Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Bedeutung der Luftschiffahrt für die Wissenschaft
Heinrich Rukutsch von

! er Hütte in seinem Leben nicht oft schon gern Bestimmtes über die
Witterung der nächsten Tage gewußt? Für den Seemann und
noch mehr für den Landwirt ist dieses mitunter geradezu eine
Lebensfrage. An Witterungsprognosen hat ja nie Mangel ge¬
herrscht, doch sind sie leider in den meisten Füllen unzutreffend,
sobald es sich darum handelt, das Wetter über die allernächste Zeit hinaus zu
bestimmen. Und doch ist anzunehmen, daß auch die Witterung, wie alles in
der Natur, ganz bestimmten Regeln folgt. Wenn man diese zweifellos äußerst
komplizierten Gesetze kennen lernen will, ist es notwendig, alle Vorgänge in
der unsern Erdball umgebenden Atmosphäre genau zu studieren, um dann aus der
Summe der Beobachtungen das Mittel, die Gesetze eben, ableiten zu können.

Diesem Zweck dienen zunächst die auf hohen Bergen errichteten ständigen
Observatorien. Doch auch wenn es möglich wäre, sie auf den höchsten Er¬
hebungen unsrer Erdoberflüche anzulegen, würde man allein damit noch nicht
einmal entfernt in der Lage sein, den täglichen Gang der Witterung voraus-
zubestimmen, der nur als ein Produkt der untern Luftschichten anzusehen
ist. Denn abgesehen von der Unmöglichkeit solcher Anlagen bedeutet sogar
die Höhe eines Gaurisankar noch nichts gegenüber den 300 Kilometern, die
man im allgemeinen für die Ausdehnung der irdischen Atmosphäre an¬
nehmen kann.*)

Wie ist man gerade zu dieser Kilometerzahl gekommen? Die Atmosphäre
ist doch etwas für unser Auge Unsichtbares, ihre Grenzbestimmung demnach
unmöglich. Und doch haben uns die sogenannten Sternschnuppen dazu ver-
holfen. Diese Meteorite, die mit rasender Geschwindigkeit den Weltenraum
durcheilen, erglühn erst durch Reibung mit unsrer Atmosphäre, und man hat
sie noch in Höhen von 300 Kilometern bemerkt.

Und eine zweite, von der eben angeführten gänzlich unabhängige Beob¬
achtung führt zu demselben Resultat.

Ehe nämlich bei Mondfinsternissen der eigentliche Kernschatten die Mond¬
scheibe verdunkelt, huscht -- schon drei Minuten vorher -- ein leichter Schatten



*) Außer den Illustrierten Aeronautischen Mitteilungen liegt diesem Artikel Moedebecls
Taschenbuch fiir Luftschiffer zugrunde.


Die Bedeutung der Luftschiffahrt für die Wissenschaft
Heinrich Rukutsch von

! er Hütte in seinem Leben nicht oft schon gern Bestimmtes über die
Witterung der nächsten Tage gewußt? Für den Seemann und
noch mehr für den Landwirt ist dieses mitunter geradezu eine
Lebensfrage. An Witterungsprognosen hat ja nie Mangel ge¬
herrscht, doch sind sie leider in den meisten Füllen unzutreffend,
sobald es sich darum handelt, das Wetter über die allernächste Zeit hinaus zu
bestimmen. Und doch ist anzunehmen, daß auch die Witterung, wie alles in
der Natur, ganz bestimmten Regeln folgt. Wenn man diese zweifellos äußerst
komplizierten Gesetze kennen lernen will, ist es notwendig, alle Vorgänge in
der unsern Erdball umgebenden Atmosphäre genau zu studieren, um dann aus der
Summe der Beobachtungen das Mittel, die Gesetze eben, ableiten zu können.

Diesem Zweck dienen zunächst die auf hohen Bergen errichteten ständigen
Observatorien. Doch auch wenn es möglich wäre, sie auf den höchsten Er¬
hebungen unsrer Erdoberflüche anzulegen, würde man allein damit noch nicht
einmal entfernt in der Lage sein, den täglichen Gang der Witterung voraus-
zubestimmen, der nur als ein Produkt der untern Luftschichten anzusehen
ist. Denn abgesehen von der Unmöglichkeit solcher Anlagen bedeutet sogar
die Höhe eines Gaurisankar noch nichts gegenüber den 300 Kilometern, die
man im allgemeinen für die Ausdehnung der irdischen Atmosphäre an¬
nehmen kann.*)

Wie ist man gerade zu dieser Kilometerzahl gekommen? Die Atmosphäre
ist doch etwas für unser Auge Unsichtbares, ihre Grenzbestimmung demnach
unmöglich. Und doch haben uns die sogenannten Sternschnuppen dazu ver-
holfen. Diese Meteorite, die mit rasender Geschwindigkeit den Weltenraum
durcheilen, erglühn erst durch Reibung mit unsrer Atmosphäre, und man hat
sie noch in Höhen von 300 Kilometern bemerkt.

Und eine zweite, von der eben angeführten gänzlich unabhängige Beob¬
achtung führt zu demselben Resultat.

