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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Line Unterredung mit Fürst Vismarck
Zur Beurteilung der Hohenlohischen Denkwürdigkeiten

edem Volke fällt es unendlich schwer, über einen nationalen Helden,
den es gewissermaßen heroisiert hat, wie es sein gutes Recht ist, zu
einem objektiven, wirklich historischen Urteil zu gelangen, und der
großen Masse ist das überhaupt unmöglich; diese unterscheidet
immer nur Schwarz und Weiß, sie fragt bei irgendeinem Konflikt,
in den der Held geraten ist, nur: Wer von beiden hatte Recht oder Unrecht?
Das ist jetzt bei dem Streit über Bismarcks Rücktritt, den die Denkwürdigkeiten
des Fürsten Hohenlohe aufs neue entfesselt haben, wieder besonders grell hervor¬
getreten.*) Und in dem Eifer, angebliche Angriffe aufs Bismarcks Andenken
abzuwehren und mit der Auffassung recht zu behalten, daß die Schuld der Kata¬
strophe ganz und gar auf der Seite des Kaisers liege, daß der Gewaltige nur
persönlichen Gründen und persönlicher Eifersucht habe weichen müssen, hat man
das Andenken Hohenlohes mit Schmähungen überhäuft, ihn der Kleinlichkeit und
der Indiskretion beschuldigt (worunter jeder immer das versteht, was ihm gerade
unbequem ist), sich sogar immer nur mit den letzten Kapiteln der beiden starken
Bände beschäftigt und darüber ganz vergessen, welches wertvolle Material für
die Geschichte von beinahe acht Jahrzehnten überhaupt diese authentischen und
zuverlässigen Aufzeichnungen eines Mannes bieten, der auf der Höhe des Lebens
stehend an sich schon viel mehr erfahren konnte und erfuhr als ein andrer, und
der nach gründlicher Vorbereitung auch im diplomatische", Dienst in mannig¬
fachen Stellungen, als bayrischer Ministerpräsident in einer peinlichen Übergangs¬
zeit (1867 bis 1870), als Reichstagsabgeordneter (1870 bis 1874), als Botschafter
des Deutschen Reichs auf dem schwierigsten Posten, in Paris (1874 bis 1885),
als Statthalter von Elsaß-Lothringen (1885 bis 1894), endlich als Reichs-



*) Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Im Auftrage
des Prinzen Alexander zu Hohenlohe-Schillingsfürst herausgegeben von Friedrich Curtius.
2 Bande zu VIII und 440, 5S6 Seiten mit fünf Bildnissen und einer Faksimilebeilage. Stuttgart
und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt, 1907. Die Ausstattung ist vortrefflich.
Grenzboten I 1907 ig


Line Unterredung mit Fürst Vismarck
Zur Beurteilung der Hohenlohischen Denkwürdigkeiten

edem Volke fällt es unendlich schwer, über einen nationalen Helden,
den es gewissermaßen heroisiert hat, wie es sein gutes Recht ist, zu
einem objektiven, wirklich historischen Urteil zu gelangen, und der
großen Masse ist das überhaupt unmöglich; diese unterscheidet
immer nur Schwarz und Weiß, sie fragt bei irgendeinem Konflikt,
in den der Held geraten ist, nur: Wer von beiden hatte Recht oder Unrecht?
Das ist jetzt bei dem Streit über Bismarcks Rücktritt, den die Denkwürdigkeiten
des Fürsten Hohenlohe aufs neue entfesselt haben, wieder besonders grell hervor¬
getreten.*) Und in dem Eifer, angebliche Angriffe aufs Bismarcks Andenken
abzuwehren und mit der Auffassung recht zu behalten, daß die Schuld der Kata¬
strophe ganz und gar auf der Seite des Kaisers liege, daß der Gewaltige nur
persönlichen Gründen und persönlicher Eifersucht habe weichen müssen, hat man
das Andenken Hohenlohes mit Schmähungen überhäuft, ihn der Kleinlichkeit und
der Indiskretion beschuldigt (worunter jeder immer das versteht, was ihm gerade
unbequem ist), sich sogar immer nur mit den letzten Kapiteln der beiden starken
Bände beschäftigt und darüber ganz vergessen, welches wertvolle Material für
die Geschichte von beinahe acht Jahrzehnten überhaupt diese authentischen und
zuverlässigen Aufzeichnungen eines Mannes bieten, der auf der Höhe des Lebens
stehend an sich schon viel mehr erfahren konnte und erfuhr als ein andrer, und
der nach gründlicher Vorbereitung auch im diplomatische«, Dienst in mannig¬
fachen Stellungen, als bayrischer Ministerpräsident in einer peinlichen Übergangs¬
zeit (1867 bis 1870), als Reichstagsabgeordneter (1870 bis 1874), als Botschafter
des Deutschen Reichs auf dem schwierigsten Posten, in Paris (1874 bis 1885),
als Statthalter von Elsaß-Lothringen (1885 bis 1894), endlich als Reichs-



*) Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Im Auftrage
des Prinzen Alexander zu Hohenlohe-Schillingsfürst herausgegeben von Friedrich Curtius.
2 Bande zu VIII und 440, 5S6 Seiten mit fünf Bildnissen und einer Faksimilebeilage. Stuttgart
und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt, 1907. Die Ausstattung ist vortrefflich.
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[0129] [Abbildung] Line Unterredung mit Fürst Vismarck Zur Beurteilung der Hohenlohischen Denkwürdigkeiten edem Volke fällt es unendlich schwer, über einen nationalen Helden, den es gewissermaßen heroisiert hat, wie es sein gutes Recht ist, zu einem objektiven, wirklich historischen Urteil zu gelangen, und der großen Masse ist das überhaupt unmöglich; diese unterscheidet immer nur Schwarz und Weiß, sie fragt bei irgendeinem Konflikt, in den der Held geraten ist, nur: Wer von beiden hatte Recht oder Unrecht? Das ist jetzt bei dem Streit über Bismarcks Rücktritt, den die Denkwürdigkeiten des Fürsten Hohenlohe aufs neue entfesselt haben, wieder besonders grell hervor¬ getreten.*) Und in dem Eifer, angebliche Angriffe aufs Bismarcks Andenken abzuwehren und mit der Auffassung recht zu behalten, daß die Schuld der Kata¬ strophe ganz und gar auf der Seite des Kaisers liege, daß der Gewaltige nur persönlichen Gründen und persönlicher Eifersucht habe weichen müssen, hat man das Andenken Hohenlohes mit Schmähungen überhäuft, ihn der Kleinlichkeit und der Indiskretion beschuldigt (worunter jeder immer das versteht, was ihm gerade unbequem ist), sich sogar immer nur mit den letzten Kapiteln der beiden starken Bände beschäftigt und darüber ganz vergessen, welches wertvolle Material für die Geschichte von beinahe acht Jahrzehnten überhaupt diese authentischen und zuverlässigen Aufzeichnungen eines Mannes bieten, der auf der Höhe des Lebens stehend an sich schon viel mehr erfahren konnte und erfuhr als ein andrer, und der nach gründlicher Vorbereitung auch im diplomatische«, Dienst in mannig¬ fachen Stellungen, als bayrischer Ministerpräsident in einer peinlichen Übergangs¬ zeit (1867 bis 1870), als Reichstagsabgeordneter (1870 bis 1874), als Botschafter des Deutschen Reichs auf dem schwierigsten Posten, in Paris (1874 bis 1885), als Statthalter von Elsaß-Lothringen (1885 bis 1894), endlich als Reichs- *) Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Im Auftrage des Prinzen Alexander zu Hohenlohe-Schillingsfürst herausgegeben von Friedrich Curtius. 2 Bande zu VIII und 440, 5S6 Seiten mit fünf Bildnissen und einer Faksimilebeilage. Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt, 1907. Die Ausstattung ist vortrefflich. Grenzboten I 1907 ig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/129>, abgerufen am 27.06.2024.