von Baden zu den Gegnern Bismarcks gehörte und
auf dessen Rücktritt hingearbeitet habe, erwähnt Hohenlohe mehrmals, einmal
nach dem, was ihm Bismarck selbst am 27. März davon gesagt hat (II, 465), ein
andermal nach den Erklärungen des Großherzogs selbst (in Karlsruhe am
21. April, II, 466 f.). Beidemale war dieser der Ansicht, es habe sich bei dein
Konflikt um eine Machtfrage gehandelt. Diesen Eindruck nahm aus einer Unter¬
haltung mit dem Großherzog auch König Albert von Sachsen mit hinweg, als
er im Frühjahr 1890 auf der Rückreise von der Riviera in Karlsruhe vorsprach,
um Näheres über die Katastrophe zu erfahren, und er faßte diesen Eindruck
unmittelbar danach gegenüber einem hervorragenden Mitgliede seines Landtags
in die Worte zusammen: „Ich habe mich überzeugt, der Kaiser konnte nicht
anders, wenn er die Zügel in der Hand behalten wollte." Dieses Urteil eines
so besonnenen, klarschauenden und erfahrnen Herrn und eines so aufrichtigen
Bewunderers der Größe Bismarcks, von dem er einmal gesagt hat: „Er ist ein
sehr großer Mann, denn er hat im vollsten Glücke Maß gehalten", könnte auch
die Verehrer des eisernen Kanzlers beruhigen, die ihren Schmerz und Groll
über seinen Sturz uoch heute nicht verwunden haben. Ob freilich in der
Behandlung der Sozialdemokratie Bismarck schließlich nicht Recht gehabt hat,
das ist immer noch die Frage.


Veto Aaemmel


Russische Briefe
George Lleinow von4

ach vielem Zögern ist die russische Regierung wieder einmal an
eine eingehende Prüfung der Polenfrage herangetreten. Diese
Frage wurde immer akut, sobald Rußland irgendwie in Schwierig¬
keiten geriet. Es ist darum interessant und politisch wertvoll, sich
leinmal zu vergegenwärtigen, welche Stellung die Regierung, in¬
sonderheit der Zar in den verschiednen kritischen Augenblicken den Polen gegen¬
über eingenommen hat. Das Herzogtum Warschau als Teilergebnis des Wiener
Kongresses (1814 bis 1815) wurde Rußland zugesprochen. Unter der Benennung
„Zartum Polen" wurde es mit Rußland durch Realunion verbunden und erhielt
am 27. November 1815 durch Kaiser Alexander den Ersten eine Konstitution.

Es muß hier bemerkt werden, daß Alexanders Absichten bezüglich Polens
früher viel weiter gingen. Im Jahre 1811 fanden Verhandlungen mit Adam


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[0133] Russische Briefe publiziert, der Staatsrat erst zum 14. einberufen, sondern von dem Kronrat um 24. Januar; wenn Hohenlohe die Einladungen zur internationalen Arbeiter¬ schutzkonferenz meint, die am 1. März ausgingen, dann hat er sich nicht klar ausgedrückt. Den Konflikt über die Kabinettsorder von 1852 erzählt er ausführ¬ licher. Daß der Großherzog von Baden zu den Gegnern Bismarcks gehörte und auf dessen Rücktritt hingearbeitet habe, erwähnt Hohenlohe mehrmals, einmal nach dem, was ihm Bismarck selbst am 27. März davon gesagt hat (II, 465), ein andermal nach den Erklärungen des Großherzogs selbst (in Karlsruhe am 21. April, II, 466 f.). Beidemale war dieser der Ansicht, es habe sich bei dein Konflikt um eine Machtfrage gehandelt. Diesen Eindruck nahm aus einer Unter¬ haltung mit dem Großherzog auch König Albert von Sachsen mit hinweg, als er im Frühjahr 1890 auf der Rückreise von der Riviera in Karlsruhe vorsprach, um Näheres über die Katastrophe zu erfahren, und er faßte diesen Eindruck unmittelbar danach gegenüber einem hervorragenden Mitgliede seines Landtags in die Worte zusammen: „Ich habe mich überzeugt, der Kaiser konnte nicht anders, wenn er die Zügel in der Hand behalten wollte." Dieses Urteil eines so besonnenen, klarschauenden und erfahrnen Herrn und eines so aufrichtigen Bewunderers der Größe Bismarcks, von dem er einmal gesagt hat: „Er ist ein sehr großer Mann, denn er hat im vollsten Glücke Maß gehalten", könnte auch die Verehrer des eisernen Kanzlers beruhigen, die ihren Schmerz und Groll über seinen Sturz uoch heute nicht verwunden haben. Ob freilich in der Behandlung der Sozialdemokratie Bismarck schließlich nicht Recht gehabt hat, das ist immer noch die Frage. Veto Aaemmel Russische Briefe George Lleinow von4 ach vielem Zögern ist die russische Regierung wieder einmal an eine eingehende Prüfung der Polenfrage herangetreten. Diese Frage wurde immer akut, sobald Rußland irgendwie in Schwierig¬ keiten geriet. Es ist darum interessant und politisch wertvoll, sich leinmal zu vergegenwärtigen, welche Stellung die Regierung, in¬ sonderheit der Zar in den verschiednen kritischen Augenblicken den Polen gegen¬ über eingenommen hat. Das Herzogtum Warschau als Teilergebnis des Wiener Kongresses (1814 bis 1815) wurde Rußland zugesprochen. Unter der Benennung „Zartum Polen" wurde es mit Rußland durch Realunion verbunden und erhielt am 27. November 1815 durch Kaiser Alexander den Ersten eine Konstitution. Es muß hier bemerkt werden, daß Alexanders Absichten bezüglich Polens früher viel weiter gingen. Im Jahre 1811 fanden Verhandlungen mit Adam

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/133>, abgerufen am 24.07.2024.