Ehe nämlich bei Mondfinsternissen der eigentliche Kernschatten die Mond¬
scheibe verdunkelt, huscht — schon drei Minuten vorher — ein leichter Schatten



*) Außer den Illustrierten Aeronautischen Mitteilungen liegt diesem Artikel Moedebecls
Taschenbuch fiir Luftschiffer zugrunde.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300255"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341883_299786/figures/grenzboten_341883_299786_300255_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Bedeutung der Luftschiffahrt für die Wissenschaft<lb/><note type="byline"> Heinrich Rukutsch</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1744"> ! er Hütte in seinem Leben nicht oft schon gern Bestimmtes über die<lb/>
Witterung der nächsten Tage gewußt? Für den Seemann und<lb/>
noch mehr für den Landwirt ist dieses mitunter geradezu eine<lb/>
Lebensfrage. An Witterungsprognosen hat ja nie Mangel ge¬<lb/>
herrscht, doch sind sie leider in den meisten Füllen unzutreffend,<lb/>
sobald es sich darum handelt, das Wetter über die allernächste Zeit hinaus zu<lb/>
bestimmen. Und doch ist anzunehmen, daß auch die Witterung, wie alles in<lb/>
der Natur, ganz bestimmten Regeln folgt. Wenn man diese zweifellos äußerst<lb/>
komplizierten Gesetze kennen lernen will, ist es notwendig, alle Vorgänge in<lb/>
der unsern Erdball umgebenden Atmosphäre genau zu studieren, um dann aus der<lb/>
Summe der Beobachtungen das Mittel, die Gesetze eben, ableiten zu können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1745"> Diesem Zweck dienen zunächst die auf hohen Bergen errichteten ständigen<lb/>
Observatorien. Doch auch wenn es möglich wäre, sie auf den höchsten Er¬<lb/>
hebungen unsrer Erdoberflüche anzulegen, würde man allein damit noch nicht<lb/>
einmal entfernt in der Lage sein, den täglichen Gang der Witterung voraus-<lb/>
zubestimmen, der nur als ein Produkt der untern Luftschichten anzusehen<lb/>
ist. Denn abgesehen von der Unmöglichkeit solcher Anlagen bedeutet sogar<lb/>
die Höhe eines Gaurisankar noch nichts gegenüber den 300 Kilometern, die<lb/>
man im allgemeinen für die Ausdehnung der irdischen Atmosphäre an¬<lb/>
nehmen kann.*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1746"> Wie ist man gerade zu dieser Kilometerzahl gekommen? Die Atmosphäre<lb/>
ist doch etwas für unser Auge Unsichtbares, ihre Grenzbestimmung demnach<lb/>
unmöglich. Und doch haben uns die sogenannten Sternschnuppen dazu ver-<lb/>
holfen. Diese Meteorite, die mit rasender Geschwindigkeit den Weltenraum<lb/>
durcheilen, erglühn erst durch Reibung mit unsrer Atmosphäre, und man hat<lb/>
sie noch in Höhen von 300 Kilometern bemerkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1747"> Und eine zweite, von der eben angeführten gänzlich unabhängige Beob¬<lb/>
achtung führt zu demselben Resultat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1748" next="#ID_1749"> Ehe nämlich bei Mondfinsternissen der eigentliche Kernschatten die Mond¬<lb/>
scheibe verdunkelt, huscht &#x2014; schon drei Minuten vorher &#x2014; ein leichter Schatten</p><lb/>
          <note xml:id="FID_56" place="foot"> *) Außer den Illustrierten Aeronautischen Mitteilungen liegt diesem Artikel Moedebecls<lb/>
Taschenbuch fiir Luftschiffer zugrunde.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0468] [Abbildung] Die Bedeutung der Luftschiffahrt für die Wissenschaft Heinrich Rukutsch von ! er Hütte in seinem Leben nicht oft schon gern Bestimmtes über die Witterung der nächsten Tage gewußt? Für den Seemann und noch mehr für den Landwirt ist dieses mitunter geradezu eine Lebensfrage. An Witterungsprognosen hat ja nie Mangel ge¬ herrscht, doch sind sie leider in den meisten Füllen unzutreffend, sobald es sich darum handelt, das Wetter über die allernächste Zeit hinaus zu bestimmen. Und doch ist anzunehmen, daß auch die Witterung, wie alles in der Natur, ganz bestimmten Regeln folgt. Wenn man diese zweifellos äußerst komplizierten Gesetze kennen lernen will, ist es notwendig, alle Vorgänge in der unsern Erdball umgebenden Atmosphäre genau zu studieren, um dann aus der Summe der Beobachtungen das Mittel, die Gesetze eben, ableiten zu können. Diesem Zweck dienen zunächst die auf hohen Bergen errichteten ständigen Observatorien. Doch auch wenn es möglich wäre, sie auf den höchsten Er¬ hebungen unsrer Erdoberflüche anzulegen, würde man allein damit noch nicht einmal entfernt in der Lage sein, den täglichen Gang der Witterung voraus- zubestimmen, der nur als ein Produkt der untern Luftschichten anzusehen ist. Denn abgesehen von der Unmöglichkeit solcher Anlagen bedeutet sogar die Höhe eines Gaurisankar noch nichts gegenüber den 300 Kilometern, die man im allgemeinen für die Ausdehnung der irdischen Atmosphäre an¬ nehmen kann.*) Wie ist man gerade zu dieser Kilometerzahl gekommen? Die Atmosphäre ist doch etwas für unser Auge Unsichtbares, ihre Grenzbestimmung demnach unmöglich. Und doch haben uns die sogenannten Sternschnuppen dazu ver- holfen. Diese Meteorite, die mit rasender Geschwindigkeit den Weltenraum durcheilen, erglühn erst durch Reibung mit unsrer Atmosphäre, und man hat sie noch in Höhen von 300 Kilometern bemerkt. Und eine zweite, von der eben angeführten gänzlich unabhängige Beob¬ achtung führt zu demselben Resultat. Ehe nämlich bei Mondfinsternissen der eigentliche Kernschatten die Mond¬ scheibe verdunkelt, huscht — schon drei Minuten vorher — ein leichter Schatten *) Außer den Illustrierten Aeronautischen Mitteilungen liegt diesem Artikel Moedebecls Taschenbuch fiir Luftschiffer zugrunde.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/468
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/468>, abgerufen am 26.12.2024.