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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Am Fuciner Hee
Alexander Rumpelt von 1

wischen den stattlichen Massiven des Monte Sirrente (2349 Meter)
und des Monte Velino (2487 Meter) führt die Poststraße aus
der Hochebene von Aquila nach dein Becken des ehemaligen
Fuciner Sees hinüber.

Ein kräftiger Nordwind hatte die Berge reingefegt, prächtig
leuchtete im Schmuck des ersten Hcrbstschnees die lange Kette des Grau Sasso
über den altersgrauen Mauern der "Adlerstadt". Und da ich mich nun drei
Tage in ihr herumgetrieben und an ihren unzähligen romanischen Portalen
und Fensterrosen weidlich satt gesehen hatte, beschloß ich der Kultur wieder zu
entfliehen.

Die Sonue war kaum aufgegangen, da ratterte die alte Postkutsche aus
den engen Gassen durch die Porta ti Napoli hinaus in den frischen Sonntag¬
morgen. In den lustigen Dörfchen rechts und links läuteten die Glocken. Unter
munterm Schellenklingeln trabten unsre Mähren ein Bauern und Bäuerinnen
vorüber, die in bunte Farben festlich gekleidet zum Markte nach der Stadt zogen.

Aber bald wird mit der beständigen Steigung die Fahrt langsamer, und
man hat Muße, den weiten fruchtbaren Talkessel von Aquila, die stolze Stadt,
die schmucken Dörfer zu betrachten. Immer höher erheben sich in der Ferne
die Felsenmauern des Zentrnlapennins, doch ebenso fesselt ein riesiges künstliches
Gemäuer den Blick in der Nähe -- auf breitem Bergrücken ragen die Ruinen
der Burg Ocre, der einzigen von neunundneunzig Burgen im Umkreis, die
aus besondrer Gnade Friedrichs des Zweiten nicht zerstört wurde, als er Barone
und Bauern der Hochebene in seinem Bollwerk gegen den Kirchenstaat, dem
neugegründeten Aquila, vereinigte. Der Hohenstaufe, der sich in den Abruzzen
oft und schwer mit dem aufsässigen, zu Rom neigenden Adel herumschlagen
mußte, schenkte das Schloß seinem Reichskanzler Gualtieri (Walter) -- auch
in Trümmern noch ein gewaltiges Denkmal an die merkwürdige Zeit der
Schwabenkaiserherrschaft in Unteritalien.

Um elf Uhr war mit dem Pasfo ti San Bernardino, etwa 1200 Meter,
die Hochfläche erreicht, auf der sich trotz den grimmen Wintern, trotz dem dürftigen
Ertrag eines steinigen Bodens die Menschen in vier Dörfern: Rocca ti Cambio,




Am Fuciner Hee
Alexander Rumpelt von 1

wischen den stattlichen Massiven des Monte Sirrente (2349 Meter)
und des Monte Velino (2487 Meter) führt die Poststraße aus
der Hochebene von Aquila nach dein Becken des ehemaligen
Fuciner Sees hinüber.

Ein kräftiger Nordwind hatte die Berge reingefegt, prächtig
leuchtete im Schmuck des ersten Hcrbstschnees die lange Kette des Grau Sasso
über den altersgrauen Mauern der „Adlerstadt". Und da ich mich nun drei
Tage in ihr herumgetrieben und an ihren unzähligen romanischen Portalen
und Fensterrosen weidlich satt gesehen hatte, beschloß ich der Kultur wieder zu
entfliehen.

Die Sonue war kaum aufgegangen, da ratterte die alte Postkutsche aus
den engen Gassen durch die Porta ti Napoli hinaus in den frischen Sonntag¬
morgen. In den lustigen Dörfchen rechts und links läuteten die Glocken. Unter
munterm Schellenklingeln trabten unsre Mähren ein Bauern und Bäuerinnen
vorüber, die in bunte Farben festlich gekleidet zum Markte nach der Stadt zogen.

Aber bald wird mit der beständigen Steigung die Fahrt langsamer, und
man hat Muße, den weiten fruchtbaren Talkessel von Aquila, die stolze Stadt,
die schmucken Dörfer zu betrachten. Immer höher erheben sich in der Ferne
die Felsenmauern des Zentrnlapennins, doch ebenso fesselt ein riesiges künstliches
Gemäuer den Blick in der Nähe — auf breitem Bergrücken ragen die Ruinen
der Burg Ocre, der einzigen von neunundneunzig Burgen im Umkreis, die
aus besondrer Gnade Friedrichs des Zweiten nicht zerstört wurde, als er Barone
und Bauern der Hochebene in seinem Bollwerk gegen den Kirchenstaat, dem
neugegründeten Aquila, vereinigte. Der Hohenstaufe, der sich in den Abruzzen
oft und schwer mit dem aufsässigen, zu Rom neigenden Adel herumschlagen
mußte, schenkte das Schloß seinem Reichskanzler Gualtieri (Walter) — auch
in Trümmern noch ein gewaltiges Denkmal an die merkwürdige Zeit der
Schwabenkaiserherrschaft in Unteritalien.

Um elf Uhr war mit dem Pasfo ti San Bernardino, etwa 1200 Meter,
die Hochfläche erreicht, auf der sich trotz den grimmen Wintern, trotz dem dürftigen
Ertrag eines steinigen Bodens die Menschen in vier Dörfern: Rocca ti Cambio,


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[0110] [Abbildung] Am Fuciner Hee Alexander Rumpelt von 1 wischen den stattlichen Massiven des Monte Sirrente (2349 Meter) und des Monte Velino (2487 Meter) führt die Poststraße aus der Hochebene von Aquila nach dein Becken des ehemaligen Fuciner Sees hinüber. Ein kräftiger Nordwind hatte die Berge reingefegt, prächtig leuchtete im Schmuck des ersten Hcrbstschnees die lange Kette des Grau Sasso über den altersgrauen Mauern der „Adlerstadt". Und da ich mich nun drei Tage in ihr herumgetrieben und an ihren unzähligen romanischen Portalen und Fensterrosen weidlich satt gesehen hatte, beschloß ich der Kultur wieder zu entfliehen. Die Sonue war kaum aufgegangen, da ratterte die alte Postkutsche aus den engen Gassen durch die Porta ti Napoli hinaus in den frischen Sonntag¬ morgen. In den lustigen Dörfchen rechts und links läuteten die Glocken. Unter munterm Schellenklingeln trabten unsre Mähren ein Bauern und Bäuerinnen vorüber, die in bunte Farben festlich gekleidet zum Markte nach der Stadt zogen. Aber bald wird mit der beständigen Steigung die Fahrt langsamer, und man hat Muße, den weiten fruchtbaren Talkessel von Aquila, die stolze Stadt, die schmucken Dörfer zu betrachten. Immer höher erheben sich in der Ferne die Felsenmauern des Zentrnlapennins, doch ebenso fesselt ein riesiges künstliches Gemäuer den Blick in der Nähe — auf breitem Bergrücken ragen die Ruinen der Burg Ocre, der einzigen von neunundneunzig Burgen im Umkreis, die aus besondrer Gnade Friedrichs des Zweiten nicht zerstört wurde, als er Barone und Bauern der Hochebene in seinem Bollwerk gegen den Kirchenstaat, dem neugegründeten Aquila, vereinigte. Der Hohenstaufe, der sich in den Abruzzen oft und schwer mit dem aufsässigen, zu Rom neigenden Adel herumschlagen mußte, schenkte das Schloß seinem Reichskanzler Gualtieri (Walter) — auch in Trümmern noch ein gewaltiges Denkmal an die merkwürdige Zeit der Schwabenkaiserherrschaft in Unteritalien. Um elf Uhr war mit dem Pasfo ti San Bernardino, etwa 1200 Meter, die Hochfläche erreicht, auf der sich trotz den grimmen Wintern, trotz dem dürftigen Ertrag eines steinigen Bodens die Menschen in vier Dörfern: Rocca ti Cambio,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/110>, abgerufen am 24.07.2024.